Stoner McTavish - Schatten. Sarah Dreher

Stoner McTavish - Schatten - Sarah Dreher


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Ulmen ragten wie gesprungene Pilsner-Biergläser in den Himmel. Holzbänke schimmerten vor Feuchtigkeit.

      »Abkürzen?«

      Stoner versuchte das Gefühl abzuschütteln, gerade eine Vorahnung zu haben. »Ich weiß nicht.«

      »Woran denkst du? An Werwölfe?«

      »Zu wenig Büsche. Werwölfe verstecken sich immer hinter Büschen. Sie liegen hinter ihnen auf der Lauer.«

      »Und wo bitte«, fragte Gwen, »hast du dieses nützliche Schnipselchen Wissen aufgeschnappt?«

      »Spielfilm im Nachtprogramm.«

      »Und ich befürchtete schon, Tante Hermione hätte angefangen, ein bisschen mit Schwarzer Magie herumzuspielen.«

      »Tante Hermione spielt nicht mit ihrem Karma herum. Sie versucht, es rein zu halten.«

      »Stoner, bist du jemals in Versuchung gekommen, Hexenzauber auszuprobieren?«

      »Noch nie. Außerdem hab ich nicht das nötige angeborene Talent dafür.«

      »Ich denk manchmal drüber nach«, sagte Gwen, »wenn alles aussichtslos scheint.« Sie löste sich von Stoner und stürmte ein paar Meter in Richtung der Straße voran. »Nun komm schon, ich wette, es gibt hier einen ›Christliche Frauen üben Enthaltsamkeit‹-Springbrunnen.«

      Richtig, es gab einen Springbrunnen. Gewaltig, ornamentreich und scheußlich. Gemeißelte Wellen kräuselten sich um seinen Fuß, warfen sich hinauf, erschufen eine Säule aus ihrer Brandung, in der sich Delfine in selbstmörderischen Sprüngen verewigten. Obendrauf die Statue einer alten Frau, die auf die See hinausblickte.

      Stoner sah hinauf in das grausame, augenlose Gesicht der Statue. »Kein Wunder, dass ihr Mann nie zurückgekommen ist.«

      »›Für immer vom Meer verschlungen‹.« Gwen strich mit ihren Fingerspitzen über die Inschrift. »Gestiftet von den Erben des Elija Winthrop.«

      »Sie scheinen ihm recht gemischte Gefühle entgegengebracht zu haben.«

      »In diesem Landstrich wimmelt’s nur so von Winthrops.«

      »Woher weißt du das?«, fragte Stoner, die immer noch das unerbittliche Gesicht anstarrte.

      »Wie du vielleicht gehört hast, unterrichte ich Geschichte. Castleton war im neunzehnten Jahrhundert der Heimathafen reicher Schiffbaufamilien. Fast alle waren Winthrops. Ihre Dienerschaft bestand vermutlich aus Owenses und McTavishs.«

      »Lass uns das Ding in die Luft sprengen und ihre Untaten rächen.«

      »Schattenhain, so wie wir es kennen und lieben, war das Domizil der reichsten Winthrops. Sie nannten es ›Endstation‹.«

      »Ich kann mir gut vorstellen, warum.«

      »Die anderen Häuser an den Klippen gehörten irgendwelchen Vettern und angeheirateten Verwandten. Es geht die Sage, dass für die Winthrops harte Zeiten anbrachen, nachdem der einzige Sohn beim Glücksspiel getötet wurde. Die eine Tochter wurde der Zauberei – damals gerade nicht in Mode – verdächtigt, und die andere brannte mit einem französischen Tanzlehrer nach Kalifornien durch und wurde so etwas wie ein Blumenkind, Ausgabe neunzehntes Jahrhundert.«

      »Männlicher oder weiblicher Tanzlehrer?«

      »Darüber schweigen sich die Bücher aus. Das gebietet der Anstand. Der alte Winthrop schloss sich in sein Arbeitszimmer ein und grämte sich zu Tode, während er Cicero im griechischen Original las.«

      »Latein«, korrigierte Stoner. »Kannst du bitte weitermachen?«

      »Elijas Gattin, die Gerüchten zufolge etwas mystisch drauf gewesen sein soll, entschwand in einer nebligen Nacht wie dieser über den Rand der Klippen. Ihre sterblichen Überreste«, flüsterte sie geheimnisvoll, »wurden niemals gefunden. Inzwischen verprassten die diversen Vettern und angeheirateten Verwandten das Familienvermögen, bis schließlich Gläubigern aus Boston und London die Werft überschrieben werden musste, die sie runter nach Bath verlegten. Bleibt noch anzumerken, dass der alte Elija sich endgültig in sein Arbeitszimmer verkroch, wo er seinen dahinschwindenden Vorrat an Lebertran bewachte und weiterhin Cicero im griechischen Original las.«

      »Du bist verrückt.«

      »Hilfe naht«, sagte Gwen, »denk an Schattenhain.«

      »Oder an die Endstation.«

      »›An der Endstation des Lebens wird es endlich Ruhe geben‹. Oder was zu essen. Vorwärts.«

      Durch den feuchten Nebel sahen sie die Lichter der ›Hafenschänke‹ glimmern. Ein Nebelhorn krächzte ein Warnsignal. Eine Gestalt tauchte aus der Dunkelheit auf und torkelte betrunken vorbei.

      Stoner schlich sich vorsichtig vor bis zur Klippenkante und lugte hinunter. Die Gezeiten wechselten. Schwarze Wellen explodierten in phosphoreszierender Gischt an den Felsen. Kiesel klackerten zwischen massiven Geröllblöcken, als das Wasser sich ins Meer zurückzog.

      In der Ruhe vor dem nächsten Aufbrausen des pulsierenden Ozeans wurden feinere Geräusche wahrnehmbar. Das Britzeln der vergehenden Schaumperlen auf der Wasseroberfläche, das Klatschen kleiner Wellen auf Sand, das Zischen der Schaumkronen auf den anwachsenden Brechern, das sickernde Flüstern des Wassers, das sich langsam zwischen den flacheren Felsen davongleiten ließ. Sieh, sieh, sieh.

      Sie fröstelte.

      »Kalt?«, fragte Gwen.

      »Ich brauch Licht. Diese ganze Stadt ist vollkommen dunkel.«

      »Sie gehen vermutlich mit der Dämmerung ins Bett, um Strom zu sparen. Falls Castleton sich nicht von anderen Kleinstädten unterscheidet, wird sich die Hafenschänke als der Ort erweisen, in dem die Dorfjugend herumhängt. Mit allem Drum und Dran samt Pizzatresen, Video-Spielen und zügellosem pubertärem Sex. Riskiern wir’s?«

      »Gerade jetzt ist mir besonders nach Video-Spielen und pubertärem Sex zumute.«

      »Und nicht nach Pizza?«

      »Wenn wir schon in Maine sein müssen, sollten wir uns wenigstens an einem Hummer vergehen.«

      Das Restaurant war langgestreckt, eng und düster. Von den Tischen auf der einen Seite aus konnte man auf den Ozean blicken. Auf der anderen Seite gab es Sitznischen aus Plastik mit Holzmaserung und Kunstlederpolstern. Sturmlampen auf Korkuntersetzern standen auf rot-weiß karierten Plastiktischdecken. Ein Fischernetz aus Plastik hing unter der Raumdecke drapiert. Plastik-Bojen, Plastik-Angeln und Plastik-Hummer dekorierten die Wände.

      »Ich glaube«, sagte Stoner, als sie die Plastik-Speisekarte aufschlug, »dieser Laden wird von erfolglosen norwegischen Farmern aus Minnesota geführt, die infolge einer Eingebung während einer Messe nach Neuengland emigrierten. Egal, bringen wir’s hinter uns.«

      »Also wirklich, Stoner, manchmal bist du ein richtiger Snob.«

      Der Kellner tauchte auf. Sandblonde Tugend in wenig bemerkenswerter Gestalt mit geknotetem Halstuch, gestärktem weißem Hemd und hautengen schwarzen Hosen. Er stellte sich als ›Steve-heut-Abend-zu-Ihren-Diensten‹ vor.

      »Nehmt ihr Mädels einen Drink?«

      »Frauen«, verbesserte Stoner. »Ich nehme einen Manhattan.«

      Er sah Gwen fragend an. »Dasselbe für Sie?«

      »Bourbon mit Ginger Ale.«

      »Noch nie von gehört.« Er rümpfte die Nase.

      »Tja, daran können Sie sehen«, sagte Gwen, »dass ich nicht aus der Gegend hier bin.«

      »Ach? Woher sind Sie denn?«

      »Georgia.«

      »So ’n Zeugs trinken die da unten, wa?«

      »Ja. Deshalb haben sie auch den Krieg verloren.«

      Mit vorgeschobenem Becken schlenderte ›Steve-heut-Abend-zu-Ihren-Diensten‹ an die Bar.

      Stoner


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