Fakemedizin. Christian Kreil

Fakemedizin - Christian Kreil


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dazu, mich über »Alternativmedizin« auszulassen? Ich stelle dann zumeist die Gegenfrage: Muss ich Pilot oder Flugzeugkonstrukteur sein, um feststellen zu können, dass der fliegende Teppich aus dem Märchen 1001 Nacht niemals abheben wird? Eben. Ich schreibe nicht über Medizin, ich schreibe über Pseudomedizin und versuche, sie bestmöglich zu dechiffrieren.

      Von dieser Seite kommt auch meist der Vorwurf, ich würde nicht fair an die Sache herangehen, ich sei voreingenommen und ließe »die andere Seite nicht zu Wort kommen«. Das muss ich zurückweisen. In der Regel zitiere ich die Ärzte, Gurus und Scharlatane sehr ausführlich. Ich klicke mich zu diesem Zweck durch stundenlange YouTube-Filmchen und wühle mich durch Webseiten, Bücher, Newsletter und Flyer der zumeist sehr mitteilungsbedürftigen Akteure. Ich nehme diese Leute einfach beim Wort, etwas Entlarvenderes gibt es kaum.

      Hie und da muss ich zu journalistischen Tricks greifen, um Informationen zu bekommen. Auf eine offene Anfrage in meinem Namen reagieren die Akteure in der Regel nicht. Mein Name ist nicht mehr ganz unbekannt in der Esoterikszene. Ein Aurachirurg, den ich mit meinem echten Namen für eine Stellungnahme kontaktiert hatte, schrieb mir zurück: »Ich habe mir Ihre Artikel angesehen und bin nicht bereit, Ihnen zu antworten.«

      Großes Verlangen, von mir thematisiert oder porträtiert zu werden, hat in der Szene kaum jemand. Brauchbare und entlarvende Informationen erhalte ich in der Regel dann, wenn ich mich mit einer Fake-Identität als Patient ausgebe. Kaum wittern die Akteure einen Kunden, wird geplaudert und die Heilung vom blauen Himmel herunter versprochen. Wittern die Akteure einen wohlbestallten Kunden, sind sie beim Plaudern und Schwurbeln gar nicht mehr zu stoppen. Meine Vorgehensweise ist natürlich ein wenig »g’feanzt« – wie wir Österreicher sagen. Und ich weiß, das gibt Abzüge auf meinem Karma-Konto. Aber: Dem einen oder anderen skrupellosen Heilversprecher hat eine Veröffentlichung von mir bereits die Flügel gestutzt. Immer wieder verschwinden dubiose Heilangebote von Webseiten, nachdem ich in meiner Kolumne darauf hingewiesen habe. Wenn künftig weniger ahnungslose Kranke auf solche Scharlatane hereinfallen, dann hat sich die Sache gelohnt, finde ich.

      In diesem Buch beschränke ich mich auf jenen Teil der Esoterik, die den Anspruch erhebt, bei Gesundheitsthemen mitreden zu können – und das ist eben die »Alternativmedizin«. Alles andere würde den Rahmen sprengen. Das Buch nennt die Dinge beim Namen und verpasst der »Alternativmedizin« einen neuen. Aus einem ganz einfachen Grund: Wenn etwas nachweislich hilft oder heilt, dann ist es Medizin (und keine »Schulmedizin«), wenn etwas nicht hilft oder heilt, dann ist es keine Medizin und auch keine »Alternativmedizin«, sondern: Fakemedizin.

      Diese Bezeichnung ist bewusst gewählt, und sie spielt natürlich auf den Begriff Fake News an. Diese machen uns seit einigen Jahren das Leben schwer, sie überfluten die sozialen Medien, populistische Politiker nutzen sie schamlos für ihre Agenda. Dass Fake News oftmals die Agenda der Fakemedizin bedienen, ist evident. Wenn wir in einem dubiosen Internetkanal lesen, dass Bill Gates den Corona-Virus in die Welt gesetzt hat, um uns mit einer Impfung, deren Serum er längst in seinem Kühlschrank gelagert hat, einen Chip einzupflanzen, mit dem uns eine Elite künftig fernsteuern kann, dann wissen wir: Es sind Fake News. Fake News sind und bleiben Falschmeldungen, und zwar völlig unabhängig davon, ob sie Donald Trump oder Millionen von Menschen gefallen. Ebenso ist und bleibt Fakemedizin Unsinn, auch wenn Millionen Menschen darauf schwören.

      Dieses Buch gibt Ihnen einen Überblick über wesentliche Akteure der Fakemedizin und allerlei Praktiken und Schulen und Tand. Ich habe keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Bei den Recherchen zu diesem Buch poppten an allen Enden neue Scharlatane und Fakemedizin-Angebote auf, von denen ich noch nie gehört hatte. Eine vollzählige Auflistung wäre der Irrsinn, es würde nicht ein Buch füllen, sondern ganze Regale. Es gibt noch viel zu tun für die Stiftung Gurutest.

      Die Auswahl, die ich getroffen habe, ist daher ein buntes Potpourri. Es reicht von lustigen Vögeln, über die man mit etwas gutem Willen noch lachen kann, über messerscharf kalkulierende Tandverkäufer, über deren Chuzpe man sich ärgern muss, über zynische Seuchenfreunde, die sich selbst gern als Impfkritiker zu verharmlosen versuchen, bis zu ideologisch motivierten Agitatoren, deren menschenverachtenden Anschauungen man mit aller Vehemenz entgegentreten muss.

      Ein elektronisches Kästchen mit dem schönen Namen Ravo-­Zapper verspricht, die Krankheiten einfach aus unserem Körper wegbrummen zu können. Um knappe 500 Euro wandert das Teil in den Warenkorb, 100 unterschiedliche Frequenzen sind im Preis enthalten, sie werden einfach im Display ausgewählt, und sie helfen bei Alkoholismus, Impotenz, Migräne, Neurodermitis, Krebs und 95 weiteren Leiden. Man muss in dem Gerät nur die richtige Programmnummer einstellen.

      Allerlei Gurus bereiten in Büchern und Vorträgen vor einem Millionenpublikum den Boden für eine Atmosphäre, in der man über den ernsthaften und gewissenhaften Wissenschaftler lacht, während man dem kalauernden Schlangenölverkäufer mit aufmerksamer Miene sein Ohr schenkt.

      Was ich ebenfalls oft gefragt werde: Ob ich denn nicht akzeptieren könne, dass es »zwischen Himmel und Erde« mehr geben kann, als wir mit unserem Verstand erfassen können?«

      Meine Antwort darauf ist erstens: Was wir mit unserem Verstand nicht fassen können, das wird uns wohl auf ewig verborgen bleiben. Zweitens: Ich lasse mir ungern von jemandem erzählen, dass ausgerechnet er etwas fassen kann, wofür es mir und dem Rest der Welt an Verstand fehlt. Drittens: Mit meinem Verstand kann ich sehr gut erfassen, dass die Anbieter der Fakemedizin mit beiden Beinen auf dem Boden stehen, auch wenn sie sich gern eine wenig zwischen Himmel und Erde schwebend darzustellen versuchen. Dieses Buch appelliert daran, unseren Verstand zu nutzen, um mit Scharlatanen Tacheles reden zu können.

      Die große Fangfrage an mich wird selten ausgelassen: Ob ich denn selbst völlig immun bin gegen Spirituelles, Übersinnliches, Magie oder Unerklärliches. Ich gebe zu: Wenn mir eine Zeitung in die Hand fällt, lese ich schon mal mein Horoskop und freue mich natürlich, wenn die gute Fee, die ein paar Zeilen über mein Sternzeichen getippt hat, mir just an dem Tag Glück im Spiel, in der Liebe im Beruf und im Sport prophezeit. (In meinem Lebenslauf gebe ich an, kein Sternzeichen zu haben. Da dürfen Sie sich ein Augenzwinkern hinzudenken. Ich bin Schütze, und was esoterischen Unsinn betrifft, bin ich sogar Scharfschütze.)

      In meinem Auto befindet sich eine kleine Christophorus-Plakette. Christophorus ist der Patron der Reisenden. Die silberne Plakette hat mir meine Mutter geschenkt, zusammen mit dem klaren Auftrag, sie auch wirklich im Auto anzubringen. Der Christophorus trägt zu meiner Sicherheit im Auto bei. Vermutlich fällt er mir manchmal ins Auge und erinnert mich daran, dass sich jemand um mich sorgt. Und vielleicht fahre ich deswegen tatsächlich vorsichtig, und sei es unbewusst. Das kleine Totem in Form eines münzgroßen Heiligenbildes wirkt also. Der Punkt ist aber der: Ich würde deswegen nicht darauf verzichten, mich anzugurten. Müsste ich die Wahl treffen zwischen Christophorus und dem Sicherheitsgurt, so würde ich den Sicherheitsgurt wählen. Auf die Christophorus-Plakette alleine würde ich mich im Straßenverkehr nicht verlassen. Würde ich die Argumentation der Fakemediziner auf den Straßenverkehr übertragen, dann hieße es: Mit dem Christophorus bist du auf der sicheren Seite, das ist sanfter als der Sicherheitsgurt der Autoindustrie. Vertrau lieber auf deine Selbstsicherheitskräfte und nicht auf eine Mechanik, die auf deine individuelle Konstitution im Straßenverkehr keine Rücksicht nimmt. Und vergiss nicht,


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