Razzia. Horst Bosetzky
glückliche Volltreffer sind.»
Klara seufzte. «Schade, dass unsere Margarete schon vor dem Krieg geheiratet hat – einen Deutschen auch noch. Sonst würden wir auch immer so schöne Carepakete bekommen.» Und sie zählte auf, was die Nachbarn, die Krauses, alles in ihrem letzten Carepaket gehabt hatten.
Das nun war Hertha Börnicke etwas zu profan, und sie bemühte sich wie immer, das kulturelle Niveau der Familie Kappe zu heben, indem sie über den Film Professor Mamlock referierte, den sie im Kino Aladin in der Friedrichstraße gesehen hatte. « Professor Mamlock ist ja ursprünglich ein Schauspiel von Friedrich Wolf, das im Januar 1934 im Jüdischen Theater Warschau Weltpremiere hatte. 1938 wurde es in der Sowjetunion verfilmt.»
Kappe empfand den Besuch seiner Cousine immer mehr als ärgerliche Störung seiner Feierabendruhe. So fragte er denn auch ziemlich schroff, ob sie nur gekommen sei, um ihnen zu erzählen, dass sie den Mamlock-Film gesehen habe.
«Nein, eigentlich bin ich hier, weil ich eine Sendung über die Gefahren des schwarzen Marktes machen will. Der US-Korporal da in Tempelhof ist offensichtlich auch bei einem Tauschgeschäft ums Leben gekommen, und in Neukölln sind erst vor kurzem zwei Männer ausgeraubt und ermordet worden, die sich in ihrer Wohnung auf Tauschgeschäfte mit Personen eingelassen hatten, die ihnen völlig unbekannt waren.»
«Diesen Rembowski nicht zu vergessen, den sie in Pankow erschlagen haben.»
«Du bist aber nicht mit der Aufklärung des Falles betraut worden, oder?», fragte Hertha Börnicke.
«Nein, das macht mein Herr Sohn in der Dircksenstraße. Da musst du schon Hartmut fragen. Wir sitzen hier im amerikanischen Sektor, und Pankow gehört bekanntlich zum sowjetischen Sektor.»
Seine Cousine winkte ab. «Da darf ich mich als Mitarbeiterin des RIAS nicht sehen lassen.»
«Ich bin lieber auch nur privat und ohne Dienstmarke dort», sagte Hermann Kappe. «Obwohl wir ja eigentlich immer noch eine Polizeibehörde sind und einen gemeinsamen Chef haben, unseren stellvertretenden Oberbürgermeister Ferdinand Friedensburg von der CDU.»
«Verhältnisse sind das!», rief Klara Kappe.
Da musste Hertha Börnicke ihr zustimmen. «Ja, und täglich berichten die Zeitungen von angeblichen Kriminalbeamten, die sich durch Vorzeigen gefälschter Ausweise Zugang zu Wohnräumen erschleichen und dann alles ‹beschlagnahmen›, was sich auf dem schwarzen Markt verkaufen lässt.» Sie sah Kappe an. «Weißt du was davon?»
Kappe grinste. «Was heißt hier ‹angebliche Kriminalbeamte›? Auch wirkliche kommen auf diese Weise zu Essen und Trinken, zu Perserteppichen und Schmuckstücken. Ich ziehe selbst gleich wieder los.»
Er wusste, dass seine schroffe Reaktion damit zusammenhing, dass Hertha Börnicke ihn an seinem derzeit wohl empfindlichsten Punkt erwischt hatte. Er war nämlich durch Zufall dahintergekommen, dass sein Sohn Karl-Heinz kurz vor Weihnachten seine Kripomarke und seinen Dienstausweis gestohlen hatte, um ebendas zu tun, was Hertha Börnicke soeben geschildert hatte. Bis jetzt hatte außer ihm offenbar niemand etwas gemerkt, aber Kappe wusste, dass irgendjemand es früher oder später herausfinden würde.
Karl-Heinz Kappe gefiel sich in der Rolle des schwarzen Schafes der Familie. Was blieb ihm anderes übrig? Zwar sprach sein Vater wieder mit ihm, nachdem die Großmutter mit ihrem Leitspruch Vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unseren Schuldigern zwischen ihnen beiden vermittelt hatte, aber es waren nicht einmal vier Jahre her, dass es ihn zur Hitlerjugend und zur Waffen-SS gezogen hatte. «Mir wäre lieber, er hätte einen Mord begangen, als das», hatte sein Vater damals gemurmelt. Nach dem Krieg hatten ihn die einen nicht haben wollen, und im Kreise der anderen, der alten Nationalsozialisten und der Wehrmachtsoffiziere, zeigte man sich besser nicht. Er war jetzt 21 Jahre alt und merkte mehr und mehr, dass er der geborene Händler war. Kein Wunder, gab es doch mit Oskar Kappe, seinem Onkel, und Richard Börnicke zwei ausgewiesene Kaufleute in der Familie. Aber bis er ein eigenes Geschäft oder gar einen Großhandel eröffnen konnte, musste er erst noch eine Weile kleine Brötchen backen, das heißt auf dem Berliner Schwarzmarkt sein Glück versuchen. Was ihm dabei zugutekam, waren seine Intelligenz, seine Dreistigkeit und seine Begabung für fremde Sprachen. Das erleichterte die Geschäfte mit den Soldaten aller drei westlichen Besatzungsmächte ganz erheblich, und so kam es, dass sich die Großen der Branche gern seiner bedienten. An diesem Wochenende hatte ihn sogar Arthur Schlattke in seine Villa eingeladen, um einiges mit ihm zu besprechen.
Gemeldet war Karl-Heinz Kappe derzeit in der Eisenacher Straße in Schöneberg, er wohnte aber mal hier, mal dort – je nachdem, wo er gerade eine Freundin hatte. Dieser Tage logierte er bei Marga, die sich ihr Geld, wie sie selber sagte, mit der Pflaume verdiente. Ihm war es egal, Hauptsache, er holte sich keinen Tripper bei ihr. Sie konnte sich eine geradezu luxuriöse Wohnung in der Meinekestraße in Charlottenburg leisten. Ein paar Schritte, und man war am Kurfürstendamm.
Marga war von Hause aus Krankenschwester, was sie für bestimmte Kunden besonders interessant machte – nämlich für die, die schwer verletzt aus dem Krieg gekommen waren. Auch wer Angst vor Geschlechtskrankheiten hatte, fühlte sich bei ihr sicher aufgehoben.
Sie sah, dass sich Karl-Heinz Kappe seinen besten Anzug angezogen hatte. «Willste noch ausgehen heute?»
«Nee, ich will noch raus nach Schlachtensee zu Arthur Schlattke, mit dem ein paar neue Sachen anleiern.»
Als sie den Vornamen Arthur hörte, musste Marga lachen. «Ah, der schöne Arthur mit der flotten Haartour!» Wie viele Berliner dachte sie bei diesem Namen sofort an ein sehr populäres Couplet des Komponisten Leopold Maass mit dem Titel Arthur mit der Haartour.
Karl-Heinz Kappe verstand den Scherz nicht, er wusste nur, dass Schlattke sauer reagierte, wenn ihn jemand Atze nannte.
Als er Marga das erzählte, staunte sie. «Zu Artur Brauner dürfen doch auch alle Atze sagen.» Seit Brauner die CCC-Film gegründet hatte und große Pläne schmiedete, war er immer wieder in den Zeitungen.
«Ja, der eine so, der andere so.»
«Fährste mit der S-Bahn nach Schlachtensee?», wollte sie wissen.
«Nein, mit ’ner Taxe, wenn ich schon kein eigenes Auto habe. Bei Schlattke kann man nicht als lumpiger Fußgänger antanzen.»
Arthur Schlattke war am 13. Mai 1916 in Nürnberg als Sohn eines Kolonialwarenhändlers zur Welt gekommen, hatte die Schule mit dem Einjährigen erfolgreich zu Ende gebracht und dann bei der AEG in Berlin Industriekaufmann gelernt. 1937 meinte er, aufs richtige Pferd zu setzen, wenn er in die NSDAP eintrat. Von Pferden verstand er etwas, denn er hatte schon als Kind das Reiten erlernt, und so war es kein Wunder, dass er im Krieg als Obergefreiter und Gruppenführer zur reitenden Schwadron der bayerischen Aufklärungsabteilung 7 abgeordnet wurde. Im Oktober 1943 war ihm am mittleren Dnjepr für seinen Einsatz als Stoßtruppführer das Ritterkreuz verliehen worden. In der Begründung hatte es geheißen: Als Einzelkämpfer rang der Obergefreite zwei feindliche Pak-Bedienungen nieder und setzte mit mehreren Handgranatenwürfen die sowjetische Grabenbesatzung nach und nach außer Gefecht. Gegen Ende des Krieges war er bei der Ardennen-Offensive zum Einsatz gekommen und von den Amerikanern gefangen genommen worden. Im Lager gab es ein Klavier, und da er ein blendender Pianist war, holten ihn die Amerikaner in ihr Casino. Schon immer war sein Englisch ausgezeichnet gewesen, und bald hatte er Freunde unter den amerikanischen Offizieren gefunden, auch Männer, die an kleinen und größeren außerdienstlichen Geschäften interessiert waren. Nach Ende des Krieges war er seiner großen Liebe wegen nach Berlin gezogen, und hier hatte er wegen seiner guten Kontakte zur Besatzungsmacht schnell ein Unternehmen aufgebaut, ganz legal mit ordentlicher Fassade, Ex- und Import, das mit allem Möglichen handelte – von Opium über Brillanten bis hin zu Tabak und Lebensmitteln. Das große Geld machte er mit Schokolade und Zigaretten. Es hatte schon zu einer stattlichen Villa in Schlachtensee gereicht, in der Matterhornstraße. Verheiratet war er mit Dorothea, der Tochter eines Berliner Chirurgen. Zwei Kinder hatten sie. Seine Entnazifizierung war unproblematisch verlaufen, denn natürlich hatte er bei der Antragstellung verschwiegen, dass er noch immer im Stillen sang:
Wir werden weiter marschieren
Wenn