Schöner sterben in Wien. Dagmar Hager
gepflegten älteren Dame.
»Scusi?«, fragte sie verunsichert.
»A geh, du Blunzn, dich mein ich doch ned!«, schimpfte mein wenig charmanter Begleiter, gefolgt von einem gesäuselten: »Buon giorno, Signora! Posso?«
Ich musste lachen. »Seit wann kannst du denn Italienisch?«
»Ach, das war Italienisch?«, grinste der Nachwuchscasanova neben mir und kämpfte sich schweigend in Richtung Tuchlauben weiter. Ich trabte neben ihm her und wurde immer ungeduldiger. Was hatte er vor?
Am Salzgries, kurz vor dem Rudolfsplatz, reichte es mir. »Dein Verdauungsspaziergang in Ehren, aber jetzt ist Schluss. Sagst du mir bitte endlich, wo ich Jelena finde?«
Statt einer Antwort blieb Ferdl stehen und deutete auf ein wunderschönes, neu renoviertes Jahrhundertwende-Palais direkt vor uns. Erste Lage. Unbezahlbar. Luxusresidenzen.
»Hier!«, sagte er.
Die Gegend zwischen Salzgries und Schottenring war früher das Zentrum des Wiener Textilhandels. Wir befanden uns also inmitten des ehemaligen Fetzenviertels. Schon längst waren die traditionsreichen Baumwoll- und Zwirnspinnereien noblen Wohnhäusern, Möbel- und Designgeschäften gewichen – und vielen Bars. Weil man hier problemlos abstürzen und tagelang verschwinden konnte, trug die Ecke den Namen Bermudadreieck.
»The Weaving Mill Residence«, stand in dezenten silbernen Lettern auf einem Schild, das seitlich am Eingangsportal des Palais angebracht war.
»Darf ich vorstellen: Das ist die Milli!«, sagte Ferdl und wies mit einer übertriebenen Geste in Richtung des weiß getünchten Prachtbaus mit den großen Sprossenfenstern. Über dem Mezzanin besaß er weitere vier stuckverzierte Stockwerke und eine daraufgesetzte Dachgeschoss-Beletage. Besonders auffällig waren zwei markante Erker. Außerdem entdeckte ich die Einfahrt einer Tiefgarage.
Fragend sah ich Ferdl an.
»Meine Liebe, du erblickst 20 lichtdurchflutete Wohnungen mit durchdachten Grundrissen in den Größen von 75 bis 200 Quadratmetern. Vier davon befinden sich in der Beletage – natürlich ohne störende Dachschrägen. Besonders spektakulär ist das Penthouse – samt Turmzimmer und sechs Meter hohen Räumen.«
So wie er klang, rezitierte er – übrigens in perfektem Burgtheaterdeutsch – die Website eines teuren Immobilienmaklers, war aber noch nicht fertig. »Purer Luxus findet sich natürlich auch im Innenbereich. Die Ausstattung der Wohnungen passt zum eleganten Gesamtkonzept: hochwertige Parkettböden, Stuckdecken, klassische Doppel-Flügeltüren, viel Naturstein und Designarmaturen – allesamt aus Manufakturen österreichischer Hersteller. In der hauseigenen Garage stehen den Bewohnern jeweils zwei Parkplätze zur Verfügung. Beeindruckt?«
Und wie! »Hier könnte ich mir wahrscheinlich nicht einmal die Fußmatte leisten«, ätzte ich. Was nicht ganz stimmte, denn ich hatte Georgs erkleckliches Vermögen geerbt, allerdings bislang nichts davon angerührt. Keinen Cent.
»Aber wie passt die kleine Jelena aus Krumau in diese Protzburg?«, fragte ich verwundert.
»Das ist die Frage, ned wahr? Die musst du allerdings selber beantworten. Alles, was ich dir sagen kann, ist, dass sie einer Stiftung gehört und Jelena hier gemeldet ist. Vermieter ist ein Dr. Novotny. Wir haben sie für dich gefunden. Jetzt übernimmst du, Lilly!«
Ferdl drückte mich kurz, wünschte mir alles Gute und war verschwunden.
Ratlos blickte ich an der Fassade empor und überlegte fieberhaft. Weil mir allerdings nichts wirklich Schlaues einfiel, überprüfte ich vorerst einmal das dezente Klingelpaneel. Dr. Novotny residierte offenbar nicht nur im Penthouse, er betrieb dort auch eine Praxis. Plastische Chirurgie. Das Schild aus gebürstetem Edelstahl erklärte mir, dass ich nur auf Voranmeldung eingelassen werden würde.
Binnen drei Sekunden warf Dr. Google mir die entsprechende Website aus. Begrüßt wurde ich dort von einer wunderschönen Nackten, die auf dem Rücken lag und mich verführerisch anlächelte. Es war ein hochprofessionell gemachtes Bild und weit weg davon, billig zu wirken. Nichts als perfekte Haut, makellose Kurven und die Anmutung von Unschuld, Schönheit und Reinheit. Das musste man erst mal hinkriegen.
Ich scrollte durch das Angebot. Fettabsaugung, Brustbereich, Botox, Gesicht. Körper. Möglich war scheinbar mittlerweile alles. Wer es sich leisten wollte, konnte sich sogar – ich sah zweimal hin – seine Schamlippen verkleinern lassen! Echt jetzt? Es gab einen Button für Terminvereinbarungen, eine Telefonnummer, die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Was nicht existierte, war ein Foto des guten Herrn Doktors. Aber das interessierte mich im Augenblick ohnehin nur am Rande, war ich doch lediglich einen Anruf davon entfernt, ihn kennenzulernen. Ich klickte auf das entsprechende Icon und landete auf einer von sanfter Musik unterlegten Telefonschleife, die mir mit sonorer Stimme ins Ohr säuselte, man freue sich und wäre gleich für mich da. Ich fragte mich, ob Jelena dort als Sprechstundenhilfe arbeitete.
»Ordination Dr. Novotny, Guten Tag! Wie kann ich Ihnen helfen?«
Die Stimme war weiblich, aber ich nahm nicht an, dass Jelena, trotz ihres österreichischen Vaters, akzentfreies Deutsch mit leichtem Wiener Einschlag sprach.
»Mein Name ist Spell, guten Tag. Ich rufe auf Empfehlung einer Freundin an und beabsichtige, eine sehr gute Kundin zu werden. Aber nur, wenn mir bei Ihnen alles zusagt und ich umgehend einen Termin bekomme. Am liebsten heute noch. Was können Sie für mich tun?« Ich hatte alle Arroganz, die ich zusammenkratzen konnte, in diese Sätze gelegt, ein in dieser Umgebung zweifelsohne gängiges Accessoire.
In der Tat schien die Sprechstundenhilfe solcherlei gewohnt zu sein. Routiniert bat sie mich, ein Momentchen zu warten. 30 Sekunden später hatte ich einen Termin für ein erstes Beratungsgespräch.
Gleich am nächsten Tag, 8 Uhr.
»Es wird nicht lange dauern und wir schieben Sie selbstverständlich gerne ein, Frau Spell. Wir freuen uns auf Sie!«
Geld hatte kein Mascherl. Die Residenz wollte finanziert sein. Dafür stand der Herr Doktor dann auch gerne etwas früher auf.
Ich konnte meiner Neugier widerstehen, gleich mehr herausfinden zu wollen. Morgen war früh genug.
Ein eleganter Lift mit modernster Technik im Hintergrund, aber dem Aussehen eines Originals brachte mich leise nach oben und öffnete sich mit einem dezenten Ping. Ich war noch immer beeindruckt vom mächtigen Eingangsportal und den wunderschön restaurierten Treppen, deshalb brauchte ich einen Augenblick, um zu erkennen, dass ich direkt in der Ordination gelandet war.
Blendend helles Licht fiel durch die riesigen bodentiefen Fenster, am Boden edelstes Parkett. Nach ein paar vorsichtigen Schritten kam ich an einen Empfangstresen aus Naturstein, der inmitten des endlos hohen Raumes stand. Links und rechts davon reckten sich weiße und lilafarbene Orchideen auf schmalen Steinsäulen. Eine Schiebetür auf die Terrasse war geöffnet. Dahinter glitzerten Wiens Dächer, inklusive Stephansdom. Atemberaubend. Sogar für mich, die ich schon einige Wiener Prachtwohnungen von innen gesehen hatte.
Wie war es möglich, dass ich noch nie von diesem offensichtlich extrem wohlhabenden Dr. Novotny gehört hatte? Gut, das Palais war von Grund auf renoviert worden und noch nicht lange am Markt, aber diese Preisklasse hatte mich schon rein beruflich zu interessieren.
Ich versuchte, mich einzukriegen und nicht völlig in die Knie zu gehen angesichts des ganzen Pomps. Vor mir lag eine heikle Aufgabe. Und vor mir saß der Inbegriff der Sprechstundenhilfe eines Schönheitschirurgen. Blond, schlank, faltenlos, mit dicken Augenbrauen, dunklen Reh-Augen, Stupsnäschen und dezent aufgespritzten Lippen. Die perfekte Visitenkarte ihres Chefs. Makellose Schönheit zum, wie ich annahm, Nulltarif. Jede potenzielle Patientin, die sich noch nicht sicher war, würde angesichts dieses Wunders der Schönheitschirurgie, ohne zu zögern, genau das verlangen.
Sie lächelte mich strahlend an. »Frau Spell, nicht wahr? Willkommen! Ich bin Agnes, Dr. Novotnys Assistentin. Der Herr Doktor ist in einer Sekunde für Sie da. Nehmen Sie bitte kurz Platz. Darf ich Ihnen etwas anbieten? Kaffee? Wasser? Oder gerne auch ein Gläschen Champagner?«
Champagner? In den