Burn-In statt Burn-Out. Klaus D. Biedermann

Burn-In statt Burn-Out - Klaus D. Biedermann


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den Sinn darin. Fragen Sie sich doch einmal, ob es wirklich die Arbeit ist, die Ihnen Sinn stiftet, oder eher das, was Sie dafür erhalten, zum Beispiel Geld, die Anerkennung anderer Menschen oder ein gewisser Lebensstandard. Wenn nicht – worin finden Sie Sinn? Robert Frost hat einmal gesagt: »Im Wald zwei Wege boten sich mir dar und ich wählte den, der weniger betreten war. Das veränderte mein Leben.«

      Robin Williams forderte als Lehrer in dem Film Club der toten Dichter von seinen Schülern: »Gentlemen, ich möchte, dass Sie Ihren eigenen Rhythmus finden, Ihren eigenen Weg … gehen Sie, wohin Sie wollen und wie Sie wollen. Ob es stolz aussieht oder albern, ist egal.«

      Um den Sinn in seinem Leben zu finden, muss man ein gewisses Maß an Reflexionsfähigkeit besitzen. Eine Fähigkeit, die in unseren Bildungseinrichtungen viel zu wenig gefördert wird, wohl weil die Menschen damit viel leichter freie Entscheidungen treffen könnten. Außerdem führt man­gelnde Reflexionsfähigkeit dazu, dass die Menschen den Sinn in ihrer Tätigkeit nicht hinterfragen. Sie können weiter produ­zieren und bleiben an den Symptomen hängen, an denen noch jede Menge Geld verdient wird. Denn mit seinen Schlafstörungen, Kopfschmerzen oder Verdauungsproblemen geht man zum Arzt und verlangt von diesem, dass er einen wieder gesund mache. In seinem tiefsten Inneren weiß man, dass jede Veränderung einen Preis hat, manchmal einen hohen Preis – den man häufig nicht zu zahlen bereit ist.

      Den Job einfach kündigen, wo das Haus noch nicht abbezahlt ist? Ein Sabbatjahr nehmen, wenn die Geier auf die Position scharf sind, die man sich mühsam erarbeitet hat? Noch nicht. Lieber noch etwas weitermachen wie bisher. Man schiebt die Verantwortung für seinen Zustand nach außen, statt die Lösung bei sich selbst zu suchen, dem einzig wahren Experten. Der Arzt verschreibt dann das Schmerzmittel, die Betablocker oder entfernt die Galle, die jetzt doch zu oft übergelaufen ist. Um das Warum kümmern muss man sich erst einmal nicht; schließlich hat man ja auch viel in die Krankenkasse eingezahlt. Es kann aber niemand jemand anderen gesund machen. Was der Arzt allerdings idealerweise machen kann: seinen Patienten dahingehend zu beeinflussen, dass dieser mit dem Verdrängen aufhört, um dann – eventuell auch gemeinsam mit ihm – die Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen gesund zu sein einfach interessanter ist, als sich ständig mit Symptomen herumzuschlagen. Auch wenn dies den Inter­essen einer einflussreichen Pharmaindustrie ganz und gar entgegenliefe.

      Im Idealfall ermutigt der Arzt seinen Patienten, sein inneres Kraftpotenzial zu erschließen. Häufig tun das die Mediziner sogar schon – auf der körperlichen Ebene. Stellen Sie sich vor, Sie hätten sich eine Schnittwunde zugezogen. Es kommt ein Verband auf die Wunde, nach ein paar Tagen nehmen Sie den Verband ab und die Wunde ist geheilt. Der Arzt der Zukunft sollte ein Bewusstheitsmediziner und weiser Wegbegleiter sein. Schließlich käme doch auch keiner auf die absurde Idee, an seinem Auto die Öllampe auszubauen, wenn sie leuchtet, oder ein Pflaster darüber zu kleben, damit er sie nicht mehr sieht.

      Der erste Schritt zur Heilung ist das Erkennen und Akzeptieren, dass man selbst der Schöpfer ist – und etwas verändern möchte. Das ist das Entscheidende. Hat man dann den richtigen Weg gefunden, so reicht ein kleiner Anschub, um das Ganze ins Rollen zu bringen. Häufig genügen schon kleine Veränderungen, die dann große nach sich ziehen (fragen Sie einmal einen Homöopathen). Um einen Staudamm zum Einsturz zu bringen, bedarf es keiner Sprengladung, die eventuell noch mehr von dem zerstören würde, das erhalten bleiben kann. Es reicht aus, an der richtigen Stelle ein paar kleine Steine zu entfernen. Dazu braucht es allerdings manchmal Mut.

      Das englische Wort courage für Mut ist sehr aufschlussreich. Es leitet sich von der lateinischen Wurzel cor ab, was Herz bedeutet. Mutig sein bedeutet also, vom Herzen her zu leben, was wiederum bedeuten kann, ins Unbekannte zu gehen, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und für die Zukunft offen zu sein. Aus dem Herzen zu leben heißt, einen Sinn zu entdecken. Etwas gegen die Stimme seines Herzens zu tun ist Selbstverleugnung und verursacht meist Stress.

      Betrachtet man die Entwicklung der psychisch bedingten Krankenstandsraten, so entsteht eine Perspektive, die einem Angst machen kann. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist Stress eines der größten Gesundheitsrisiken des 21. Jahrhunderts. Psychische Belastungen sind inzwischen Ursache Nummer eins bei den Frühverrentungen in Deutsch­land. Das Durchschnittsalter liegt hier bei 48 Jahren. 2011 wurde bei 32,6 Prozent aller Diagnosen eine psychische Erkrankung festgestellt. Die Zahl der Menschen, die deswegen stationär im Krankenhaus aufgenommen wurden, hat sich mehr als verdoppelt. Die Zahl der Fehltage ist um 80 Prozent gestiegen. 2011 belief sich die Zahl der Fehltage in Folge von Arbeitsunfähigkeit auf 59 Millionen. In unserem Nachbarland Österreich sieht es nicht besser aus. Seelische Beschwerden verursachten 2009 dort mehr als 2,4 Millionen Krankenstandstage. Bei einem Burn-out rechnet man im Durchschnitt mit einer Ausfallzeit von ca. 90 Tagen. Verglichen mit den Zahlen von 1995 war bei den Frauen ein Anstieg um 155 Prozent und bei den Männern um 88 Prozent zu verzeichnen. Die Krankenhausaufenthalte stiegen um 96 Prozent. Die Pensionen wegen Erwerbsunfähigkeit stiegen laut Angaben des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger seit 1995 um 116 Prozent. Die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz geht davon aus, dass europaweit rund 60 Prozent aller Fehlzeiten auf beruflichen Stress zurückgehen.

      Stress ist die häufigste Ursache für Burn-out, so die WHO. Sie schätzt die Kosten durch stressbedingten Arbeitsausfall auf jährlich 20 Milliarden Euro, allein für Unternehmen in Deutschland. Experten nehmen an, dass etwa 10 - 15 Prozent aller Beschäftigten betroffen sind. 30 Prozent werden nach deren Meinung zukünftig auf jeden Fall erkranken. Die Dunkelziffer liegt inzwischen bereits bei 30 Prozent! Einer weiteren Studie der WHO zufolge soll im Jahre 2020 Burn-out die zweithäufigste Krankheit sein. Weiter heißt es dort, psychische Erkrankungen seien die neuen Seuchen unserer Zeit. Im Jahr 2014 ist die Zahl der psychisch Erkrankten um 12 Prozent gestiegen, die Fehlzeiten wegen Depression seit dem Jahr 2000 um 70 Prozent.

      Die Gefahren für Unternehmen, Betroffene und deren Ange­hörige sind zweifellos gravierend. Es besteht nur eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit einer hundertprozentigen Genesung durch eine gesetzlich finanzierte Therapie nach einem Burn-out. Laut einer Studie der Bundes-Psychotherapeuten-Kammer (BPtK) erlangen maximal 80 Prozent der Erkrankten ihre Berufsfähigkeit zurück. Das bedeutet: 20 Prozent kehren nie wieder ins Berufsleben zurück und von den Genesenden erreichen lediglich 70 Prozent ihre volle ursprüngliche Leistungsfähigkeit wieder. Hier liegt die Frage auf der Hand, was denn Genesung bedeutet. Vielleicht ist damit auch nur gemeint, jemanden so weit wiederherzustellen, dass er von Neuem in der Tretmühle mitlaufen kann.

      Die betrieblichen Belastungen durch Burn-out sind enorm. So müssen Unter­nehmen Abwesenheiten betroffener Mitarbeiter von sechs Wochen bis zu zwölf Monaten kompensieren. Etwa 60 Prozent aller Betroffenen fallen für mindestens sechs Wochen aus. Jeder Neunte, so schätzen Betriebskrankenkassen, leidet an Burn-out. Aus Befragungen geht hervor, dass 30 bis 35 Prozent aller Lehrer in Deutschland, 40 bis 60 Prozent der Pflegekräfte und mehr als 30 Prozent der Ärzte betroffen sind. Die Burn-out-Patienten werden immer jünger – bereits Schüler gehören zum Patientenkreis. Man kann inzwischen von einer Volksseuche sprechen.

      Das Zeugnis der Felix Burda Stiftung fällt nicht gut aus: »... Allerdings hat erst eine Minderzahl der Arbeitgeber die Vorsorge als Erfolgsfaktor für sich erkannt. Vom Kleinbetrieb bis zum DAX-Konzern fehlt noch häufig das notwendige Know-how zur Umsetzung betrieblicher Gesundheitsvorsorge. Dass die politischen Rahmenbedingungen betriebliche Vorsorge nur unzureichend unterstützen, macht es Gesundheitsmanagern und Krankenkassen schwer, präventive Maßnahmen im angestrebten Umfang umzusetzen …«

      Weitgehend verschont vom Burn-out bleibt, wenn man den Zahlen glauben darf, ausgerechnet die Gruppe der Beschäftigten, in der die höchste Belastung vermutet wird: Top-Manager, das zeigen Erfahrungsberichte, brennen seltener aus. Gründe hierfür könnten die angemessene Anerkennung in Form eines hohen Gehalts, die Liebe zum Beruf oder die in Führungsebenen gebotene Stressresistenz sein. Schwäche zu zeigen ist auf diesen Etagen allerdings ebenfalls immer noch ein Tabu.

      Genug der Vorrede – jetzt geht es los. Gewinnen Sie Hoheit über Ihr Leben. Sind Sie glücklich?

       Es ist keine große Herausforderung, so zu sein,

       wie andere Menschen es sich wünschen,

      


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