Nachhaltig investieren für Dummies. Alexandra Bolena
und sich aus klimaheiklen Branchen zurückziehen, dann entsteht dort unmittelbarer Handlungsbedarf. Mit jedem Divestment wird die Notwendigkeit für klimakritische Unternehmen, ihre Geschäftstätigkeiten klimapositiv zu adaptieren, dringender und das, ohne dass die Politik unmittelbar eingreifen muss.
Divestment ist aber nicht nur ein mächtiges Instrument für institutionelle Anleger, wie Pensions- und Abfertigungskassen. Auch Sie als Privatanleger können im Rahmen Ihrer Veranlagung über Einzeltitel wie Aktien oder Anleihen ein Zeichen setzen und gewisse Branchentitel abstoßen. Auch immer mehr Fondsgesellschaften folgen diesen Überlegungen und beginnen, ihre Fonds umzustrukturieren.
Aber nicht nur für Unternehmen, auch für Staaten gibt es einige recht weit verbreitete Ausschlusskriterien, die entweder zu Divestments oder dazu, dass ein ganzes Land auf einer Ausschlussliste landet, führen können. So haben die Anwendung der Todesstrafe, Menschenrechtsverletzungen oder inakzeptable Arbeitsrechte schon bei vielen Investoren dazu geführt, dass Finanztitel – Aktien oder Anleihen – aus Ländern abgezogen wurden.
Bei manchen Themen, wie zum Beispiel der Todesstrafe, ist bezüglich der Erstellung von Ausschlusslisten eine klare Ja-Nein-Regelung anwendbar. Bei vielen Themen braucht es aber Feinjustierung. Hier die vier wichtigsten Ansatzpunkte:
Position in der Wertschöpfungskette: Sollen nur die Hersteller eines kontroversen Produktes ausgeschlossen werden oder auch Händler? Und wenn Händler: bis zu welchen Umsatzgrenzen?
Definition von Umsatzgrenzen im Unternehmen: Sollen beispielsweise grundsätzlich alle Verkäufer von Tabakprodukten ausgeschlossen werden oder nur solche, die damit einen relevanten Umsatzanteil erwirtschaften? Gängig sind hier Umsatzgrenzen von fünf oder zehn Prozent. (Konkretes Beispiel: Aktien von Duty-Free-Shop-Betreibern oder Mischkonzernen.)
Definition von Grenzen global betrachtet beziehungsweise im Vergleich: Ein Ausschluss erfolgt nur dann, wenn ein Unternehmen einen bestimmten Schwellenwert – meist 0,5 oder ein Prozent– am globalen Gesamtumsatz überschreitet oder sich im Vergleich im untersten, also schlechtesten Viertel befindet.
Sollen Zulieferbetriebe bei der Analyse ebenfalls Berücksichtigung finden? Und wenn ja, bis in welche Tiefe? Da bei so gut wie allen Branchen Zulieferbetriebe in Schwellen- und Entwicklungsländern angesiedelt sind und dort bei Arbeitsschutz- und Menschenrechtsfragen meist andere Standards gelten als bei uns, ist hier der Widerstand der Wirtschaft, sich bis in die Lieferketten analysieren zu lassen, noch sehr groß. Besonders Nahrungsmittelindustrie und Textilhandel stehen hier häufig am Pranger, aber in Wahrheit ist so gut wie jede Branche betroffen, schafft es aber nicht so oft in die Schlagzeilen.
2023 soll in Deutschland erstmals ein Lieferkettengesetz verabschiedet werden, um Missstände in den globalen Lieferketten transparent zu machen. Auch auf EU-Ebene werden entsprechende gesetzliche Rahmenwerke diskutiert. Der grundsätzliche politische Wille ist ein erstes gutes Zeichen, auch wenn die Verhandlungen zur konkreten Ausgestaltung sicher hart werden.
Je mehr man sich mit der Thematik befasst, desto mehr Gründe werden einem bewusst, warum man Staaten, Branchen oder Unternehmen für ein Investment nicht in Betracht ziehen oder sogar sein Geld wieder abziehen sollte. Zu bedenken ist aber, dass das investierbare Universum umso kleiner wird, je enger man Ausschlusskriterien definiert.
Bedenken Sie bitte immer, dass der unüberlegte Fokus auf wenige ausgewählte Branchen letztlich die Diversifikation Ihres Portfolios verringert und zu einem Klumpenrisiko führen kann.
Was ein Klumpenrisiko ist haben Sie ja schon im letzten Kapitel erfahren, etwas näher wird darauf auch noch im Praxisteil dieses Buches ab Kapitel 8 eingegangen. In diesem Zusammenhang ist zudem wichtig zu wissen, dass global agierende Unternehmen oft in mehreren Branchen tätig sind. Diese Konzerne sind häufig richtige Börsen-Schwergewichte, auch »Value-Unternehmen« genannt, die man vielleicht nicht gänzlich aus dem Anlageuniversum ausschließen will.
Growth und Value
Bei Growth-Titeln hoffen Investoren auf rasches Wachstum und schnellen Wertzuwachs, bei Value-Werten vertrauen Anleger auf die langjährige Qualität eines Unternehmens und dessen inneren Wert. Denn während Börsenkurse oft stark schwanken, bleibt der innere Wert eines Unternehmens meist relativ stabil.
Fazit: Wer auf neue Technologien zum Beispiel im Nachhaltigkeitsbereich setzt und Aktien innovativer Unternehmen kauft, hofft auf rasche und hohe Gewinne und ist ein Growth-Investor, wer hingegen auf VW und die Transformationsfähigkeit des Automobilherstellers setzt, ein Value-Investor.
Als Anleger ist es nicht immer einfach, sich ausreichend Informationen zu beschaffen, um eine vernünftige Einschätzung hinsichtlich der Entwicklung und Nachhaltigkeit eines Unternehmens zu haben. Umsatzgrenzen sind da die vergleichsweise leichte Übung. Wenn man aber auch Zulieferketten in Betracht ziehen will, wird es nahezu unmöglich, alle Fakten selbst abzuwägen. Um dennoch einen Ansatzpunkt in puncto Nachhaltigkeit zu haben, kann man sich an Gütesiegeln, wie sie in Teil II vorgestellt werden, orientieren oder sich mit dem Best-in-Class-Ansatz auseinandersetzen.
Best-in-Class-Ansatz
Beim Best-in-Class-Ansatz werden Unternehmen bezüglich ESG-Kriterien verglichen.
Diejenigen Unternehmen, die innerhalb ihrer Branche, Kategorie oder Klasse bezüglich Umwelt-, Sozial- und Governance-Aspekten – also den ESG-Kriterien– am besten abschneiden, werden als Best-in-Class bezeichnet.
Die Bewertung beim Best-in-Class-Ansatz erfolgt anhand einer Vielzahl von Kriterien, die sich auf alle relevanten unternehmerischen Tätigkeiten beziehen. Es geht dabei nicht nur um Produktions- oder Lieferprozesse, also die Tätigkeit an sich, sondern genauso um unternehmensinterne Strukturen insgesamt. Kriterien, die dabei zur Anwendung gelangen, sind zum Beispiel ein gutes Umwelt- und Risikomanagementsystem, effizienter Energie- und Ressourcenverbrauch, umfassende Schulungs- und Sozialprogramme für Mitarbeiter, Maßnahmen zur Inklusion und Ähnliches.
Im Vorfeld der Analyse werden branchenspezifische nachhaltigkeitsrelevante Herausforderungen identifiziert und passende Kriterien definiert. Dann wird analysiert. Im Ergebnis umfasst das Best-in-Class-Investmentuniversum dann jene Unternehmen, die im Branchenvergleich vergleichsweise gut abschneiden. Manchmal werden bei der Analyse auch zukunftsorientierte Vorhaben miteinbezogen, manchmal auch nur der Status quo analysiert. Die Herangehensweisen der Analysehäuser und Ratingagenturen sind hier sehr unterschiedlich.
Pro und Contra Best-in-Class-Ansatz
Den Best-in-Class-Ansatz gibt es schon seit den 1990er-Jahren – entsprechend bekannt und beliebt ist er. Er bietet eine gute Grundlage, um die Nachhaltigkeitsperformance von Unternehmen zu vergleichen. Zudem hat er dazu beigetragen, dass in den vergangenen Jahrzehnten innerhalb der unterschiedlichsten Branchen durchaus eine Wettbewerbssituation entstand: Wer das bessere Nachhaltigkeitsmanagement hatte, konnte damit rechnen, sich am Kapitalmarkt leichter und billiger mit frischem Geld einzudecken als die weniger nachhaltige Konkurrenz.
In Folge entstanden etliche Finanzprodukte, die sich damit rühmen, nur in »Best-in-Class« einer Branche zu investieren. (Fonds, Indizes und ETFs, die diesen Ansatz verfolgen, lernen Sie in Teil III näher kennen.)
Befürworter des Best-in-Class-Prinzips argumentieren zu Recht, dass ein großer Vorteil des Ansatzes darin besteht, dass man als Anleger keine Brancheneinschränkungen hat. Vielmehr bleibt das