Die Tränen der Rocky Mountain Eiche. Charles M. Shawin

Die Tränen der Rocky Mountain Eiche - Charles M. Shawin


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Stadt und lebten von dem, was ihnen die Eroberer ihres Landes in Anflügen von Barmherzigkeit zukommen ließen.

      Die Neugier trieb auch sie aus ihren Zelten. In schmutzigen Kleidern, mit verlausten Haaren, viele angetrunken, kamen sie zum Fluss. Mit stoischem Gesichtsausdruck, in verfilzte Decken gehüllt, ließen sie sich abseits der Weißen nieder und warteten.

      „Wie Tiere”, knurrte Hastings Blackmore. Er zupfte David am

      Hemdsärmel. „Schau sie dir an, Dave! Arme Wichte sind das. Kommen hierher und glotzen den Fluss hinab. Und haben dabei keinen Schimmer, was dort gleich kommen wird.”

      „Vielleicht wissen sie es doch, Mr Blackmore”, widersprach Dave

      leise.

      Hastings Blackmore drehte schmunzelnd den Kopf und sah ihn über die Schulter hinweg mitleidig an.

      „Ich sagte dir doch, sie sind wie Tiere. Wie dumme, störrische Tiere. Und sie sind Diebe und Gotteslästerer. Allesamt. Aber sie sind auch arme Wichte.”

      Cuthbert kam angerannt und forderte Dave auf, mit ihm und den anderen Kindern dem Schiff entgegenzulaufen. Er war Mr Blackmores Sohn. Er war neun, also vier Jahre älter als Dave, aber sein Körper zeigte schon gute Ansätze von Muskeln. Dave beneidete ihn deswegen, aber auch wegen der Art, wie Cuthbert sich selbst gegenüber älteren Kindern durchsetzte. Außerdem hatte Cuthbert schon Whiskey getrunken. Dave hatte ihn hinter Mr Blackmores Haus erwischt, aber er hatte es niemandem verraten.

      Nachdem ihn Mr Blackmore auf dem Boden gesetzt hatte, folgte Dave dem älteren Jungen ohne ein Wort des Widerspruchs. Viel

      lieber wäre er auf Mr Blackmores breiten Schultern sitzengeblieben, weil er sich dort oben geborgener fühlte.

      Endlich tauchte das Schiff auf. Der breite Rumpf lag flach in den Fluten; wie eine riesige rote Zigarre steckte der Schornstein in der Mitte und spie Feuerfunken und Rauch aus; an beiden Seiten lagen die Räder – sie waren fast so groß wie das ganze Schiff. Enorme Kräfte mussten sie antreiben, denn tosend gruben sie sich in das schlammige Wasser und wühlten es auf. Nichts schien die Gewalt dieses Monsters aufhalten zu können. Und dabei fuhr es ohne ein einziges Segel, wie einer der St. Louiser erstaunt bemerkte.

      Jetzt konnten sich selbst die Erwachsenen nicht mehr halten. Jubelnd rannten sie dem Ungeheuer entgegen. Die, die ihre Pferde dabei-

      hatten, ritten am Ufer entlang, schwangen ihre Hüte und waren schneller bei dem Schiff als die Kinder, die vorausgeeilt waren.

      Die Indianer liefen in die entgegengesetzte Richtung. Die imposante Erscheinung dieses Zauberkanus und der Lärm der Sirene versetzte sie dermaßen in Angst und Schrecken, dass sie in ihre Zelte rannten und sich dort versteckten.

      Am Bug des Schiffes stand der Kapitän. Nicht ohne Stolz nahm er die triumphale Begrüßung entgegen. Als er in Louisville aufgebrochen war, wusste er, dass das Schiff in St. Louis Aufsehen erregen würde, denn die meisten dort hatten noch nie ein Dampfschiff gesehen. Was ihm aber jetzt geboten wurde, übertraf seine Erwartungen.

      Winkend, lachend und Glückwünsche rufend säumten die Menschen den Fluss. Sie hielten Schritt mit dem Schiff und begleiteten es zum Pier. Ein paar Musiker hatten ihre Posaunen dabei und begannen, Amazing Grace zu spielen. Clara Gardner, die hübsche Frau des Reverends, stimmte mit kraftvollem Sopran ein, und dann sangen alle und huldigten der Zukunft, die mit diesem Schiff in St. Louis einzog.

      „Welch ein Fortschritt!”, rief Hastings Blackmore, als das Lied verstummte und das Dampfschiff die Turbinen abstellte. „Wenn wir Menschen so etwas bauen können, dann steht uns die Welt offen. Wer wollte uns aufhalten?”

      Reverend Al Gardner begrüßte den Kapitän im Namen der Stadt, indem er ihm lange Zeit kräftig die Hände schüttelte und immer wieder seinen Dank und seine Freude zum Ausdruck brachte. Schließlich wandte er sich an die jubelnde Gemeinde und forderte sie auf, Gott, dem Allmächtigen, und Jesus, dem Erlöser, zu danken.

      Der junge Reverend war ein gewandter Redner; seine kräftige Stimme übertönte das Rauschen des Mississippi und war lauter als der Südwestwind, der unablässig den Duft von Gras aus der Prärie in die Stadt trug. Gardner brachte die Geschichte von St. Louis in lebendigen Bildern in Erinnerung. Vor nahezu sechzig Jahren war dieses Land unberührt und leer gewesen. Nichts gab es, nur den Wilden, der barfüßig die Prärie betrat, um mit Speer und Pfeil den Bison zu jagen. Das Land hieß Louisiana und gehörte den Franzosen. 1764 war es, als der französische Pelzhändler Pierre Liguste la Clède hier an dieser günstigen Stelle – am Zusammenfluss von Mississippi und Missouri – einen Handelsstützpunkt errichtete, ihn St. Louis nannte und mit Palisaden vor Indianern schützte. Viele Jahre schlief die kleine Ansiedlung einen ruhigen Dornröschenschlaf. Pelzjäger und Händler brachen von hier aus in den Westen auf, doch St. Louis blieb nie mehr als ein Stützpunkt. Der Zuwachs war nicht nennenswert. Um die Jahrhundertwende zählte man nur etwa 925 Einwohner, die in 150 primitiven Hütten wohnten. Dies änderte sich erst ab dem Jahr 1803, als Louisiana an die Vereinigten Staaten von Amerika fiel.

      „Dem amerikanischen Pioniergeist ist es zu danken”, schloss Gardner seine Rede, „dass St. Louis zu dem wurde, was es heute ist: eine blühende, dem Fortschritt aufgeschlossene Stadt. Über dreitausend gottesfürchtige Menschen leben heute hier. Und es werden täglich mehr. Mr Blackmore hat alle Hände voll zu tun, um Häuser für die Neuankömmlinge zu errichten. Gottes Wort findet hier im entlegenen Westen seine Verwirklichung: Machet euch die Erde untertan, heißt es im 1. Buch Mose. Dieses Schiff, liebe Gemeinde, das ohne Segel und ohne Ruder den Fluss befährt, ist ein Geschenk Gottes. Mit ihm wird es uns möglich sein, tonnenweise Fracht in die Wildnis zu schaffen, neue Städte zu errichten und Gottes Wort zu verbreiten. Und St. Louis wird das Tor in diese neue Welt sein.”

      Der Reverend wurde mit anhaltendem Applaus bedacht. Seine Rede verstärkte bei den Zuhörern das Bewusstsein, einer Nation anzugehören, die – allen Gefahren trotzend – einer glorreichen Zukunft entgegensah.

      An diesem Tag ruhte die Arbeit. Man holte Tische und Bänke, Wein, Kuchen und Rosinenbrot. Und als es Abend wurde und die Sonne mit der scheinbar endlosen Prärie verschmolz, saßen sie singend an Feuern und brieten Rindersteaks.

      Die Indianer waren nach ihrem ersten Schrecken wieder vorsichtig aus ihren Behausungen gekrochen. Langsam fanden sie Zutrauen, einige Mutige wagten sich sogar auf das mächtige Zauberkanu und befühlten es mit heiligem Schaudern. Nach und nach kamen sie alle auf das Schiff. Schließlich nahmen die neugierigen Indianer so überhand, dass sich der Kapitän nicht anders zu helfen wusste und lachend die Sirene mit lautem Hupen ertönen ließ. Im Nu war das Deck wieder leer.

      David Hofer war nicht lange geblieben. Schon bald nach der Rede des Reverend machte er sich auf den Heimweg. Er ließ den Lärm, die Unruhe und Cuthberts dauernde Bevormundung hinter sich und lief die breite Hauptstraße entlang durch die verlassene Stadt. Die Stille hier tat ihm gut.

      Neue und alte Häuser säumten die Straße, aber alle waren in Ordnung, mit weißer Farbe bestrichen und sauber gearbeitet. Links befand sich die Werkstatt des Büchsenmachers Hawken. Dave drückte seine Nase an das Fensterglas und blickte in das Innere der Werkstatt. Messer, Schraubenzieher und Feilen lagen im Halbdunkel auf einem niedrigen Tisch. An der Wand hingen Büchsen und Flinten. Eine Weile betrachtete er die kunstvoll verzierten Waffen mit sehnsüchtigem Blick, dann wandte er sich ab und lief rasch weiter.

      Vor der St. Michaels Kirche – sie war erst vor wenigen Jahren hier errichtet worden – bog er rechts in eine schmale Gasse ein. Schon nach wenigen Schritten weitete sich der Weg, und Dave trat in einen geräumigen Hof. Bretter und Balken stapelten sich hier zu einer hohen Mauer. Ihr frischer Duft erfüllte den Hof. Dave sog ihn begierig ein. Rechts von ihm befanden sich der Pferdestall und die klobigen Wagen, auf denen die Hölzer von der Sägemühle zu den Baustellen transportiert wurden. Die Hinterseite des Hofes begrenzte Hastings Blackmores Haus, das mit dem Stall einen Winkel bildete. Das Haus war von perfekter Handwerkskunst, hatte ein Pultdach und sogar eine breite Gaube. Die Veranda zur offenen Westseite hin war mit fein geschnitzten Stützbalken versehen. Das Portal schmückte ein Holzrelief. Schon von weitem zeichnete das Haus seinen Erbauer als hervorragenden Zimmermann aus, wie man ihn wohl


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