Psychophysiologie (1899). John M Littlejohn
die Methode anbelangt, haben wir bereits festgestellt, dass sie zweifach sein muss. Beim Verbinden zweier Wissenschaften müssen beide wissenschaftlichen Methoden übernommen werden. Die einzige Methode, die sich in Bezug auf das Bewusstsein und dessen Phänomene anwenden lässt, ist Selbstbeobachtung. Beobachtung und Experiment stellen dagegen die geeignete physiologische Methode dar, um sich mit Struktur, Funktionen und Entwicklung zu befassen. Da es sich um zwei Reihen von Tatsachen handelt, müssen beide Methoden befolgt werden. Das einzig [brauchbare] wissenschaftliche Verfahren zum Aufbauen einer Wissenschaft setzt bei einzelnen Fakten an oder verwendet die induktive Methode. Daher müssen wir
(1) die mit dem Bewusstsein verbundenen Phänomene entdecken und erörtern,
(2) versuchen, sie in bestimmte Beziehungen und Zusammenhänge zu bringen, um die Gesetze herauszufinden, die das Hervorbringen von Phänomen steuern, und
(3) von den Phänomenen und den Prinzipien, die deren Beziehungen regeln, emporsteigen zum Wesen des denkenden Subjekts, das den Phänomenen zugrunde liegt.
Hier ist die Methode deshalb zweifach, weil es zwei Reihen von Phänomenen gibt und weil die Gesetze, die diese beiden Reihen bestimmen, verschiedener Ordnung sind oder zumindest im Physischen und im Psychischen unterschiedlich angewendet werden müssen. Die eine Ordnung unterliegt den Zwängen materieller Gegebenheiten, während die andere von einem freien Geist bestimmt ist. Nicht Beziehungen, sondern Wechselbeziehungen zwischen den beiden Ordnungen der Phänomene sind es, die wir hier herstellen müssen, indem wir sie zusammenbringen und enthüllen, worin das Geheimnis harmonischer Korrelation zwischen dem Physischen und dem Psychischen liegt. Gelingt uns das, dann haben wir eine psychophysische Basis, um den Geist darauf zu stützen, und einen psychophysischen Standpunkt, von dem aus wir sein Wesen, seinen Ursprung, seine Bestimmung sowie seine Ansprüche auf permanente Existenz erörtern können.
Da Wissenschaft aus Wissen besteht und eine wissenschaftliche Methode das rationalste Mittel zum Erwerben dieses Wissens ist, kann nichts geheim oder mysteriös bleiben. Juvenal sagte: »Aus dem Himmel erhielten wir das Gebot: Erkenne dich selbst!« Bewusstsein und bewusste Methoden werden vernünftig eingesetzt, um die grundlegenden Tatsachen bewussten Lebens zu finden, diese Tatsachen in ihre Faktoren aufzulösen, ihre Entwicklung vom Einfachen zum Komplexen ebenso nachzuverfolgen wie ihre Zusammenhänge und dabei nie aus dem Auge zu verlieren, dass der Mensch eine lebendige Einheit darstellt. Der Mensch ist kein verkörperter Geist (spirit) oder ein geistloser Mechanismus materieller Teilchen. Die Methode der Introspektion ins Bewusstsein bedeutet, »in den eigenen Geist schauen«. Herbart hat gegen diese Methode eingewendet, dass beim Anschauen dieser Phänomene die Tatsachen aus ihren unverzichtbaren Zusammenhängen gerissen und zu Abstraktionen werden. Comte zufolge ist der Geist sowohl beobachtendes Subjekt als auch beobachtetes Objekt. Beides tendiert dazu, das jeweils andere aufzuheben, denn das Beobachten der eigenen Aktivität muss aufhören – und damit löscht man aus, was man beobachten möchte. Dabei wird jedoch vergessen, dass in der modernen Psychologie das Nervensystem die Bedingung und das Medium für mentale Aktivität darstellt, sodass wir beim Beobachten von Phänomenen beobachten, wie sich das mentale Leben selbst ausdrückt oder wie die mentalen Phänomene »sich auf die allgemeineren Offenbarungen des physischen Lebens aufpfropfen«. Selbstbeobachtung (Introspektion) führt einen Irrtum in die Beobachtung ein, doch dies ist bei allen Beobachtungen der Fall. Will ich meine Beobachtung auf eine Tatsache konzentrieren, muss ich diese aus ihren notwendigen Zusammenhängen herausholen und beobachte sie dann abstrahiert. Das gilt für jede Beobachtung.
Gehirn und Geist sind nicht genau identisch. Geistige Phänomene und das Gehirn, oder zumindest neuronale Veränderungen, können zwar korrelativ sein, ein Gedanke ist jedoch nicht erklärbar durch simples Analysieren des Gehirns oder der Nervenveränderungen, die ihn begleiten. Wir können Geisteszustände niemals in Gehirnzustände auflösen, so eng auch die Beziehungen zwischen ihnen sein mögen. Mit anderen Worten: Gehirnfunktionen können zwar mit geistigen Vorgängen korrespondieren, lassen sich aber nicht mit ihnen gleichsetzen. Wir finden also einen psychophysischen Parallelismus vor. »Mentales Leben ist eine Kette von Ereignissen, parallel zu einer Kette physischer Ereignisse.« Manche behaupten, die mentalen Phänomene seien zu kompliziert, um eine Parallele im neuronalen Mechanismus zu finden. Sofern dieser Parallelismus überhaupt irgendeinen Wert hat, muss er vollständig sein. Und er muss in der Entwicklung beider vollständig sein – vom Anfang bis zum Ende. Handelt es sich um psychische Prozesse, die nicht von physischen Prozessen abhängen oder korrelativ zu ihnen sind, dann gehören sie in den metaphysischen Bereich. Wir jedenfalls vertreten beim Betrachten des Geistes den Standpunkt, dass er eine physische Grundlage besitzt, weil es für uns ohne eine derartige Grundlage gar keine Bewusstseinsphänomene gäbe.
Bewusstsein
Bevor wir das Thema in seinen Hauptzügen erörtern, müssen wir als Vorbereitung zunächst das Bewusstsein studieren. In dem durch Phänomene gekennzeichneten Bewusstseinsstrom gibt es die Einheit des Geistes. Diese Einheit darf allerdings nicht zu weit getrieben werden. Jedes mentale Phänomen ist gleichzeitig mit drei mentalen Prozessen verbunden: dem Intellekt, dem Gefühl und der Konation.12 Sie bilden die Basis der dreifach differenzierten Einheit des mentalen Wesens. Weil sie die elementaren psychischen Aktivitäten darstellen, müssen sie jeder mentalen Aktivität zugrunde liegen. Komplexere Prozesse sind schlicht das Ergebnis einer Kombination dieser drei elementaren Prozesse unter dem Einfluss der Entwicklung. Da es sich so verhält, muss es irgendeinen allgemeinen, auf alle Phänomene anwendbaren Begriff geben. Wir nennen sie deshalb Bewusstseinsphänomene.
Bewusstsein lässt sich kaum definieren. Auf das mentale Leben bezogen ist es unmöglich, Unbewusstheit zu erfassen, weil es sich vom psychischen Standpunkt aus gesehen um eine negative13 Idee handelt. Vollständige Unbewusstheit wäre die Abwesenheit mentaler Zustände oder Prozesse. Möglicherweise ist der Geist zu bestimmten metaphysischen Prozessen fähig, die das Bewusstsein übersteigen. Doch solche Zustände sind dann jenseits der psychischen Phänomene. Unbewusstheit ist also aus der psychischen Perspektive völlig negativ. Das mentale Leben wird als Bewusstseinsstrombegriffen. Mit anderen Worten: Das Leben des Geistes hat keine Trennpunkte, die bestimmte Grenzen markieren, wie es bei Objekten im Raum der Fall ist. Zudem lassen sich im mentalen Leben, soweit es die Prozesse anbelangt, keine Trennlinien zwischen den einzelnen Phasen festlegen. Das Leben ist kontinuierlich, ohne irgendwelche völligen Brüche zwischen den mentalen Prozessen. Auch kann man Bewusstsein nicht als etwas betrachten, das sich immer einfach in einem passiven Zustand befindet, denn auch beim simpelsten mentalen Zustand handelt es sich um einen aktiven Vorgang. Die verschiedenen mentalen Prozesse müssen selbst der mentalen Aktivität unterworfen werden, bevor sie erkannt werden können. Ein unerkannter Zustand hat keine psychische Bedeutung. So stellt etwa ein Stich mit einer Nadel, der nicht als solcher unterschieden wird, ein physiologisches, kein psychologisches Problem dar. Ladd hat Bewusstsein definiert als »synonym mit einem psychischen Zustand, der als inhaltlich unterschieden betrachtet wird – wie schwach auch immer – und mit dem Strom des mentalen Lebens verbunden ist – wie unvollkommen auch immer.« Die Phänomene des Bewusstseins stellen mentale Aktivitäten dar. Bewusst zu sein bedeutet, sich dieser psychischen Aktivität bewusst zu sein, wobei Bewusstsein als »eine Form des Funktionierens« betrachtet wird. Das Analysieren mentaler Zustände impliziert eine Differenzierungsfähigkeit des Bewusstseins. Bewusste Zustände zu unterscheiden, schließt wiederum die Aktivität des Geistes ein, der seinerseits selbst Bewusstsein ist. Bewusstsein ist folglich das Erkennen mentaler Aktivität aus der Sicht psychischer Einheit bezogen auf die bewussten Zustände. Manche setzen dies mit Selbst-Bewusstsein14 gleich – also mit »der Kraft, durch die die Seele ihre eigenen Taten und Zustände kennt.« (Porter).
Gegen diese Theorie tragen die deutschen Psychologen Bedenken vor, weil sie meinen, dass nicht jedes psychische Phänomen dieses Selbstwissen einschließt. Beide Sichtweisen sind extrem. Denn da alle psychischen Phänomene mit dem Bewusstsein verbunden sind, kann es ohne ein mehr oder weniger klares Selbst-Bewusstsein kein Wissen von ihnen geben. Selbst-Bewusstsein entsteht immer dann, wenn das Subjekt erkennt, dass die psychischen Zustände aufeinander und auf Bewusstsein bezogen sind. Bewusstsein umfasst die physiologische Basis, die man im Nervenmechanismus findet, bestehend aus dem Zentralen Nervensystem, den Nervenbahnen und den