Fakemedizin. Christian Kreil
I: Die irre Welt der Seuchenfreunde
Impfgegner II: Eine wilde Propagandaschlacht
Impfgegner III: Die Stunde der Verschwörungsplauderer
Prolog
Der Medizinmann bei den Zande – das ist ein Volk in Zentralafrika – kann den Sonnenuntergang hinauszögern. Das geht recht einfach. Der Medizinmann legt dazu einen Stein in die Astgabel eines Baumes.
Der deutsche Arzt Jens Wurster behauptet, eine Corona-Erkrankung heilen zu können. Auch das geht einfach: Der homöopathische Herr Doktor legt dazu Zuckerkügelchen auf die Zunge seiner Patienten.1
Die beiden verstehen ihr Handwerk. Es hat aber nichts mit Heilung oder Medizin zu tun. Warum die beiden nicht mit einem nassen Fetzen aus ihren Städten oder Dörfern verjagt werden? Das ist die Frage, die dieses Buch stellt. Ich kann Ihnen leider nicht allzu viel Spaß beim Lesen wünschen. Das Lachen ob mancher Praktiken von Ärzten, Schamanen und Scharlatanen im Namen von Heilung und Medizin bleibt uns nämlich schnell einmal im Hals stecken. Ich wünsche Ihnen aber, dass dieses Buch Ihre Sinne schärft, um faulen Zauber erkennen und Fakemedizin widersprechen zu können.
Der Medizinmann bei den Zande zaubert aber nicht nur mit der Sonne, deren Untergang er verzögert. Er »operiert« auch. Er schmiert Patienten, die an Bauchschmerzen leiden, eine Paste aus zerstoßener Rinde, Holzkohle und allerlei zermalmten Insekten auf den nackten Bauch, dazu murmelt er heilsame Sprüche.
Weniger kompliziert geht der Wiener Arzt Michael Pani an die Sache heran. Der Kinderarzt hat bis zum Frühjahr 2020 über einen Webshop kleine Therapiefläschchen vertrieben. Auf der Webseite des Arztes konnten wir lesen, dass die Fläschchen mit Informationen gegen Bakterien und Viren aufgeladen sein sollen.2 Verreiben muss der Mediziner nichts. Er macht sich im Gegensatz zu seinem Kollegen in der afrikanischen Savanne die Finger nicht schmutzig. Pani rät seinen Patienten, die magischen Fläschchen 20 Minuten vor (!) die Brust zu halten. Die heilsame Information springe dann schon auf den Körper über. (Das Angebot mit den wundersamen Fläschchen ist auf wundersame Weise von der Webseite des Mediziners verschwunden, nachdem ich in der Stiftung Gurutest erstmals darüber berichtet hatte.)
Noch smarter ist die Medizin des bayerischen Arztes Mathias Künlen. Er verschickt gegen Vorabkasse Zettel mit QR-Codes. Die sollen vom Patienten an ein Glas Wasser gehalten werden. Wird das Wasser getrunken, soll die Heilung beginnen. Der QR-Code für Frauen, die an Wechseljahresbeschwerden leiden, ist auf der Webseite medicodes.net für 39 Euro zu haben, der Code gegen Reizdarm kostet nur 19 Euro.
Ich vermute, dass sich der Medizinmann der Zande in Afrika ein wenig fremdschämen würde, wenn er erfährt, was sich seine Kollegen in Mitteleuropa erlauben. Ich muss mich nicht weit aus dem Fenster lehnen, wenn ich behaupte: Die soeben skizzierten Beispiele sind pure Scharlatanerie. Diese Scharlatanerie konnte sich in den letzten Jahrzehnten in Mitteleuropa unter dem Label »Alternativmedizin« etablieren. Sie wird propagiert von schillernden Gurus, die als Influencer des Irrsinns den Boden bereiten für Scharlatane. Scharlatane, die haltlose Heilversprechen abgeben – völlig unabhängig davon, ob sie das als ausgebildete Ärzte tun, die ihr Berufsethos verraten, oder als selbst ernannte Heiler ohne Ausbildung. »Alternativmedizin«, das ist zudem ein schier unüberblickbares Sammelsurium von Anwendungen, Medikationen, Zaubermitteln und Gerätschaften, die eines gemeinsam haben: Für die Heilung sind sie so wirksam wie ein gegen den Uhrzeigersinn in den Schnee gepinkeltes Herz. Im Gegensatz zu diesem kosten sie fast ausnahmslos Geld.
»Alternativmedizin« ist offensichtlich Teil unseres Lebens. Man entgeht ihr und Diskussionen darüber nur mit Mühe. Sie ist Teil eines Phänomens, das man – vereinfacht gesagt – unter der Bezeichnung Esoterik zusammenfasst. Der Markt dafür ist fast unüberschaubar groß und facettenreich: Wir finden Heilsteine und Engelsprays, die unser Gemüt erhellen sollen, Wahrsagereien, Mondholz, Talismane, Seminare für mehr Bewusstsein und eine bessere Erdung, Ausbildungen zum Schamanen, Retreats beim Schamanen und Trommeln für den praktizierenden Schamanen. Wir können uns durch einen Wust an erbaulicher und verschwurbelter Literatur arbeiten, die Kilometer von Buchregalen füllt.
Irgendwann landen wir aber mit Sicherheit bei den in diesem Buch beschriebenen »alternativmedizinischen« Produkten und Praktiken. Mit Esoterik und »Alternativmedizin« wird in Mitteleuropa ein weitaus höherer Umsatz gemacht als mit Alkohol.
Es scheint, wir haben nicht nur schlechte Leberwerte.
1 Natur und Heilen, Homöopathie – Behandlungserfolge bei COVID-19, Oktober 2020
2 https://web.archive.org/web/20190803075422/, http://www.drpani.at/immunstaerkung-2/
Eine Bestandsaufnahme
Ich befasse mich seit fast zehn Jahren mit Esoterik, Fakemedizin und Verschwörungsplaudereien. Ich schreibe darüber in meinem Blog Stiftung Gurutest in der österreichischen Tageszeitung Der Standard. Der Name der Kolumne ist provokant, das ist Absicht. Eine Reihe von Fragen wird immer wieder an mich gerichtet. Die häufigste: Warum tue ich mir das an? Meine Antwort lautet: Ich lasse mich ungern für dumm verkaufen, und ich will auch nicht, dass jemand meine Mitmenschen für dumm verkauft. Wenn ich mit Bekannten über kleine Zipperlein plaudere, die uns hie und da plagen, werde ich fast täglich mit »Alternativmedizin« konfrontiert. Mir werden homöopathische Notfalltropfen angeboten, wenn ich scherzhaft meine Angst vor dem Zahnarzt erwähne. Bekannte erzählen bedeutungsschwer, dass der Energetiker mit Bioresonanz herausgefunden hat, was die Ursache für die Frühjahrsmüdigkeit ist: Vitamine! Und davon hatte er zufällig ein paar im Schrank zum Verkauf. Ein feines Set homöopathischer Globuli scheint ohnehin in fast keinem Haushalt zu fehlen. Bin ich ein paar Wochen ein wenig schlapp beim Radfahren, raten mir Kollegen von der wöchentlichen Radausfahrt, mich doch einmal von einem Energetiker austesten zu lassen.
Diesen Leuten ist oftmals gar nicht bewusst, dass das, was sie da propagieren, Pseudomedizin ist. Die Leute, die ich und vermutlich auch Sie kennen, sind nicht dumm. Aber sie fallen auf ein Marketing der Pseudomedizin herein, das ausgefuchst ist.
Was mich unter anderem motiviert hat, dieses Buch zu schreiben: Die Mehrzahl der Reaktionen auf meine Beiträge ist positiv. Ich erhalte täglich E-Mails von Personen, die sich bedanken, mir Hinweise zu Gurus und Scharlatanerien geben und mich bitten, denen mal – schreibend – eine vor den Latz zu knallen. Mein Blog verzeichnete mehr als 6 Millionen Aufrufe (Stand November 2020), unter meinen Beiträgen finden sich gut 50.000 Kommentare von Lesern.
Das Thema interessiert und bewegt Menschen, hie und da werde ich für Reportagen zu Interviews gebeten oder zu Fernsehdiskussionen eingeladen. Besonders prickelnd ist es, dabei einem der von mir »getesteten« Gurus gegenüberzusitzen. Im November 2019 war ich zu einem Talk im ORF mit Rüdiger Dahlke geladen. Die Plaudertasche unter den Gurus fand es nicht sehr prickelnd, von einem »Nobody« wie mir als »Kalauer-Mediziner« bezeichnet zu werden. Er drohte sogar, die Diskussion zu verlassen.
Bedrückend sind indes Zuschriften von Ärzten oder Angehörigen, die von verschleppten oder verweigerten Therapien bei ernsten Krankheiten berichten, weil ein selbst ernannter Heiler oder ein skrupelloser Arzt schwer kranken Menschen haltlose Heilversprechen macht. Leute, die mich – in der Regel von anonymen E-Mail-Accounts – beschimpfen, gibt es auch. Die sind aber in der Minderheit, und in meinem Papierkorb