Burn-In statt Burn-Out. Klaus D. Biedermann
es vielleicht nicht glauben, aber ich habe erlebt, wie sich Betroffene nach ihrer Kur damit brüsteten, ausgebrannt gewesen zu sein. Ottmar Hitzfeld, der seinen Burn-out im Jahre 2004 verschwiegen hatte, mag hier eine Ausnahme sein. In einem Beruf, in dem es kaum erlaubt ist, Schwäche zu zeigen, ist das vielleicht verständlich.
Eine gigantische Burn-out-Industrie ist entstanden. Viele Unternehmen wie der Otto-Versandhandel in Hamburg bieten ihren Mitarbeitern Kurse in Gesundheitsmanagement an – aus gutem Grund. Die deutsche Volkswirtschaft verliert nämlich jährlich ca. 300 Milliarden Euro durch krankheitsbedingte Ausfälle am Arbeitsplatz! Inzwischen ist längst klar, dass die Kosten aufgrund der Überalterung der Gesellschaft und des medizinischen Fortschritts in Zukunft noch weiter ansteigen werden. Berechnungen haben ergeben, dass sich jeder Euro, der in die betriebliche Gesundheitsprävention investiert wird, auf der volkswirtschaftlichen Ebene mit fünf bis 16 Euro auszahlt. Die Zahl der Krankschreibungen mit der Diagnose Burn-out stieg allein in den Jahren 2004 bis 2011 um das 1400-Fache. Gleichzeitig explodierten die Arzneimittelverkäufe innerhalb von drei Jahren auf fünf Milliarden Tagesdosen mehr als zuvor. Sie haben richtig gelesen! Die Kosten wachsen ins Unermessliche, gleichzeitig werden wir immer kränker. Im Jahre 2013 überholten Männer erstmals Frauen in Bezug auf den Arzneimittelkonsum. Herz-Kreislauf-Medikamente, darunter vor allem Blutdrucksenker, machen bei Männern fast die Hälfte aller Verschreibungen aus. Fast 50 Prozent mehr Rezepte als noch vor zehn Jahren wurden ausgestellt – möglicherweise ein Zeichen dafür, unter welch massivem Druck besonders Männer stehen, den sie dann wiederum medikamentös senken müssen.
Hier läuft also ganz offensichtlich einiges schief. Ein paar Wochen Kur, aus der man als derselbe Mensch herauskommt, als der man hineingegangen ist, oder auch erhöhte Medikation führen zu nichts; das sind die falschen Stellschrauben für Veränderungen.
Von diesen Wundpflastern gibt es noch weitere. Es werden innerbetriebliche Sportgruppen gegründet, andere Firmen engagieren einen Koch, der demonstriert, wie man sich gesund ernährt – all dies wohl wissend und ohne ein Rechengenie sein zu müssen, dass die Kosten hierfür weitaus geringer sind als die Ausgaben für Langzeiterkrankte oder gar ganz ausgefallene Mitarbeiter, die in aufwendigen und kostspieligen Verfahren ersetzt werden müssen. Als prophylaktische Maßnahme sind diese Angebote sicher sinnvoll, ungeachtet meiner Vermutung, dass Sie bei solchen Kursen nur Mitarbeiter als Teilnehmer finden, die nicht zu der Burn-out gefährdeten Gruppe gehören. Diese leben nämlich ohnehin bewusster. Die tatsächlich Burn-out-Gefährdeten werden wahrscheinlich keine Zeit haben, da gerade ein wichtiges Projekt ansteht, bei dem sie unersetzlich sind. Wer gelernt hat, dass sich sein Wert als Person aus seinen Leistungen speist, und dies verinnerlicht hat, bietet mit diesem Stück seines Weltbildes ein weites Feld für weitere Burn-out begünstigende Faktoren.
Da aufgrund der demografischen Entwicklung gute Arbeitskräfte nicht ohne Weiteres zu bekommen sind, ist es natürlich wichtig geworden, für die vorhandenen Mitarbeiter zu sorgen. Ob bei all diesen Maßnahmen (die zwar gut gemeint sind, aber genau wie Pillen ebenfalls nur die Symptome behandeln oder sie wie ein Wundpflaster zudecken) auch die Frage gestellt wird, ob man in seinem Unternehmen am richtigen Platz ist oder ob man noch einen Sinn in seiner Arbeit sieht, wage ich zu bezweifeln.
Das Ganze erinnert mich an die Geschichte von einem Mann, der nachts unter einer Straßenlaterne etwas suchte. Ein hilfsbereiter Passant erkundigte sich, was er da suche. »Meinen Schlüssel«, bekam er zur Antwort. Wo er den denn verloren habe. »Hinter dem Haus«, erklärte der Mann und auf die Frage, warum er denn dann hier nachschaue, meinte er: »Weil es hier heller ist.«
Wenn ein Mensch seine Kreativität für Themen einsetzen muss, die ihn persönlich nicht wirklich berühren, wird seine innere Persönlichkeit nicht daran beteiligt. Das frustriert auf Dauer. Bekannt ist, dass Menschen, die ihren Beruf als Berufung erleben – denn davon leitet sich das Wort Beruf ab – hohen Anforderungen viel besser standhalten. Der sogenannte Sinn im Leben hat eine immens hohe Bedeutung. Wer einen Sinn in seiner Arbeit gefunden hat, braucht keinen Motivationscoach. Motivieren kann man sich ohnehin nur selbst. Motivation, die von außen kommt, ist von kurzer Dauer – da muss man sich viele Male auf einen Stuhl stellen und »tschakka« rufen …
Dass man ohne diesen Sinn im Leben nicht gesund bleiben kann, hat die medizinische Forschung längst herausgefunden. Ein japanischer Forscher untersuchte mehr als hundert Fälle von Spontanremission, also Krankheiten, die medizinisch austherapiert waren und dennoch verschwanden. Drei Faktoren vermochte der Forscher als Gründe zu isolieren – einer davon war der Sinn im Leben; dazu kamen noch der innere Glaube an die Gesundung und ein unterstützendes Umfeld. Diese Spontanremissionen waren schulmedizinisch nicht zu erklären – und doch löste sich die Krankheit auf.
Ich habe jetzt das Alter erreicht, in dem die meisten meiner ehemaligen Klassenkameraden in Pension gehen oder bereits gegangen sind. Wer mich fragt, wie lange ich noch arbeiten werde, erhält zur Antwort: Ich arbeite gar nicht. Solange ich reden kann, tue ich, was mir Spaß macht, denn ich empfinde meine Tätigkeiten nicht als Arbeit. Ich beziehe außerdem noch Sinn aus anderen Aktivitäten – Golfspielen, eine Pokerrunde mit Freunden oder regelmäßige Auszeiten auf Gran Canaria oder Korfu. Ich mag es auch, in einem Straßencafé zu sitzen, einfach in die Gegend zu schauen und Menschen zu beobachten. Selbst wenn ich nicht mehr zu reden imstande sein sollte, kann ich hoffentlich immer noch schreiben. Wahrscheinlich werde ich irgendwann weniger Seminare geben. Aber warum in den Ruhestand gehen? Ist das nicht ein schlimmes Wort: RUHESTAND? Ruhe sanft, kann man da nur sagen.
Hand aufs Herz: Arbeiten Sie? Gehen Sie einer Tätigkeit nach, die Sie Arbeit nennen? Empfinden Sie das, was Sie tun, als Arbeit, als ein Muss? Beantworten Sie sich diese Frage ehrlich! Einer meiner Lehrer meinte einmal etwas provokant, Urlaub sei nur etwas für Leute, die ihre Arbeit nicht mögen. Wann immer Sie sich beim Arbeiten ertappen, halten Sie inne und fragen Sie sich, ob es wirklich das ist, was Sie wollen. Entfernen Sie das Müssen aus Ihrem Leben und erlauben Sie sich, für das bezahlt zu werden, was Ihnen Freude macht.
Von diesem Moment an haben Sie nämlich bezahlten Urlaub. Das wird Sie erfüllen und erfolgreich machen, weil Sie das, was Sie gerne tun, selbstverständlich auch gut machen. Und für das, was man gut macht, wird man auch gut bezahlt. Etwas zu tun, was nicht seine Berufung ist, ist schädlich. Wenn Sie gefunden haben, was Sie lieben, brauchen Sie nie mehr zu arbeiten.
Ein ehemaliger Kollege aus der Zeit, in der ich in einer Klinik für Suchtkranke arbeitete, war Therapeut geworden, weil seine Eltern Arzt bzw. Psychotherapeut waren. Seine Liebe galt aber seit seiner Jugend der Arbeit mit Holz. In seiner Freizeit schreinerte er und stellte da schon wunderbare Dinge her. Eines Tages, er war bereits über 30, kündigte er und begann eine Schreinerlehre, die er erfolgreich als Meister abschloss. Heute stellt er edle handgefertigte Möbelstücke her, hat inzwischen sieben Angestellte und verdient das Vielfache seines früheren Gehalts. Ich habe ihn vor ein paar Jahren zufällig wieder getroffen und er machte einen sehr zufriedenen Eindruck.
Sagen Sie sich morgens, wenn Sie sich auf den Weg zur Arbeit machen, dass Sie jetzt Geld verdienen gehen? Dann machen Sie sich für einen Moment bewusst, dass in dem Wort verdienen, das Wort dienen steckt. Diener kommen in der Regel abends müde nach Hause und wollen nur noch ihre Ruhe haben; die man ihnen auch dann leider nur selten lässt.
Der Amerikaner sagt: I make money und der Engländer: I earn money. Welch ein enormer Unterschied zu sagen, dass man Geld macht, erntet oder gewinnt, wie es in Frankreich heißt: Gagner de l´argent.
Vor allem Männer, die ihren ganzen Sinn ausschließlich in der Arbeit gefunden haben, sterben kurze Zeit nach ihrer Pensionierung oder fallen in einen Zustand, der auch als Rentenschock bekannt ist. Bei Frauen, die ihren Lebensinhalt im Aufziehen der Kinder sahen, werden nach deren Auszug ähnliche Symptome beobachtet, die bis zur Depression führen können und als Empty-Nest-Syndrom bezeichnet werden. Wenn Sie nach der Berentung oder nach dem Flüggewerden der Kinder Glück haben, finden Sie eine Tätigkeit, aus der Sie Sinn und Freude schöpfen.
Vor Kurzem noch hörte ich einen Mann zu seinen Freunden sagen, er habe seit seiner Pensionierung mehr zu tun als vorher – und er machte bei dieser Bemerkung nicht nur einen durchaus fröhlichen Eindruck, sondern schien sogar stolz darauf zu sein. Ich kam leider nicht mehr dazu, ihn nach den Tätigkeiten seines Arbeitslebens zu