1918 - Wilhelm und Wilson. Magnus Dellwig

1918 - Wilhelm und Wilson - Magnus Dellwig


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hoch! Es geht wieder aufwärts! Verlassen sie sich darauf, dass wir alles unternehmen werden, das in unserer Macht steht, um ihnen zu helfen.“

      Ich nicke ein weiteres Mal aus lauter Dank und schließe mit einem Schmunzeln die Augen. Für eine kurze Weile setzt sich der Geräuschpegel aus Stimmen in meinem Zimmer fort. Daraufhin tritt Stille ein. Ich sehe nur weiß. Meine Erinnerung gleitet durch die Zeiten.

      Alles weiß sah ich ebenfalls am Nachmittag des 8. Januar 1918, als ich aus dem Fenster meines Büros im schräg gegenüber liegenden Reichstagsgebäudes blickte. Der Himmel war hellgrau. Wegen des Schneefalls wurde die Straßenbeleuchtung bereits gegen 14.30 Uhr eingeschaltet. Nach den Feiertagen war ich am 7. Januar in den Arbeitsalltag zurückgekehrt und las aufmerksam die Presse des europäischen Auslandes. Wien, Bern, Rom, Paris und London natürlich. Aus Petersburg drangen nur spärliche Nachrichten über die Hintergründe für die Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen durch die Bolschewiki an unser Ohr.

      Ich dachte zurück an das vorgestrige Telefonat mit seiner kaiserlichen Hoheit, dem Kronprinzen. Wilhelm höchst persönlich rief mich aus Schloss Cecilienhof in Potsdam am Tag vor seiner Rückreise an die Front an und teilte mir mit, wie geradlinig und aufmunternd der Kronrat vom 3. Januar verlaufen sei. Äußerst zufrieden zeigte er sich mit der einhelligen Handlungsmaxime von militärischer wie ziviler Reichsleitung, die Rückkehr der Russen an den Verhandlungstisch in Brest-Litowsk binnen Wochenfrist zu erzwingen. Anderenfalls stand nunmehr die harte Drohung im Raum, die am 14. Dezember eingestellten Kampfhandlungen wiederaufzunehmen. Das beherzte Auftreten Seiner Majestät habe, so der Kronprinz, mächtigen Eindruck auf den Reichskanzler und den Chef der Obersten Heeresleitung gemacht. Generalfeldmarschall von Hindenburg und Generalleutnant Ludendorff hätten ohne Murren den Befehl entgegengenommen, die Vorbereitungen für eine schnelle Besetzung russischen Gebietes zu treffen und zwar in dem Umfange, in dem wir den russischen Staat zukünftig nach Osten abgedrängt sehen wollten. Das schlösse zur Not die Besetzung Livlands und der Ukraine vollständig ein.

      Ferner ließ sich Wilhelm II. von Ludendorff zum Stand der Generalstabsplanungen für eine Offensive im Westen berichten. Der Generalquartiermeister habe sich augenscheinlich regelrecht darauf gefreut zu diesem Thema vortragen zu dürfen. Er schilderte die Kampfkraft unserer Truppen in den buntesten Farben und nannte die Hoffnung, bis zu 100 Divisionen mit gut 1,5 Millionen Mann Mannschaftsstärke im Osten frei zu bekommen. Graf Hertling und Außenstaatssekretär Kühlmann meldeten Zweifel an, den riesigen osteuropäischen Raum dann noch mit den verbleibenden geringen Truppenkontingenten beherrschen zu können. Ludendorff habe sich daraufhin ein wenig unverbindlich aus der Affäre gezogen. Einerseits könne man die Österreicher um Unterstützung bitten. Andererseits sei die Truppenreduzierung doch ohnehin nur für kurze Zeit vorgesehen. Denn nach dem Sieg im Westen könnten schließlich Teile der Ostarmee im Herbst schon wieder in der Ukraine stehen, falls sich das als notwendig erweisen sollte.

      Ich dankte seiner kaiserlichen Hoheit beinahe überschwänglich für seinen ausführlichen und farbenfrohen Bericht über die Sitzung des Kronrats. Dennoch blieb bei mir nach dem Telefonat ein fader Beigeschmack zurück. Die deutschen Kräfte waren arg begrenzt! Zwar stimmte die Qualität unseres hervorragenden Heeres nach wie vor. Aber das quantitative Übergewicht unserer Feinde nahm stetig zu. Das Ausscheiden Russlands aus dem Krieg würde dringend erforderlich werden, um in Frankreich eine möglicherweise bereits in 1918 von den Amerikanern getragene Offensive abzuwehren. Sicher würde es besser sein, dem Feind zuvorzukommen. Aber an jenem 8. Januar kam mir erstmals die Überlegung, dass eine Westoffensive die heute durchaus noch beeindruckenden deutschen Kräfte notwendigerweise schmälern musste. Würde das Reich früher oder später abwägen müssen, ob es klüger sein würde, alles in den Kampf zu werfen und dabei unsere Reserven aus dem Osten womöglich gefährlich zu verheizen? Oder aber ob es besser sein dürfte, dem Feind irgendwie eindrucksvoll die Zähne zu zeigen, aber unsere noch sehr starken Truppen eventuell eher dafür aufzusparen, dem immer mächtiger aufmarschierenden Feind den Vormarsch in Nordfrankreich wirkungsvoll verwehren zu können? Diese Abwägung fesselte mich. So schreckte ich auf, als der Pressereferent unserer Fraktion, der junge und sehr gedankenschnelle Karl Naumann, energisch gegen meine Bürotüre klopfte und um Einlass bat, um mir etwas mitzuteilen. Die Fernschreiber aus Washington meldeten Folgendes: Präsident Wilson habe heute Vormittag eine Rede vor beiden Häusern des amerikanischen Kongresses gehalten und darin eine neuartige Initiative zur Beendigung des Krieges ergriffen. Das Ziel des Präsidenten sei die Erreichung einer Friedenskonferenz auf Grundlage seines Manifestes. In 14-Punkten habe Präsident Wilson allgemeine und auch detaillierte Forderungen erhoben. Pressereferent Naumann sei jetzt darum bemüht, jene 14 Punkte zu recherchieren und dann den vollständigen Text der Proklamation zu erhalten.

      Etwas benommen drückte ich unserem jungen, sehr guten und engagierten Pressereferenten meinen Dank für die umgehende Information aus. Die widersprüchlichsten Gefühle übermannten mich. Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und stützte vor innerer Anspannung, die sich bis zur Erschöpfung steigerte, den Kopf in meinen beiden Händen auf. Hatte ich es doch gewusst: Die Amerikaner würden etwas Neues unternehmen! Das war an sich gut, weil es neue Anknüpfungspunkte für Gespräche schuf, wenngleich kaum zu erwarten war, dass man allen von Wilsons Kriegszielen selbst bei großzügigster Interpretation der Inhalte würde aus deutscher Sicht zustimmen können. Und ich ging einen Schritt weiter: Meine um die Westoffensive kreisenden Gedanken verstärkten in mir die Gewissheit, dass die deutsche Reichsleitung alles Erdenkliche tun sollte, um Wilsons Angebot zu analysieren. Das würde uns wohl zu der Erkenntnis gelangen lassen es sei gut, zwar vielleicht nicht heute oder morgen, aber sehr wohl nach einem Angst erfüllenden Säbelrasseln unserer 100 Divisionen Verstärkung aus dem Osten einen kreativen und vielleicht gar maßvollen eigenen Vorschlag für die Aufnahme von Verhandlungen zu unterbreiten.

      Die Inszenierung Wilsons, seine Initiative in eine große Rede vor Repräsentantenhaus und Senat zu kleiden, imponierte mir und machte deutlich, dass dieser Präsident es wohl niemals würde lassen können oder auch nur wollen, sein Handeln als einen welthistorischen Kreuzzug für die Verbreitung der Demokratie herauszustellen. Dieser Propaganda würden wir Monarchisten in Deutschland vielleicht nie ganz das Wasser reichen können. Umso wichtiger war für mich am Abend des 8. Januar 1918, als ich vom Reichstag kommend bei meiner lieben Käte zu einer wärmenden und stärkenden Hühnerbrühe eingetroffen war, dass in Deutschland das allgemeine und gleiche Wahlrecht bald und uneingeschränkt zum Zuge käme. Als eine parlamentarische Monarchie würden wir mit Amerika sehr viel leichter auf Augenhöhe verhandeln können als eine Monarchie, die in den Staaten stets denunziert würde als Regime der Junker, Militärs und Zechenbarone. Für den kommenden Tag war die erste Sitzung meiner Fraktion im neuen Jahr anberaumt. Es gab wichtige Entwicklungen zu erörtern: Den Kronrat, Wilsons 14 Punkte, vielleicht auch Neuigkeiten von den Verhandlungen in Brest-Litowsk. Schließlich war Lenins vertrauter Leo Trotzki dort als Verhandlungsführer der Bolschewiki am 7. Januar eingetroffen, um Joffe abzulösen. Mich überfiel die Müdigkeit, als ich in meinem Arbeitszimmer zu Hause Aufzeichnungen für meine morgige Sitzungsleitung machte. Anschließend schlief ich in der Gewissheit tief und fest ein, dass 1918 das bislang wohl wichtigste Jahr des noch jungen 20. Jahrhunderts zu werden versprach. Chancen und schier unlösbare Aufgaben lagen dabei sehr nahe beieinander. Der darauf folgende Tag sollte ein wichtiger Tag für meine Verarbeitung der Nachricht von Wilsons 14 Punkten werden. Ich konzentriere mich darauf, was sich im einzelnen damals ereignete, nachdem ich am Morgen des 9. Januar 1918 in den Reichstag gefahren war.

      Oberst von Gilsa stürmt in den Sitzungssaal der Nationalliberalen Fraktion und direkt auf mich zu. Er ist einer der typischen Parteigänger der Schwerindustrie aus dem Rheinisch-Westfälischen Industriegebiet. In seinem Fall ist das sogar gänzlich offenkundig und aller Welt bekannt, da er in einer Zeit ohne Reichstagsmandat unmittelbar vom Oberhausener Konzern Gutehoffnungshütte eine Vergütung bezog. So wundert es niemanden in meiner Fraktion, wenn von Gilsa und andere bei Kriegszieldiskussionen stets den schärfsten Ton anschlagen, die umfassendsten territorialen Forderungen erheben und es vor allem auf das französische Erzbecken von Longwy / Briey abgesehen haben. Jedenfalls berichtet mir von Gilsa über ein Telefonat, dass er gestern spät mit seinem Kameraden Oberst Bauer von der OHL in Spa geführt habe.

      „Dieser Trotzki ist eine Unverschämtheit und ein Teufelskerl in einer Person! Bei der Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen


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