Sturmgeflüster. Alexandra Walczyk

Sturmgeflüster - Alexandra Walczyk


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Anweisung gegeben, mir nach seinem Tod die Unterlagen zu schicken? Warum durften wir nie über die Umstände seines Todes sprechen? Wer war dieser John Left Hand? Und warum, verdammt nochmal, willst du eigentlich alles über diesen Fall wissen?“

      Sie war wütend über ihre Hilflosigkeit. Burns nahm ihre Hand und lächelte sie an. „Ich weiß noch nicht, was es bedeutet. Dein Dad war ein kluger Mann. Er hat dir sein Tagebuch geschickt, weil er wusste, dass du sein Geheimnis niemals preisgeben würdest. Die Frage nach John Left Hand kann ich dir noch nicht beantworten, aber so, wie die Dinge liegen, braucht sein Sohn meine Hilfe.“

      „Sein Sohn?!“

      „Frag nicht. Ich kann dir noch nichts sagen, aber ich verspreche dir, dass ich versuchen werde, Antworten auf deine Fragen zu finden.“ Und auf meine, dachte er.

      Burns küsste die Hand seiner Exfrau und verabschiedete sich. Zeit, sich auf den Weg zu machen. Ein gewisser Bernard Little Horse wartete bereits seit einer halben Stunde auf sein Erscheinen. Burns würde den Fall übernehmen. Vielleicht nicht nur diesen.

      Mary-Ann brachte ihn zur Tür. „Du wirst vorsichtig sein, ja?“

      „Ich verspreche es.“

      Zwei Stunden später saß Raymond Burns dem Mitglied des Stammesrates Little Horse gegenüber und murmelte seinem Gast etwas über ein angebliches Verkehrschaos als Entschuldigung zu. Der saß, die personifizierte Geduld, schweigend in seinem Besuchersessel und schien sich am Verhalten des Anwalts nicht im Geringsten zu stören.

      Bernard Little Horse hatte dem Anwalt alles über Lewis berichtet, was ihm wichtig erschien und was er wusste. Burns hatte schon vorab sein Interesse an dem Fall bekundet und Bernard in seinen Ausführungen bis auf einige Zwischenfragen nicht unterbrochen. Während er darüber nachdachte, wie er Little Horse am besten aus der Reserve locken konnte, um herauszufinden, was er über John Left Hand wusste, und warum er dessen Todesumstände mit keinem Wort erwähnt hatte, stellte Little Horse ähnliche Überlegungen an. Konnte er Burns trauen? Genügte es nicht, Lewis frei zu bekommen und die alten Geschichten ruhen zu lassen? Er seufzte innerlich und rief sich das Telefonat mit Alma ins Gedächtnis. Sie hatte Lewis gesehen und war überzeugt davon, dass der Junge am Abgrund stand und dringend Hilfe brauchte. Außerdem würde er ohnehin keine Ruhe mehr geben, bis er die Wahrheit über seinen Vater in Erfahrung gebracht hatte. Nun gut, dachte Bernard, und sein Entschluss stand fest. Auch Raymond gab sich einen Ruck, lächelte sein Gegenüber entwaffnend an und sagte mit fester Stimme: „Mr Little Horse, ich danke Ihnen für Ihre Offenheit. Obwohl Ihr Schützling Lewis nicht unbedingt meinen üblichen Fällen entspricht, haben Sie mich neugierig gemacht. Ich werde also seine Verteidigung übernehmen.“ Burns lächelte erneut, als er die Erleichterung im Gesicht von Little Horse registrierte, obwohl dieser sich sichtlich Mühe gab, eine unbewegte Miene zur Schau zu stellen. Bevor der Indianer antworten konnte, hob Burns die Hand und beugte sich leicht vor: „Was das Honorar betrifft, können Sie beruhigt sein. Eine Sache würde mich allerdings noch interessieren. Haben die Probleme meines Mandanten etwas mit denen seines Vaters zu tun?“ Burns sah Little Horse forschend ins Gesicht.

      Dieser war bei der Frage des Anwalts unwillkürlich zusammengezuckt, das war nicht zu übersehen gewesen. Für einen Moment schlug er die Augen nieder, dann blickte er Burns an und antwortete, ohne mit der Wimper zu zucken: „ Nein, ich denke nicht.“

      Burns lehnte sich zurück und wartete. Bernard zögerte erneut. Nachdem alle so lange geschwiegen hatten, fiel es ihm jetzt schwer zu reden. Aber vielleicht war die Zeit ja reif.

      „Nein, die Schlägerei hat mit Johns Tod nichts zu tun.“ Er fuhr sich mit der Zunge über die ausgetrockneten Lippen und schluckte. „Aber sein Tod hat alles in Gang gesetzt.“

      Ah, dachte Burns. Da war es wieder. Auch Mary-Ann hatte davon gesprochen, dass mit John Left Hands Tod die Dinge ins Rollen gekommen waren.

      Laut dagegen fragte er: „Es war Mord, wenn ich richtig informiert bin, nicht wahr?“

      Little Horse zuckte abermals zusammen. Es gelang ihm nicht, seine Gefühle zu verbergen. Misstrauisch sah er Burns ins Gesicht. Schweiß begann sich auf seiner Oberlippe zu bilden. Man sprach nicht über die Toten, das brachte nur Unglück. Verfluchte Left Hands!

      „Mord?“, fragte Bernard und hatte sich wieder in der Gewalt. „Nicht?“ Burns beugte sich nach vorn.

      Little Horse wischte sich über die Oberlippe und entgegnete kühl und abweisend: „Nun, im Polizeibericht ist die Rede von Trunkenheit am Steuer und Unfall mit tödlichem Ausgang.“

      „Sie kennen also den Bericht? Auch den des FBI?“, konterte Burns ebenso kühl.

      „Warum sollte das FBI einen Bericht über den Autounfall eines besoffenen Indianers haben?“

      „Weil es vielleicht kein Unfall war. Was denken Sie?“

      Bernard schwieg.

      Burns hakte unerbittlich nach. „Hören Sie, wenn ich dem Jungen helfen soll, wäre es nicht das Schlechteste auch über den Vater Bescheid zu wissen.“ Burns bemühte sich um Neutralität.

      „Mr Burns, ich bin gekommen, um Sie zu bitten, einen Stammesangehörigen aus einem staatlichen Gefängnis herauszuholen. Das ist alles. Alles andere liegt lange genug zurück, um es vergessen zu können.“ Little Horse brach erneut der Schweiß aus.

      „Aber Sie haben es nicht vergessen.“ Burns starrte unentwegt in die dunklen Augen seines Gegenübers. Etwas regte sich darin. Er durfte jetzt nicht locker lassen.

      „Keiner hat es vergessen, nicht wahr? Und Lewis ist nicht irgendein Stammesangehöriger, für den Sie sich persönlich ins Zeug legen …“ Burns ließ den Satz in der Luft hängen.

      „Nein, Sie haben recht.“ Bernard senkte die Lider. „Keiner hat es vergessen. Und Lewis wird nicht eher Ruhe geben, bis er weiß, was passiert ist. Aber die Leute haben Angst vor dem, was die Wahrheit dem Stamm vielleicht bringen wird.“

      „Was ist die Wahrheit?“, fragte Burns gespannt.

      „Ich weiß es nicht. Keiner weiß es.“ Bernard Little Horse spreizte beide Hände und schüttelte den Kopf. „Alles, was wir zu wissen glauben, ist, dass es Mord war. Aber wir haben keinerlei Beweise und wir wissen auch nicht, warum. Woher wissen Sie eigentlich davon?“

      Nun war es an Raymond zu zögern. Wie viel durfte er preisgeben? Eine Menge Menschen hatten Angst. Auch Little Horse. War es richtig, sie in Gefahr zu bringen? Nein, aber der Gerechtigkeit musste Genüge getan werden. Burns dachte an seinen Schwiegervater.

      „Mein Schwiegervater war mit dem Fall John Left Hand vertraut. Er starb auch unter etwas mysteriösen Umständen, wie ich erst heute erfahren habe, als AIM den Fall 1973 wieder aufrollen wollte. Malcolm wollte in Rapid City mit einem Zeugen reden, aber …“, weiter kam Burns nicht.

      Bernard fiel ihm aufgeregt ins Wort: „Malcolm? Etwa Malcolm Urquart? Er ist Ihr Schwiegervater?“

      Burns nickte nur und Bernard starrte ihn mit offenem Mund an. Er brachte kein Wort mehr heraus, lediglich ein erbärmliches Gurgelgeräusch, das den Anwalt fast zum Lächeln brachte, doch ein Lächeln schien dem Ernst der Situation nicht angemessen. „Sie kannten meinen Schwiegervater?“ Nun hatte die Überraschung wieder die Seite gewechselt. Der Anwalt musterte Little Horse über den Schreibtisch hinweg.

      „Nicht persönlich. Aber es hatte sich damals schnell herumgesprochen, dass ein bekannter Anwalt aus Minneapolis in der Nähe von Rapid City Selbstmord begangen haben sollte. Auch, dass er für AIM tätig gewesen war, weswegen die meisten seinen Tod nicht weiter tragisch genommen hatten. Damals starben viele meiner Leute. Urquart hatte einen guten Ruf als Anwalt für Bürgerrechte. Sein Tod war ein großer Verlust.“

      Burns räusperte sich und setzte mehrmals vergeblich zum Sprechen an, bevor er fragte: „Haben Sie an der Selbstmordversion gezweifelt?“

      „Wir, ja.“ Bernard nickte bedächtig.

      „Ah.“ Burns lächelte.

      


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