Die vier Ebenen des Glücks. Ayya Khema
dass wir das, was wirklich wichtig ist, nicht tun können.
*
Jetzt wollen wir einmal untersuchen, wie oft wir schon daran gedacht haben, dankbar für das Schöne zu sein, das uns durch unsere Sinne widerfährt.
*
Wir untersuchen, ob wir die Vergänglichkeit aller Sinneskontakte erkennen können. Ob wir uns schon im täglichen Leben daran erinnert haben. Ob wir sie immer noch als das akzeptieren, was uns zusteht. Können wir in diesem Moment die Vergänglichkeit von allem, was unsere Sinne uns bieten, erkennen und daher wissen, dass sie nicht total befriedigend sein können?
*
Jetzt wollen wir untersuchen, welchen der sechs Sinneskontakte, die wir haben können, wir am meisten suchen und am meisten begehren. Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Berühren, Denken. Welches ist uns der wichtigste Sinneskontakt?
*
Wieviel Zeit verwenden wir darauf? Sind wir total befriedigt durch diesen wichtigen Sinneskontakt?
*
Oder spüren wir immer noch eine Sehnsucht in uns nach einer Vollkommenheit, die wir noch nicht kennen? Ist uns klar, wenn wir diese Sehnsucht spüren, dass sie selbst durch den wichtigsten Sinneskontakt nicht zu befriedigen ist? Können wir das schon erkennen?
*
Jetzt untersuchen wir, ob wir immer noch andere Menschen oder Situationen für unangenehme Sinneskontakte verantwortlich machen, oder ob uns schon klar ist, dass jeder Mensch Angenehmes und Unangenehmes erlebt.
*
Wir untersuchen, ob uns klar ist, dass nur unsere Reaktion die Unannehmlichkeit hervorruft, dass der Sinneskontakt im Prinzip nichts anderes ist als das, was er ist, und nur unsere Wertschätzung uns zum Leid führt. Können wir das aus eigener Erfahrung erkennen?
*
Können wir erkennen, dass die Suche nach den Annehmlichkeiten Zeit und Energie verschwendet, weil wir dennoch nur das bekommen, was wir gesät haben und daher auch nur das ernten können?
*
Wir wollen uns einmal vorstellen, wie es ist, auf einen unangenehmen Sinneskontakt nicht zu reagieren. Wenn wir es uns vorher vorstellen, so wird es uns leichter fallen, es auch auszuführen, genauso, als ob wir uns eine Zeichnung gemacht haben, nach der wir uns dann richten können.
*
Können wir aus eigener Erfahrung erkennen, dass unser Dukkha nur davon kommt, dass wir die Dinge nicht so akzeptieren, wie sie sind, sondern sie anders haben wollen?
*
Und daher wollen wir, wenn uns jetzt im Moment irgendetwas bedrückt, und sei es nur eine Kleinigkeit, den Wunsch, dass es anders sein sollte, fallenlassen. Können wir die Erleichterung spüren? Dukkha existiert, aber wir brauchen nicht darunter zu leiden.
Mögen alle Menschen glücklich sein.
II
Die zweite Ebene des Glücks
Die Reinheit des Herzens
Wir haben bis jetzt die erste Ebene des Glücks untersucht, die die unterste und auch die gröbste ist und die wir alle ganz genau kennen. Sie macht uns zwar Schwierigkeiten, da unsere Sinneskontakte natürlich nicht immer glückbringend sind, aber wir kennen all das, was mit ihnen zusammenhängt – was wir suchen und was wir ablehnen. Es ist von großer Wichtigkeit und Dringlichkeit, in uns selbst zu erkennen, wie oft und in welcher Art wir versuchen, durch die Sinne glücklich zu werden.
Wenn wir achtsam sind und uns selbst gut beobachten, dann werden wir sehr schnell merken, dass wir das tagtäglich von morgens bis abends mit wenigen Unterbrechungen tun. Ein ungeübter, untrainierter Geist beschäftigt sich nur damit. Es ist auch hilfreich, einmal die Dinge zu untersuchen, die nicht ganz so offensichtlich mit den Sinneskontakten zu tun haben. Wir merken dann wahrscheinlich doch, dass auch sie auf nichts anderes ausgerichtet waren. Grobe Sinneskontakte sind leicht erkennbar, aber die verfeinerten gehören auch zu der gleichen Ebene. Die Kontemplation ist ein wichtiger Bestandteil der Meditationspraxis. Das heißt nicht, dass sie gleichzeitig geübt werden können oder sollten, sondern dass wir uns mit beidem beschäftigen. Die Kontemplation hilft uns, uns selbst besser kennenzulernen.
Wir kommen jetzt zur zweiten Ebene des Glücks, die wir auch alle kennen und von der wir schon oft in anderen Zusammenhängen gehört haben. Es ist die Ebene der Läuterung der Emotionen. Wir haben bereits vom Etikettieren gesprochen und dass wir den Denkprozess im täglichen Leben auch soweit erkennen müssen, dass wir das Unheilsame mit dem Heilsamen ersetzen können. Jetzt kommen wir zu den Emotionen. Die Emotionen sind im Prinzip unser Innenleben. Die Gedanken, die wir denken und aussprechen, sind größtenteils auf Emotionen aufgebaut. Es kann auch umgekehrt sein; wenn wir sehr kopflastig sind, denken wir erst und haben dann Emotionen. Aber bei den meisten Menschen sind die Gefühle der Auslöser. Der Meditationsprozess ist einzig und allein auf Gefühlen aufgebaut. Die Meditation zu erdenken, ist vollkommen unmöglich, sie muss gefühlt werden. Daher ist die jetzt vorliegende zweite Ebene unerlässlich für den spirituellen Pfad, während die erste Ebene für das Überleben unerlässlich ist. Alle Ebenen werden gebraucht und sind in uns zu finden, aber wir müssen sie erkennen können, sodass wir dann mit ihnen in einer wirklich vernünftigen Art umgehen können.
Die zweite Ebene heißt »die vier Brahmavihāras«, Brahma = Götter und Vihāra = Verweilungsstätte, »die Göttlichen Verweilungsstätten«, was keine besonders deutliche Übersetzung für uns ist. Es sind die vier höchsten Emotionen und die einzigen, die der Buddha als wertvoll und heilsam bezeichnet hat. Wir könnten sagen, dass wir das innere Paradies erleben können, wenn wir diese vier Emotionen in uns zur Vollendung bringen. Daher werden sie »Göttliche Verweilungsstätten« genannt. Diese vier heißen: bedingungslose Liebe (mettā), Mitgefühl (karuṇā), Mitfreude (muditā), Gleichmut (upekkhā). Die erste davon wird meistens mit »liebender Güte« übersetzt; wenn wir einfach »Liebe« dazu sagen, so hat das eine tiefergehende Bedeutung für uns. Es ist ein Wort, das für jeden Assoziationen hat und sein Innenleben berührt.
Wir haben hier die gleiche Möglichkeit wie beim Denken, nämlich das Unheilsame mit dem Heilsamen zu ersetzen. Es ist aber vor allen Dingen wichtig, dass wir einmal erkennen, wieviel Glück wir in uns tragen und auch erleben können, wenn wir jeweils eine dieser vier Emotionen in den Vordergrund unseres Bewusstseins bringen.
Das Interessante daran ist: Liebe ist erlernbar. Und das ist eigentlich ein besonders wichtiger Punkt, denn im Allgemeinen wird geglaubt, erzählt und in Filmen gezeigt, dass Liebe ein Glücksfall ist, vor allem auch darum, weil wir ja Liebe mit gegenseitiger Zuneigung gleichsetzen. Die meisten Menschen suchen diesen Glücksfall, bis sie vielleicht eines Tages merken, dass diese Art der Bemühung gar nicht uneingeschränktes Glück bringt. Der ferne und absolute Feind von Liebe ist natürlich Hass. Das ist ganz einfach zu verstehen, aber der nahe Feind von Liebe ist Anhänglichkeit, und das ist bereits viel schwieriger zu erkennen. Im Allgemeinen kennen wir nichts anderes als Anhänglichkeit, was aber gleichbedeutend mit Anhaften ist. Anhaften woran? An irgendeiner Person, wodurch Angst entsteht. Angst wiederum bedeutet Hass. Wir können sofort untersuchen, ob wir etwas, wovor wir Angst haben, lieben könnten. Es handelt sich aber nicht darum, dass wir die spezielle Person hassen, sondern nur, dass wir die Möglichkeit des Verlustes ablehnen.
Wir haben dies wahrscheinlich schon alle erlebt. Manchmal wiegen wir uns in Sicherheit. Es ging schon so viele Jahre gut, es wird auch weiter gut gehen. Aber plötzlich ändert sich die menschliche Beziehung auf dramatische Art und Weise. Wieso geschieht das? Weil das Gesetz der Vergänglichkeit uns nie in Ruhe lässt. Wenn wir nichts anderes kennen als anhaftende Liebe, dann stehen wir plötzlich eventuell ohne Liebe da und auch, als wären wir nicht mehr liebenswert. Unser Selbstwertgefühl ist geschädigt und vor allem unsere Liebesfähigkeit. Das stimmt überhaupt nicht, denn die Liebesfähigkeit ist immer vorhanden und sollte nicht von einer einzigen Person in diesem Weltall abhängig sein. Wenn das der Fall ist, dann machen wir uns nicht nur äußerst abhängig,