4 Portraits (Pauli, Einstein, Planck und Heisenberg). Ernst Peter Fischer
Messungen. Von da aus sucht er sich auf dem Weg der induktiven Forschung, Gott und seiner Weltordnung als dem höchsten, ewig unerreichbaren Ziel nach Möglichkeit anzunähern.
Wenn also beide, Religion und Naturwissenschaft, zu ihrer Betätigung des Glaubens an Gott bedürfen, so steht Gott für die eine am Anfang, für die andere am Ende alles Denkens. Der einen bedeutet er das Fundament, der anderen die Krone des Aufbaues jeglicher weltanschaulicher Betrachtung. Diese Verschiedenheit entspricht der verschiedenen Rolle, welche Religion und Naturwissenschaft im menschlichen Leben spielen. Die Naturwissenschaft braucht der Mensch zum Erkennen, die Religion aber braucht er zum Handeln. Für das Erkennen bilden den einzigen festen Ausgangspunkt die Wahrnehmungen unserer Sinne. Die Voraussetzung einer gesetzlichen Weltordnung dient hier nur als die Vorbedingung zur Formulierung fruchtbarer Fragestellungen. Für das Handeln ist aber dieser Weg nicht gangbar, weil wir mit unseren Willensentscheidungen nicht warten können, bis die Erkenntnis vollständig oder bis wir allwis-send geworden sind. Denn wir stehen mitten im Leben und müssen in dessen mannigfachen Anforderungen und Nöten oft sofortige Entschlüsse fassen oder Gesinnungen betätigen, zu deren richtiger Ausgestaltung uns keine langwierige Überlegung verhilft, sondern nur die bestimmte und klare Weisung, die wir aus der unmittelbaren Verbindung mit Gott gewinnen.
Sie allein vermag uns die innere Festigkeit und den dauernden Seelenfrieden zu gewährleisten, den wir als das höchste Lebensgut einschätzen müssen. Und wenn wir Gott außer seiner Allmacht und Allwissenheit auch noch die Attribute der Güte und der Liebe zuschreiben, so gewährt die Zuflucht zu ihm dem Trostsuchenden Menschen ein erhöhtes Maß sicheren Glücksgefühls.
Gegen diese Vorstellung lässt sich vom Standpunkt der Naturwissenschaft nicht das Mindeste einwenden, weil ja die Fragen der Ethik, wie wir schon betont haben, gar nicht in ihren Zuständigkeitsbereich gehören. Wohin und wie weit wir also blicken mögen, zwischen Religion und Naturwissenschaft finden wir nirgends einen Widerspruch, wohl aber gerade in den entscheidenden Punkten völlige Übereinstimmung. Religion und Naturwissenschaft, sie schließen sich nicht aus, wie manche heutzutage glauben oder fürchten, sondern sie ergänzen und bedingen einander.
Wohl den unmittelbarsten Beweis für die Verträglichkeit von Religion und Naturwissenschaft auch bei gründlich kritischer Betrachtung bildet die historische Tatsache, dass gerade die größten Naturforscher aller Zeiten – Männer wie Keppler, Newton, Leibnitz – von tiefer Religiosität durchdrungen waren. Zu Anfang unserer Kulturepoche waren die Pfleger der Naturwissenschaft und die Hüter der Religion sogar durch Personalunion verbunden. Die älteste angewandte Natur- wissenschaft, die Medizin, lag in den Händen der Priester. Und die wissenschaftliche Forschungsarbeit wurde noch im Mittelalter hauptsächlich in den Mönchszellen betrieben. Später, bei der fortschreitenden Verfeinerung und Verästelung der Kultur, schieden sich die Wege allmählich immer schärfer von einander, entsprechend der Verschiedenheit der Aufgaben, denen Religion und Naturwissenschaft dienen. Denn so wenig sich Wissen und Können durch weltanschauliche Gesinnung ersetzen lassen, ebenso wenig kann die rechte Einstellung zu den sittlichen Fragen aus rein verstandesmäßiger Erkenntnis gewonnen werden.
Aber die beiden Wege divergieren nicht, sondern sie gehen einander parallel und sie treffen sich in der fernen Unendlichkeit an den nämlichen Zielen. Um dies recht einzusehen, gibt es kein besseres Mittel als das fortgesetzte Bemühen, das Wesen und die Aufgaben einerseits der naturwissenschaftlichen Erkenntnis, andererseits des religiösen Glaubens, immer tiefer zu erfassen. Dann wird sich in immer wachsender Klarheit herausstellen, dass, wenn auch die Methoden immer verschieden sind, denn die Wissenschaft arbeitet vorwiegend mit dem Verstand, die Religion vorwiegend mit der Gesinnung, der Sinn der Arbeit und die Rich-tung des Fortschrittes doch vollkommen miteinander übereinstimmen.
Es ist der stetig fortgesetzte, nie erlahmende Kampf gegen Skeptizismus und gegen Dogmatismus, gegen Unglaube und gegen Aberglaube, den Religion und Naturwissenschaft gemeinsam führen und das Richtungsweisende Losungswort in diesem Kampf lautet von jeher und in alle Zukunft: Hin zu Gott.“
„Hin zu Gott“. Das ist das, was man nur als Mensch dieser Kultur tun kann. Was Planck hier in großartiger Weise vorweg nimmt, ist eine Erkenntnis, die nach dem zweiten Weltkrieg der Philosoph Karl Jaspers zum ersten Mal formuliert hat, als er darauf hingewiesen hat, dass die europäische Kultur zwei große Traditionen hat.
Die erste Tradition ist 3.000 Jahre alt und man kann sie als „Transzendenzfähigkeit“ begreifen. Wir haben plötzlich Gott entdeckt. Das ist überall auf der Welt geschehen, ist aber vor allem in die europäische Kultur eingegangen. Auch Zarathustra in Persien, Konfuzius in China, Buddha in Indien und die Propheten im Nahen Osten haben ihn entdeckt. Überall war plötzlich die Idee da, dass es sozusagen eine zweite Wirklichkeit gibt, zu der ich hinstreben kann, von der ich etwas empfangen kann. Das ist die Fähigkeit des Menschen zur Transzendenz. Die gehört zu uns.
Plancks Weg zu Gott
Wir sind Nachfolger jener Menschen, die das entdeckt haben. Das ist unsere erste Qualität. Wir können selbst Transzendenzerfahrung machen, nämlich etwas außerhalb von uns erkennen. Die Naturwissenschaften erlauben das. Damit haben wir vor 400 Jahren begonnen. Wir sind auch Nachfolger der Menschen, die die Naturwissenschaften erfunden haben. Wir sind sozusagen gleichzeitig wissenschaftsfähig und transzendenzfähig. Beides gehört zu unserer großen Kulturleistung. Genau das drückt Planck aus. Der religiöse Mensch ist am Anfang bei Gott, der wissenschaftliche Mensch findet am Ende zu Gott. Das ist ganz ernsthaft gemeint. Denn wenn Sie wirklich – so will Planck sagen – etwas über die Welt erkennen, dann müssen Sie außer sich sein vor Freude. Dann sind Sie bei Gott.
Sie können nicht sagen „Aha, ich habe den Energiesatz verstanden“ und gehen dann zur Tagesordnung über und schreiben eine Klassenarbeit. Oder Sie haben den zweiten Hauptsatz verstanden und machen eine Klausur in Physik und werden dann Lehrer. Das ist einfach nur Handwerk, das ist nicht Erkenntnis. Und aus diesem Handwerk folgt auch nicht das Handeln, das haben Sie ja schon getan. Sie müssen sich vorstellen, dass Sie in der Lage sind, über sich selbst hinaus zu wachsen, aus sich heraustreten zu können. Außer sich sein. „Außer sich“ sein heißt dann, mit einer anderen Sache zusammenkommen. Das ist diese höhere Wesensheit, die wir Gott nennen, die wir Wahrheit nennen, die dann Ihr ureigenes Erlebnisvermögen schafft.
Ich halte das für eine ganz großartige Darstellung. Planck spricht aus seinem eigenen Erleben. Ich glaube, das ist ein ganz ehrlicher Beitrag, der sämtliche anderen Überlegungen über Religion und Naturwissenschaft, die von Menschen angestellt werden, die weder religiös sind, noch Naturwissenschaft kennen, in den Schatten stellt. Planck hat das Religiöse in der Naturwissenschaft erfahren und er drückt aus, dass das ein Erlebnis ist.
Eigentlich möchte ich allen Menschen, die Naturwissenschaft betreiben, wünschen, dass sie solche Erlebnisse haben. Sie müssen sich nur darauf einlassen. Sie müssen den Energiesatz nicht nur als eine Vorschrift zur Konstruktion von Maschinen nehmen, sondern als etwas, das sie mit der Welt, zu der sie gehören, in Verbindung bringt, die sie in diesem Moment erkennen.
Preußisch und national
Als Planck diese Rede hält, ist er fast 80 Jahre alt und ungeheuer engagiert gewesen in all den Jahren davor. Er war Rektor der Berliner Universität, ständiger Sekretär der preußischen Akademie der Wissenschaften und zum Schluss auch noch Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft geworden. In dieser Funktion hatte er sogar ein Gespräch mit Reichskanzler Adolf Hitler, über das er berichtet hat. Es hat ihn entsetzt, weil Hitler offenbar überhaupt nicht in der Lage war, auf irgendwelche Argumente zu hören, sondern sich in Wut über Kommunisten und Juden geredet hat.
Es gibt eine wunderbare Darstellung Plancks von seinem Besuch bei Hitler. Er muss in dieser Zeit über die äußeren Umstände ziemlich verzweifelt gewesen sein und hat sich deswegen den inneren Bedingtheiten zugewendet, als er sich um Religion bemühte. Er ist während dieser nationalsozialistischen Herrschaft plötzlich auch seinem Deutschtum gegenüber etwas in Zweifel geraten, weil er eigentlich ein überzeugt preußisch und national denkender Mann war, der jetzt mit einer Regierungsform