4 Portraits (Pauli, Einstein, Planck und Heisenberg). Ernst Peter Fischer
physikalische Wirklichkeit ist, was Planck eigentlich nie wollte. Warum also war Planck trotzdem von Einstein so begeistert?
Ich glaube, dass man dazu eine andere Dimension der Physik anschauen muss. Eine der spannendsten Fragen, um die es im 19. Jahrhundert ging. Es klingt jetzt sehr einfach und albern, wenn ich das sage, aber es war mal eine spannende Frage. Wir könnten uns ja auch einmal überlegen, welche spannenden Fragen wir heute nicht beantworten können, die aber in 100 Jahren beantwortet werden können, wenn sie problemlos sind.
Die spannende Frage im 19. Jahrhundert war: „Gibt es Atome oder gibt es Atome nicht?“
Besteht Wasser aus Molekülen oder ist es ein Kontinuum, eine einheitliche Substanz, eine Flüssigkeit? Besteht die Luft aus Molekülen oder ist sie ein einheitliches „Gebrasel“? Besteht die Welt aus Atomen oder ist sie ein durchgehendes Ganzes?“
Heute sagen wir: „Klar, die Welt besteht aus Atomen“. Aber damals sagte man: „Man kann Atome nicht sehen, und was ich nicht sehen kann, interessiert mich nicht. Ich betrachte nur die Erscheinungen, die ich messen kann – also die Temperatur eines Gases, den Druck eines Gases, das Volumen eines Gases. Das nennt man Phänomenologie.
Man betrachtet also die Phänomene und versucht, diese Phänomene in einer geeigneten Weise zu ordnen. Die Physiker haben aber überlegt, man müsse doch versuchen, diese Phänomene, also zum Beispiel die Temperatur eines Gases aus den Bestandteilen dieses Gases, zu erklären. Aber was sind die Bestandteile? Und gibt es jetzt Atome oder gibt es sie nicht? Kann man statistische Physik betreiben oder muss man phänomenologische Physik betreiben?
Das waren im 19. Jahrhundert spannende Fragen. Die meisten Physiker hatten sich entschieden. Ernst Mach zum Beispiel war gegen die Atome, Ludwig Boltzmann war für die Atome. Nur Planck schwankte. Planck war mal für die Atome, mal gegen die Atome. Mal hielt er die Atome für wichtig, mal hielt er die Atome für unwichtig. Und eigentlich wusste er es nicht. Als er dann das „Quantum der Wirkung“ 1900 formulierte, machte das nur Sinn, wenn er die Existenz von Atomen voraussetzte. Weil ja dann das Atom einen Quantensprung machte. Nicht die Materie, sondern das einzelne Atom. Und dieses einzelne Atom hatte er jetzt. Er setzte voraus, dass es wirklich Atome gibt. Aber er wusste es nicht. Er war verzweifelt. Es gab keinen Beweis.
Jetzt aber kommt ins Spiel, was Albert Einstein 1905 gemacht hat. Er hat nicht nur etwas über das Licht gesagt, er hat nicht nur die Relativitätstheorie aufgestellt, sondern er hat in einer dritten, vierten Arbeit, die aber nicht so oft zitiert wird, auch bewiesen, dass es Atome wirklich gibt.
Ich glaube, dass Planck einfach erleichtert war. Jetzt hatte er sich auf die richtige Seite gestellt. Er hatte sich zu den Atomen bekannt und Einstein konnte beweisen, dass es sie wirklich gibt. Er war erleichtert, denn an dieser Stelle hatte er keinen Fehler gemacht.
Ich möchte darauf hinweisen, dass in der Physik auch Gefühle eine Rolle spielen. Dass man Ängste haben kann, dass nicht nur eine Rationalität da ist, sondern dass man auch Mut haben muss, sich zu bekennen. Planck hatte den Mut, sich zu den Atomen zu bekennen, aber die Angst, dass dies sich doch als falsch herausstellen könnte. Die Angst konnte ihm Einstein nehmen und seitdem war auch klar, wie jetzt mit der Physik weiter fortzufahren war und wie man die Atomphysik entwickeln konnte, nämlich mit dem Quantum.
Bei diesem Quantum tauchen allerdings eine Menge Probleme auf. Denn wie kann man die Unstetigkeit in den Griff bekommen? Wie kann man das in den Griff bekommen, was da zwischendurch abläuft? Wie der Quantensprung selbst vollzogen wird? Und mit diesen Quantensprüngen in der Natur taucht auch noch ein ganz neues Problem auf.
Das Ende der „Objektivität“ in der Physik
Die Natur wurde im 19. Jahrhundert von der Naturwissenschaft so beschrieben, dass der Beobachter selbst in der Beschreibung nicht vorkam. Das nennt man Objektivität. Es ging nur um das Objekt. Das Objekt des Atoms, das Objekt eines Gases, das Objekt einer Flüssigkeit. Die Wissenschaft war objektiv in dem Sinne, dass in der gesetzmäßigen Darstellung dieser Physik das Subjekt, also der Beobachter, der Experimentator, nicht vorkam.
Das ging jetzt nicht mehr. Denn wenn ich vom Atom etwas wissen will, muss ich mit ihm Kontakt aufnehmen. Ich muss mit dem Atom also zumindest ein „Quantum der Wirkung“ austauschen. Denn das ist das Kleinste, was passieren kann. Dabei nimmt das Atom ein Quantum auf oder gibt ein Quantum ab und ist dadurch ein Anderes. Mit anderen Worten: das beobachtete Atom ist etwas Anderes als das unbeobachtete Atom. Ich weiß aber nur etwas vom beobachteten Atom und dadurch muss der Beobachter in die Physik einbezogen werden. Die Physik ist nicht mehr objektiv, seit es das Quantum der Wirkung gibt.
Das hat sowohl Planck als auch Einstein gewurmt, denn jetzt bekam plötzlich die Frage, wie die Natur kausal funktioniert, einen anderen Sinn. Sie funktioniert ja in diesem Moment nicht mehr kausal ohne mich, sondern mit mir. Ich greife in die Natur ein – was wir übrigens im großen Stil tun. Wir greifen in die Welt ein, aber wir haben immer gedacht, wir greifen nicht in ein atomares Geschehen ein. Wir greifen nicht in den unmittelbaren elementaren Prozess ein, der z.B. zur Abgabe von Strahlung gehört. Jetzt gehört das aber dazu. Jetzt fängt Planck an, sich Gedanken zu machen.
Spätestens seit dem Jahre 1908, also zu seinem 50. Geburtstag, fängt er an, Philosoph zu werden und philosophische Vorträge zu halten. Er spricht über die Einheit des physikalischen Weltbildes, den Kampf der Physik um die Weltanschauung, aber vor allen Dingen immer wieder über die Frage: „Was ist eigentlich Kausalität?“
Die Frage der Kausalität
Das Spannende an der Kausalitätsfrage ist, in Hinblick auf das, was er über Gott gesagt hat, die Frage nach dem Leben. Ist das Leben, das wir führen, durch Kausalität, durch Naturgesetze bestimmt oder gibt es im Rahmen der Determiniertheit durch die Gesetze noch eine Freiheit, in der ich mich bewegen kann? Kommt die Freiheit dadurch zustande, dass ich Wechselwirkungen eingehe? Habe ich gewissermaßen durch Quantensprünge Freiheiten? Oder ist da doch irgendeine Determinierung, eine Festlegung der Kausalität? Was ist die Kausalität in der Natur? Wie kann ich das verstehen?
Darüber denkt Planck immer wieder nach. Er hat sehr viele Vorträge über dieses Thema gehalten, aber ich möchte mich jetzt vor allem auf einen konzentrieren, den er 1932 in London hielt. Ich weise auf London hin, weil Planck derjenige deutsche Wissenschaftler war, der immer wieder, auch schon kurz nach dem 1. Weltkrieg und dann später zur Zeit des Nationalsozialismus und sogar nach dem 2. Weltkrieg vom Ausland eingeladen wurde. Planck galt im Ausland als die deutsche Stimme, der anständige Deutsche. Er hatte auch viel zu sagen. Vor allem hatte er sich viele Gedanken gemacht über diese Frage der Kausalität.
Sein Vortrag 1932 in London beginnt so:
Vortrag London 1932
„Die neuere Entwicklung der Physik hat gelehrt, dass die hohen Erwartungen, die man eine Zeitlang an die glänzenden Erfolge der physikalischen Forschung für die Vertiefung der Naturkenntnis mit gewissem Recht geknüpft hatte, in wesentlichen Punkten eingeschränkt werden müssen, und dass insbesondere das Kausalgesetz in seiner bisher üblichen, klassischen Formulierung unmöglich allgemein durchgeführt werden kann. Denn in seiner Anwendung auf die Welt der Atome hat es endgültig versagt. Daher findet sich ein jeder, der für den Sinn und die Bedeutung naturwissenschaftlicher Forschung Interesse besitzt, vor die dringende Aufgabe gestellt, das eigentliche Wesen der Naturgesetzlichkeit aufs Neue der Prüfung zu unterziehen und vor allem dem Begriff der Kausalität noch tiefer als bisher auf den Grund zu kommen.
Es geht heute nicht mehr an, dass man – wie Kant es getan hat – das Kausalgesetz als Ausdruck der Gültigkeit unverbrüchlicher Regeln für alles Geschehen einfach mit zu den Kategorien rechnet. Als eine Form der Anschauung, ohne die wir überhaupt nicht im Stande sind, Erfahrungen zu sammeln. Denn wenn auch der Kantsche Satz, dass gewisse Kategorien allen unseren Erfahrungen von vorneherein mit zugrunde liegen, wohl für alle Zeiten unantastbar bleiben wird, so ist damit noch nichts über den speziellen Sinn der einzelnen Kategorien ausgesagt. Und die Tatsache, dass