4 Portraits (Pauli, Einstein, Planck und Heisenberg). Ernst Peter Fischer
neues Fach ausgezeichnet, das man heute in allen Universitäten lehrt. Es heißt: „theoretische Physik“.
Planck ist somit nicht nur der Entdecker des Quantums, sondern Entdecker einer neuen Art von Physik, die wir heute eben „theoretische Physik“ nennen. Er hat den Weg bereitet für all die großen Leute, die nach ihm gekommen sind, wie Albert Einstein, Werner Heisenberg, Wolfgang Pauli, Niels Bohr.
Planck war der erste. Er hat gezeigt, dass es eine theoretische Physik geben kann. Dass man mit mathematischen Methoden und mit systematischem Nachdenken etwas über die Natur erfahren kann – natürlich in Verbindung mit dem Experiment. Auf diese Weise hat er das Allergrößte geleistet.
Bevor wir uns Plancks Reden, Plancks Denken zuwenden, noch eine kurze Zusammenfassung seines Lebens. Er wurde im Jahre 1858 in Kiel geboren. Er hat Physik studiert, vor allem in München. Er wechselte nach Berlin, wo damals die großen Professoren wie Herrmann von Helmholtz lehrten. Er hat das Studium der Physik in München abgeschlossen, musste dann aber ein paar Jahre auf seine erste Stellung warten, die ihm ausgerechnet seine Heimatstadt Kiel ermöglicht hat.
Von Kiel ging er im Jahre 1889 nach Berlin, zuerst als außerordentlicher Professor und dann, von 1892 an, als ordentlicher Professor. Damit beginnt die große Zeit von Max Planck in Berlin. Max Planck ist eigentlich derjenige, der die „Berliner Physik“ groß gemacht hat. Er steht für die Hauptstadt, obwohl ich glaube, sein Herz hat eher für München geschlagen. Aber er war nun einmal in Berlin und hat dort die große Rolle gespielt.
Er blieb bis 1945 in Berlin. Also von 1890 bis 1945, durch alle Unbilden hindurch. Im Verlauf der kriegerischen Handlungen des zweiten Weltkrieges musste er die Stadt verlassen, ging nach Göttingen. Dort hat er bis zu seinem Tode 1947 gelebt.
Planck ist, wie gesagt, einer der großen Begründer der theoretischen Physik. Um das zu werden, musste er ein paar merkwürdige Hindernisse überwinden. Zunächst einmal das Hindernis, dass er als Schüler eigentlich mehr musisch begabt war. Er konnte phantastisch Klavier spielen. Er hat sogar eine kleine Operette komponiert. Er konnte gut singen. Er hat den Studentenchor und den Schülerchor organisiert. Es stellt sich die Frage, wie kommt jemand wie er zur Physik? Das Rätsel wird größer, wenn man bedenkt, dass er auf Nachfrage bei einem berühmten Professor an der Münchner Universität die Empfehlung bekommen hat, gerade nicht Physik zu studieren. Es ist eine Geschichte, die Max Planck selbst einmal erwähnt hat. Bei einem Vortrag 1924 an der Universität München erzählte er folgende Anekdote vom Anfang seines Studiums:
„Als ich meine physikalischen Studien begann und mir bei meinem ehrwürdigen Lehrer Philipp von Jolly wegen der Bedingungen und Aussichten meines Studiums Rat einholte, schilderte mir dieser die Physik als eine hoch entwickelte, nahezu voll ausgereifte Wissenschaft, die nunmehr, nachdem ihr durch die Entdeckung des Prinzips der Erhaltung der Energie gewissermaßen die Krone aufgesetzt sei, wohl bald ihre endgültige stabile Form angenommen haben würde. Wohl gäbe es vielleicht in dem einen oder dem anderen Winkel noch ein Stäubchen oder ein Bläschen zu prüfen und einzuordnen, aber das System als Ganzes stehe ziemlich gesichert da und die theoretische Physik nähere sich merklich demjenigen Grade der Vollendung, wie ihn etwa die Geometrie schon seit Jahrhunderten besitze.“
Eine Geschichte, über die gerne geschmunzelt und die immer wieder zitiert wird. Ich kann mir vorstellen, wäre man im Auditorium gewesen und hätte Planck dabei zugehört, dann hätte man wahrscheinlich das Blitzen und das Lächeln in seinem Gesicht gesehen. Es muss ihn gefreut haben, dass er diesen Rat seines Lehrers widerlegen konnte, wobei allerdings zwei Fragen offen sind.
Zunächst einmal: Ist der Rat des Physikers von Jolly wirklich so lächerlich? Und zweitens: Warum hat sich Planck trotzdem dagegen entschieden? Nehmen wir an, jemand von uns würde heute zu einem Professor gehen und fragen, ob sich ein Studium noch lohnt, zum Beispiel das Studium der Genetik oder der Meteorologie. Der Professor würde antworten: „Überhaupt nicht, studieren Sie lieber Klimaforschung, studieren sie lieber Ozeanographie“. Wer würde dann zweifeln? Wer würde sagen: „Der Rat des Professors ist falsch, meine Intuition ist richtig.“
Des Professors guter Rat...
Wir müssen diese beiden Aspekte wenigstens kurz betrachten. Zunächst einmal: Der Rat des Professors war gar nicht so schlecht. Es ist nämlich im 19. Jahrhundert etwas entstanden, was man heute einfach als „klassische Physik“ bezeichnet. Diese klassische Physik hat großartige Triumphe erzielt.
Es gab die Bewegungslehre von Newton, mit der man materielle Körper genau beschreiben konnte. Man konnte genau sagen, wie Kugeln zusammenstoßen. Heute können Sie mit der Newtonschen Physik genau berechnen, was passiert, wenn Sie einen Auffahrunfall mit Ihrem Auto haben oder wenn Sie mit einer Saturn-Rakete zum Mond fliegen wollen. Das macht alles die Newtonsche Physik. Das kannte man alles schon im 18. Jahrhundert und Philipp von Jolly wusste das.
Gleichzeitig kannte man auch die Bewegungsgleichung von immateriellen Dingen, also von elektrischen und magnetischen Feldern. Man wusste, wie sie sich gegenseitig beeinflussen und dabei Lichtbewegungen zustande bringen können. Außerdem wurden inzwischen Maschinen besser verstanden. Man hatte den Energiesatz, mit dessen Hilfe man genau sagen konnte, welche Arbeit eine Maschine leisten kann. Man konnte also überlegen, in welche Richtung Maschinen verbessert werden konnten.
Man hatte auch die Maxwellschen Gleichungen, die die Bewegungen immaterieller Körper ausdrücken, um elektromagnetische Wellen zu produzieren. Das funktionierte. Und es war eigentlich alles klar.
Es ist daher sehr leicht nachzuvollziehen, was von Jolly sagt. Zu erwarten, dass jemand daher kommt und sagt, da ist aber eine Lücke in dem Ganzen, da ist eine Unstetigkeit, ist völlig unabsehbar. Ich denke, dass von Jolly einen guten Tipp gegeben hat. Er konnte von seiner Physik nicht mehr erwarten.
Allerdings, wir wissen ja, dass Prognosen immer schwierig sind, vor allen Dingen, wenn sie sich auf die Zukunft beziehen. Sie haben sicher alle von der Prognose des IBM-Vorsitzenden gehört, dass die Welt nicht mehr als fünf Computer brauche und Sie wissen, wie überzeugend das widerlegt worden ist. Und so hat eben von Jolly gesagt, wir brauchen keine Physik mehr, wir brauchen nur noch Details. Das wurde überzeugend auch widerlegt.
Die zweite Frage, die wir uns stellen müssen lautet deshalb: Warum ist Planck diesem Ratschlag nicht gefolgt? In der Anekdote, die Planck erzählt, weist von Jolly auf den ersten Hauptsatz der Thermodynamik hin, den ersten Hauptsatz der Wärmelehre oder den „Energiesatz“. Der „Energiesatz“ ist im frühen 19. Jahrhundert entwickelt und aufgestellt worden. Er wurde z.B. auch von Herrmann von Helmholtz in wunderbarer Weise formuliert. Spätestens 1847 weiß man: Energie kann weder erhalten noch erzeugt werden, sondern Energie bleibt konstant. Energie ist sozusagen immer prä-sent. Es gibt eine Erhaltung der Energie.
Das klingt einfach, aber wenn Sie ein wenig über den Satz nachdenken, wird es schwieriger. Zum Beispiel: Wenn Energie weder vernichtet noch erzeugt werden kann, dann muss es sie immer gegeben haben. Was war dann, als die Welt entstanden ist? Gab es die Energie schon? Ist die Welt sozusagen nur eine Form von Energie, die eine bestimmte Art des Daseins zeigt? Oder ist Energie bei der Entstehung der Welt vielleicht doch erzeugt worden?
Wenn Sie den Energiesatz nur anschauen, stellt sich sofort das Problem des Anfangs und des Endes der Welt. Damit haben Sie das Problem der „Entwicklung“.
„Energie“ und „Entropie“
Der Energiesatz sagt gar nichts über die Entwicklung. Er sagt nicht, wie Energie sich bewegt, wie z.B. Wärmeenergie zu Bewegungsenergie wird oder wie Bewegungsenergie zu Wärmeenergie wird. Eine der Fragen, die damals eine große Rolle spielten, lautete: Warum kann nicht jede Energie in jede andere überführt werden?
Wenn Sie z.B. – das war damals ein immer wieder diskutiertes Thema – eine Eisenbahn nehmen. Die Eisenbahn fährt und bremst, dadurch wird die Bewegungsenergie der Eisenbahn in Wärmeenergie der Räder übertragen. Sie kennen das auch: Wenn Sie mit dem Auto scharf bremsen, wird der Reifen etwas heißer als vorher. Sie haben also die Bewegungsenergie durch Abbremsen in Wärmeenergie