Burn-In statt Burn-Out. Klaus D. Biedermann

Burn-In statt Burn-Out - Klaus D. Biedermann


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bloß die Landkarten anschauen, die andere Menschen darüber angefertigt haben. Wenn Sie nur diesen Karten glauben, werden Sie die Berge verpassen, selbst wenn Sie unmittelbar davorstehen. Sie wären dermaßen voreingenommen, dass Sie der Schönheit der Bergwelt gegenüber blind wären.

      Einleitung

       Leben ist das langsame Ausatmen der Vergangenheit

       und das tiefe Einatmen der Gegenwart,

       um genügend Luft für die Zukunft zu haben.

      Quelle unbekannt

      Wenn man sich die steigenden Zahlen der stressbedingten Burn-out-Diagnosen anschaut, kann man sich die Frage stellen, ob es dieses Phänomen nicht bereits in früheren Zeiten gegeben hat. Vielleicht trat Burn-out nicht in dem gleichen A­usmaß auf wie in unserem heutigen Wirtschafts- und Kulturkreis. Ich scheue mich fast, in diesem Zusammenhang das Wort Kultur zu benutzen, obwohl es schon wieder sehr treffend ist, wenn man darunter ganz wertneutral ›etwas, das von Menschen geschaffen wurde‹ versteht. Der deutsche Arzt Hans Selye, der als ›Vater der Stressforschung‹ gilt, untersuchte das Phänomen bereits in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts. Beeinflusst war er von dem New Yorker Nervenarzt Dr. Miller-Burt, der schon 1870 die Symptome unter dem Begriff Neurasthenie zusammengefasst hatte.

      Dr. Selye führte den Begriff AAS (Allgemeines Anpassungssyndrom) ein und verwandte erst Mitte der 40er Jahre dafür den Begriff Stress. Populär wurde der Begriff bei uns in den 70er Jahren durch eine Sendung des ZDF. Der Begriff Burn-out wurde erstmals von dem New Yorker Psychoanalytiker Herbert Freudenberger eingeführt, der damit die völlige Erschöpfung von Menschen in helfenden Berufen meinte.

      Stress kommt sehr individuell daher. Was den einen unter Stress setzt, entlockt dem anderen vielleicht nur ein müdes Lächeln. Erst kürzlich wurde mir dies wieder vor Augen geführt: In einem Café unterhielten sich am Nebentisch zwei ältere Damen. Auf einmal sagte die eine: »Dass mein Bruder mich nicht anruft, stresst mich total«, und beklagte sich eine Viertelstunde über den bewussten Bruder. Da soll einmal jemand behaupten, Stress käme nur von außen. In diesem Fall sicher nicht; hier löste das Fehlen einer Aktion wohl eher einen Bore-out aus, der ähnliche Symptome aufweist wie ein Burn-out. Der Stress der Dame war im wahrsten Sinne des Wortes hausgemacht.

      Wenn man sich nur mit den Auswirkungen von Stress beschäftigt, kann es wirklich kompliziert werden. Aber es geht mir zunächst einmal nicht um die Auswirkung, sondern um die Erzeugung. Wenn Sie wissen, wie Sie Stress herstellen, dann liegt die Lösung auf der Hand. So individuell die Stresserzeugung auch ist – meist finden sich mehr oder weniger die gleichen Rahmenbedingungen. Zunächst hat man eine Idee, dann fragt man sich: Schaffe ich das? Es folgt die Überlegung, welche Schwierigkeiten auftauchen könnten und welche schlimmen Konsequenzen diese wiederum hätten. Somit ist klar: Es wird nicht einfach. Schon das kann Stress machen.

      Die Schuld am Burn-out wird meist unseren beschleunigten Arbeitsprozessen und der ständigen Verfügbarkeit gegeben. Als Reaktion darauf führten einige Unternehmen stressreduzie­rende Gegenmaßnahmen ein, beispielsweise das temporäre Abschalten der Server für geschäftliche E-Mails. Bei Daimler werden E-Mails, die während des Urlaubs ankommen, sogar gelöscht. Doch wird hier nur am Symptom geschraubt – für Einzelne durchaus hilfreich, um gar nicht erst in einen gefährlichen Strudel zu geraten –, die Lösung für das Phänomen Burn-out ist dies aber nicht. Vielmehr stellt sich die Frage, wie Menschen besser mit diesen Anforderungen umgehen können. Die Grenzen sind bei jedem anders; doch werden diese überschritten, kollabiert der Mensch. Ist es in diesem Zusammenhang nicht bemerkenswert, dass hier oft nur Alkohol oder andere Drogen wie Nikotin und Psychopharmaka zu helfen scheinen? Das sind wahrlich tückische Weggefährten, die sich früher oder später als Mörder entpuppen können. Wo sind wir eigentlich angekommen?

      Stress hat nie in erster Linie mit den Umständen zu tun, sondern damit, wie man diese betrachtet und mit ihnen umgeht. Schwierig ist es nicht, Stress zu erschaffen, das können wir alle. Folglich kann es ebenso einfach sein, ihn zu beenden. Wie aber lässt sich einem Stresszustand ein Ende setzen?

      Zunächst muss man sich eines wichtigen Umstandes bewusst werden: Niemand anderes als man selbst erzeugt jenen Stress. Dafür verantwortliche Faktoren sind die persönliche Sichtweise der Dinge, die eigenen Ängste wie auch die Art und Weise, mit bestimmten Situationen umzugehen. Ein erster wichtiger Schritt ist, sich selbst als Schöpfer zu erkennen! Ein Opfer kann und wird nichts ändern, es erduldet nur. Seien Sie sich bewusst, dass Sie immer der Schöpfer Ihres Erlebens sind, und tun Sie die Dinge einfach nicht mehr so wie bisher. Dabei ist es zunächst einmal nicht so wichtig, wie Sie es machen, Hauptsache anders!

      Ein Experiment, das vor einigen Jahren an einer amerikanischen Universität durchgeführt wurde, belegt das sehr anschaulich. Man baute zwei Labyrinthe, eines für Menschen und ein in der Relation identisches für Ratten. Im ersten Labyrinth versteckte man eine Hundert-Dollar-Note, im zweiten an der gleichen Stelle ein Stück Käse. Als es ums ›Finden‹ ging, hatten die Menschen die Nase vorn. Dann jedoch entfernten die Forscher sowohl Geld als auch Käse. Die Ratten nun kapierten recht schnell, dass der Käse weg war, und wandten sich wieder anderen Dingen zu. Es soll allerdings heute noch Menschen geben, die den Hundert-Dollar-Schein suchen.

      Falls Sie jetzt denken, dass Ihnen das alles noch nicht hilft, dass Sie genauere Anweisungen brauchen oder dass es eben nicht so einfach sein kann – dann lesen Sie weiter. Es gibt eine gute Nachricht: Wenn es Burn-out gibt, ist er auch heilbar.

       Gegen jede Krankheit ist ein Kraut gewachsen.

      Paracelsus

      Burn-out ist DAS Thema

       Die Wahrheit in sich selbst zu entdecken,

       gilt mehr als alles auf der Welt.

      Quelle unbekannt

      Sind wir ein Volk der Erschöpften? Brennt gerade eine ganze Gesellschaft aus? Kaum etwas beherrscht seit Jahren die Management-Presse und Vorträge für Führungskräfte stärker als das Thema Burn-out. Es gibt spezielle Therapieangebote und längst haben sich Kurkliniken und Rehaeinrichtungen darauf eingestellt. Ich werde die Symptomatik auch im weiteren Verlauf Burn-out nennen, weil sich diese Formulierung bei uns eingebürgert hat. Treffend ist der Begriff in jedem Fall: Er meint ja nichts anderes, als dass die Batterie leer ist. Besser als ›Nervenzusammenbruch‹ klingt er allemal.

      Als ich mich mit einem ehemaligen Klassenkameraden und Chirurgen über das Buchprojekt unterhielt, meinte dieser scherzhaft, er habe schon viele Menschen operiert, zusammengebrochene Nerven jedoch habe er noch nie gesehen.

      Mehr als die Hälfte der Beschäftigten klagt über Termin- und Leistungsdruck, jeder Fünfte der befragten Arbeitnehmer fühlt sich überfordert. »Es war ein schleichender Prozess, der in einem Selbstmordversuch endete, wo ich völlig aufgegeben hatte und das Gefühl hatte, nichts mehr leisten zu können«, so ein Betroffener in einer Sendung bei Phoenix zum Thema Burn-out. Burn-out ist eben keine Infektionskrankheit, die mit plötzlichem hohen Fieber und einem schlimmen Ausschlag beginnt. Es handelt sich vielmehr um eine Störung des ganzen Menschen. Man kann Burn-out eher als eine Art fortschreitenden ›Krebs des Motivations- und Sinnsystems‹ bezeichnen, der sich schleichend entwickelt und oft lange unbemerkt oder fehlinterpretiert und von den Betroffenen oftmals hartnäckig ignoriert wird.

      Zur Problematik Burn-out findet man zahlreiche Seminarangebote, die man unter der Rubrik Work-Life-Balance zusammenfassen kann. Wen man auf solchen Veranstaltungen allerdings selten antrifft (und wenn, dann als eher unaufmerksame ›Teilnehmer‹), sind die Gefährdeten selbst. Raten Sie mal, was diese während des Seminars und in jeder Pause machen – sie checken ihre E-Mails und verschicken SMS. Haben sie ihr Smartphone nicht ausgeschaltet, sondern auf ›leise‹ gestellt, dauert es nach dem ersten Vibrieren im Durchschnitt sieben Sekunden, bis nachgeschaut wird.

      Burn-out ist in. Umso mehr, nachdem sich auch Prominente wie Tim Mälzer, Maria Carey, Ralf


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