Burn-In statt Burn-Out. Klaus D. Biedermann
vergessen hatten, Onkel oder Tante eine Karte aus dem Urlaub zu schreiben.
Problematisch wird es dann, wenn man diese Techniken wie ein Junkie nutzt. Der dadurch erzeugte negative Stress kann sich aufstauen und zu Störungen führen, die Seele, Geist und Körper gleichermaßen schwächen. Dies hat oft Nervosität, Schlaflosigkeit, emotionale Labilität oder Angstzustände zur Folge. Inwieweit Computer bereits den Menschen bedienen, haben weltweite Studien am Arbeitsplatz gezeigt. In dem Moment, in dem die SMS erscheint oder die E-Mail ankommt, werden wir bedient und verlieren die Kontrolle. Es dauert dann durchschnittlich 25 Minuten bis wir nach einer Unterbrechung wieder zu unseren ursprünglichen Tätigkeiten zurückkehren, weil wir einfach vergessen haben, was wir überhaupt getan haben und das so entstandene Vakuum mit noch zwei Projekten füllen, beschreibt Frank Schirrmacher in seinem Buch Payback.
»In vierzig Prozent der Fälle«, schreibt die New York Times, »wandern die Arbeitenden sogar in eine ganz andere Richtung, sie werden magisch angezogen von der technologischen Version eines schlimmeren Gegenstands. Die wirkliche Gefahr ist gar nicht die Unterbrechung, sondern das Chaos, das sie mit unserem Kurzzeitgedächtnis veranstalten: ›Was zum Teufel habe ich gerade getan?‹
»Der moderne Mensch wird in einem Tätigkeitstaumel gehalten, damit er nicht zum Nachdenken über den Sinn seines Lebens und der Welt kommt«, bemerkte bereits Albert Schweitzer – lange bevor es Smartphones gab. In jedem Fall haben Smartphone und Co. unsere Kommunikation verändert und Computer übernehmen für uns mehr und mehr das Denken. Sie stellen uns auf Basis von Antworten, die wir einmal gegeben haben, neue Fragen. Sie glauben das nicht?
Dann nehmen Sie einmal an, sie hätten irgendwann an einer Internetbefragung teilgenommen und dort erklärt, dass Sie für Ökostrom auch etwas mehr bezahlen würden. Später haben Sie online ein Buch über Gartenbau gekauft und außerdem bei Autoscout nach Elektroautos gesucht. Bei Facebook haben Sie den Segeltörn eines Freundes begeistert kommentiert ... Es wird nicht lange dauern, bis Sie gefragt werden, ob Sie nicht Ihren nächsten Urlaub in einer idyllischen Anlage auf einer autofreien Ostseeinsel verbringen möchten, mit der Möglichkeit, Ihren Segelschein zu machen – oder Ähnliches. Der Computer kommt lange vor uns auf solche Ideen.
Der Potsdamer Kinder- und Jugendpsychiater Ulrich Preuß hat beobachtet, dass sich der Druck im Alltag durch das Smartphone erheblich erhöht hat. Viele Jugendliche befinden sich in einem ständigen Stand-by-Modus, weil sie jederzeit erreichbar sein wollen. Er spricht in diesem Zusammenhang von Abhängigkeitsfollowern, wenn die Jugendlichen durch die Benutzung der Social Media nicht eben mal abschalten können, sondern immer in einer Erklärungsnot seien, was sie gerade unternehmen und wo sie gerade sind. Das macht Stress und führt vor allem zu Konzentrationsstörungen, weil man durch die häufigen Unterbrechungen gar nicht mehr gewohnt ist, länger an einer Sache dranzubleiben. Eine große Herausforderung dieses Jahrhunderts wird es sicherlich sein, die Menschen an den stressfreien Umgang mit all diesen Wunderwerken zu gewöhnen.
Stress alleine und für sich betrachtet ist zunächst einmal wertfrei. Es ist die körperliche und geistige Reaktion des Organismus auf Anforderungen aus der Umgebung. Stress ist nicht gefährlich, im Gegenteil. Sind wir nicht zu Stressreaktionen wie Flucht oder Kampf in der Lage, wird es schlimm. Wenn es eine Disposition für Stresserkrankungen wie Depression, Burn-out oder Schlafstörung gibt, dann wird eine Wiederholung von Stresssituationen oder gar Dauerstress zum Risikofaktor.
Alles bloß Chemie?
Nichts erreicht das Herz,
das nicht von Herzen kommt.
Quelle unbekannt
Forscher am Max-Planck-Institut suchten nach biochemischen Ursachen für psychische Erkrankungen. Sie entwickelten einen Bluttest, der zeigt, wie gut ein Mensch mit Stress umgehen kann und wie hoch das Erkrankungsrisiko des Einzelnen ist; dazu wird der Gehalt von Cortisol im Blut gemessen. Cortisol ist das bekannteste Stresshormon, dessen Produktion aber in unserem Gehirn durch ein anderes kleines Eiweißmolekül ausgelöst wird.
Dieses Corticotropin (CRH) erzeugt Angst, unterdrückt Schlaf und Appetit und fokussiert uns auf die Stresssituation. In einer solchen, so fanden die Wissenschaftler heraus, veranlasst das Gehirn die Nebennierenrinde, Cortisol zu bilden, das dann den gesamten Körper in Alarmbereitschaft versetzt. Herz, Gehirn und Lunge werden aktiviert, andere Systeme wie Verdauung oder Sexualtrieb werden reduziert. Bei Dauerstress kann es dann zu einer gefährlichen Überproduktion von Cortisol kommen, zudem wird das Gehirn geschädigt, was sich wiederum auf das Verhalten auswirkt.
Dass Stress eine wahrhaft haarige Angelegenheit ist, hat eine Dresdner Forschergruppe um den Biopsychologen Prof. Clemens Kirschbaum herausgefunden – die Forscher haben Stress im Haupthaar nachgewiesen. Dass dies bei Drogenmissbrauch funktioniert, wusste man bereits. Ich erinnere da nur an einen bekannten ehemaligen Bundesligatrainer. Seit dem Jahr 2004 waren die Dresdner nun auch dem Cortisol auf der Spur. Da die Kopfhaare im Durchschnitt um einen Zentimeter pro Monat wachsen, konnte man sogar den Zeitraum bestimmen, in dem der Stress bei der betroffenen Personen aufgetreten war – und zwar auf drei Monate genau. Hiermit hatte man eine objektive Beurteilung über das Auftreten von Stress.
Dass Stress besser als sein Ruf ist, konnten Forscher der Universität Bochum belegen. Probanden, die unter Stress gesetzt worden waren, konnten sich an Dinge, die während der Stresssituation auftraten, besser erinnern als entspannte Probanden. Für das Lernen hieße das, dass ein gesundes Maß an Stress sich positiv auf das Langzeitgedächtnis auswirke, also durchaus hilfreich sein könne. Beim Abfragen des Gelernten ist Stress hingegen hinderlich. So empfiehlt es sich, Prüfungssituationen so entspannt wie möglich zu gestalten; hierbei kommt es vor allem auf die Atmosphäre des Raumes und das Auftreten der Prüfer an.
In Anbetracht dessen, dass unser Geist stärker als Materie ist, stellt sich die Frage, wer das Corticotropin produziert. In der Bibel steht bei Johannes: »Am Anfang war das Wort … und das Wort ward Fleisch.« Das heißt ja nichts anderes, als dass der Geist Materie formt – denn dem Wort muss ja ein Gedanke vorausgegangen sein. Kein Auto würde auf unseren Straßen fahren, kein Flugzeug würde fliegen und wir würden auch nicht telefonieren, hätte es keine Menschen gegeben, die genügend Vorstellungskraft hatten, sich das alles auszudenken. Besaßen Sie als Kind eine Kiste voller Legosteine? Dann haben Sie gelernt, dass Gedanken zu Bauplänen und diese zu Materie werden können.
Werner Heisenberg erkannte bereits als Zwanzigjähriger, dass wir die Wirklichkeit vollkommen anders sehen müssen. Nicht mehr materiell, sondern viel offener. Jesus sagte: »Ihr seid alle schlafende Götter.« Könnte dieser Satz nicht als Aufforderung gelten, zu erwachen und sich all seiner Möglichkeiten bewusst zu werden? Ebenso prophezeite er: »Ihr werdet Gleiches tun wie ich und Größeres.« Vielleicht hätte er einen ungefähren Zeitrahmen dafür angeben sollen. Dieses geistige Erbe wartet inzwischen nämlich seit mehr als 2000 Jahren darauf, dass wir uns auf die Reise machen, um zu entdecken, wer wir wirklich sind und welches Potenzial in uns schlummert.
Unser Denken, unsere Art zu fühlen und unser Körper interagieren und beeinflussen sich stets gegenseitig. Wenn Sie an etwas Unangenehmes denken, wird dies unmittelbar im Körper messbar sein. Angenommen, Sie träumen im Schlaf, dass Sie auf dem Dach eines Hochhauses stehen und jeden Moment hinunterfallen werden. Dieses Traumbild wird bei Ihnen augenblicklich körperliche Reaktionen wie Umherwälzen, Schweißausbruch, erhöhten Blutdruck und schnelleres Atmen auslösen. Kurz darauf mag das Traumbild zu einer sehr romantischen Szene wechseln, was wiederum völlig andere körperliche Effekte hervorrufen wird. Ähnliches gilt für den umgekehrten Fall, etwa einer körperlichen Verletzung durch einen Unfall. Sofort wird dies Einfluss auf Ihr Denken, Fühlen und Handeln nehmen.
Eines steht bei allen Betrachtungen über Burn-out fest: Über die Hintergründe wird zu wenig geforscht. Die zugrunde liegende Schwierigkeit ist mir durchaus bewusst – da die Ursachen nämlich so individuell sind, lassen sie sich mit den üblichen wissenschaftlichen Methoden nicht messen. Jeder Betroffene muss sich also die Mühe machen, selbst nachzuforschen. Was bei der Lösung auf keinen Fall weiterhilft, sind Schuldzuweisungen wie: Der Arbeitgeber,