Finderglück. Johannes Saltzwedel
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Reihe zu Klampen Essay
Herausgegeben von
Anne Hamilton
Johannes Saltzwedel,
Jahrgang 1962, studierte in
Tübingen und Oxford. Heute betreut er kulturgeschichtliche Themen, Sachbücher und klassische Musik beim SPIEGEL in Hamburg. Im Mittelpunkt seiner privaten Interessen stehen Goethe und die klassisch-romantische Geistesgeschichte (»Das Gesicht der Welt. Physiognomisches Denken in der Goethezeit«, 1993), die Antike sowie Rudolf Borchardt und seine Epoche. 2004 veröffentlichte er ein ausführliches Register zu G. A. E. Bogengs Standardwerk »Die großen Bibliophilen«, 2009 edierte er die Mitschrift einer Vorlesung von Hermann
Diels über »Griechische
Philosophie«.
JOHANNES SALTZWEDEL
Finderglück
Mäßig unzeitgemäße
Betrachtungen
Inhalt
Ins Offene Vom Ideal sprachlicher Bildung
Abschied vom Sequentiellen Notizen zur digitalen Vielfalt (1999)
Vom Weltbild in der Goethezeit
Ein Billet Goethes vom 20. November 1797
Pünktlichkeit als geistige Lebensform Karl August Varnhagen von Ense und die Bürde der Akribie
Archimedische Dichtung Rudolf Borchardt und das Unzeitgemäße
Mit fortgehenden Noten Anmerkungen über Sinn und Zukunft des Kommentierens
Ins Offene
Vom Ideal sprachlicher Bildung
Haben Sie schon einmal von einem Pensch gehört, ahnen Sie, was das ist? Die Antwort folgt sogleich – aber vorher zwei kleine wahre Geschichten.
Die erste spielt 1877 in Bingen am Rhein. Sie handelt von einem neunjährigen Jungen, der sich mit den Kameraden auf Dachböden und im Uferschilf ein Königreich ausdenkt. Der Regent im Rollenspiel ist natürlich er selbst, und um die Sache so richtig exklusiv zu machen, führt er in seinem imaginären Staat machthaberisch eine eigene Sprache namens »Imri« ein. Zwei Zeilen davon, nicht mehr, haben sich erhalten. Sie lauten: »co besoso pasoje ptoros/co es on hama pasoje boañ.« Die seltsam hispano-hellenisch klingenden Worte sind bis heute nicht enträtselt, denn ihr Erfinder, der spätere Dichter Stefan George, hat als echter Souverän im Reich von Laut und Sinn keinen Wink zu ihrer Deutung hinterlassen.
Auch in der zweiten Geschichte spielt ein Monarch die Hauptrolle. Am 10. Februar 1910 tritt im Hafen von Weymouth an der englischen Südküste eine farbenprächtige Gruppe orientalischer Würdenträger in Erscheinung: Der Kaiser von Abessinien und sein Gefolge wollen das Flaggschiff der britischen Heimatflotte besichtigen. Als an Bord der »Dreadnought« ein Admiral Uniformen erklärt, stockt der Dolmetscher nach drei Wörtern kurz, doch dann fährt er wie befreit fort: »Tahli bussor ahbat tahl aesqu miss. Erraema, fleet use«– und der Negus erwidert huldvoll, vermutlich etwas wie »Ahmavir umque canoe«. Erst zwei Tage später melden Schlagzeilen, welchem Scherz die Marine der Weltmacht aufgesessen ist. Studenten aus Cambridge, braungeschminkt, in langen Gewändern, mit Turbanen und falschen Bärten ausstaffiert, hatten sich einen riskanten Jux gemacht; mit dabei im kaiserlichen Gefolge war auch ein junges elegantes Wesen namens »Ras Mendax«, in Wahrheit Miss Virginia Stephen, aus der zwei Jahre später Mrs. Virginia Woolf werden sollte. Und geredet hatten die kecken Bildungsbürgerkinder, als ihre wenigen Brocken Kisuaheli erschöpft waren, vorzugsweise in antiken Versen, zum Beispiel aus dem vierten Buch von Vergils Aeneis, »Talibus orabat talisque miserrima fletus … «, oder vom Anfang des Epos, »Arma virumque cano«.
Natürlich soll der Spaß mit den ehrwürdigen Versen nicht als Vorbild hingestellt werden. Aber er zeigt, wie auch Georges seltsames Privatidiom, daß Laute und Sprachklänge ungeahnte Eigenkräfte entwickeln können, wenn sie losgelassen sind. Sprachliches Handeln ist für den Menschen ein durchaus elementarer Vorgang. Auch der ominöse Pensch gehört in diese Kategorie – immerhin ist er eines der ganz wenigen, scheuen Reimwörter auf »Mensch«. Leider verbirgt sich letztlich etwas recht Profanes dahinter, nämlich das unentbehrliche, zentrale Stück eines Lam-pensch-irms.
Zugegeben, die kleine Spielerei ist ziemlich angestaubt; ich habe sie schon als Kind von meinem Vater gehört, der ein Altphilologe ist, und heute wird sie im Internet hundertfach herumgereicht. Aber man spürt daran eben gut, worum es hier gehen soll: Sprache gliedert unsere Weltsicht; Sprache und Bildung gehören zusammen, sie bedingen und fördern einander; von der spielerischen Lust an der Offenheit lautlicher Möglichkeiten und der Neugier auf Bedeutung über die Freude am treffenden Ausdruck und das Horten eines Wortschatzes bis hin zum Bewußtsein poetischer Form erstreckt sich das, was zur Grundausstattung philologischen Sinnes gehört.
Kein Wunder, daß Vorläufer und Verwandte des Pensches schon in antiker Zeit ihr Wesen treiben. Da möchte Ciceros Freund Publius Nigidius Figulus das Wort ›frater‹ aus ›fere alter‹ herleiten (Gellius 13, 10, 4). Sein Zeitgenosse Marcus Terentius Varro, der stilistisch nicht allzu ehrgeizige Vielwisser der ausgehenden Republik, tadelt den Lucius Aelius Stilo, der behauptet hatte, ›lepus‹ rühre von ›levipes‹ her (Gell. 1, 18); Varro selbst wiederum war freilich überzeugt, daß ›ornatus‹ von ›os‹ und ›natus‹ abzuleiten sei (de lingua latina 5, 29, 129). Und auch sein pädagogisch weiserer Erbe, Bischof Isidor von Sevilla, meinte es nur gut, als er in seiner Realenzyklopädie namens »Etymologiae« das Wort ›lucus‹, Hain, analogisch vom Gegenteil herleitete, »quia umbra opacus parum luceat« (1, 29, 3) – übrigens ein direktes Zitat aus Quintilian (1, 6, 34), das seit langem zur spöttischen Formel »lucus a non lucendo« verdichtet ist. So gern wir über dergleichen Etymogelei lächeln, das brave Erklärungsmuster behält seinen Wert als Indiz, daß im Spielen und Spekulieren die Sprache besonders gut gedeiht. Der unermüdliche, unerbittliche Sprachdiagnostiker Karl Kraus hat gesagt: »Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück«– welch ein Ansporn, immer wieder aus verschiedenen Abständen hinzuschauen. Noch im Stammeln, Verhaspeln