Schöner sterben in Wien. Dagmar Hager

Schöner sterben in Wien - Dagmar Hager


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brauchte einen klaren Kopf. Langsam sank ich in eine herrliche hellbraune Sitzgarnitur und lehnte mich genüsslich zurück, während mir der Duft feinsten Rindsleders in die Nase stieg. Die Assistentin reichte mir ein ebenfalls ledernes Klemmbrett samt Fragebogen. Aufseufzend machte ich mich ans Werk, füllte die Spalten mit lauter Müll. Aber ich wollte in jedem Fall als Patientin gelten. Datenschutz. War praktisch, wenn jemand neugierige Fragen stellte, lebte die Branche doch von größtmöglicher Diskretion, nicht von der Krankenkasse. Außerdem ging es den Arzt nichts an, wer ich wirklich war.

      Ich war gespannt auf ihn, aber es konnte nicht schaden, vor meinem Termin noch ein wenig die Sprechstundenhilfe auszuquetschen. Sie trug ein echtsilbernes Namensschild, auf dem ihr vollständiger Name stand: Agnes Bednarik. Weit und breit keine Jelena.

      Just als ich mich anpirschen wollte, öffnete sich die hohe weiße Flügeltür zu meiner Linken. Heraus trat ein erstaunlich nichtssagender Mann von etwa Mitte 40, mit dunklen Haaren, grauen Augen und durchschnittlicher Statur. Fast war ich enttäuscht. So viel Langeweile und dieses Ambiente passten einfach nicht zusammen. Sogar den biederen Ärztekittel ersparte er mir nicht.

      »Gnädige Frau, ich begrüße Sie! Ich bin Dr. Novotny. Bitte schön!« Seine Stimme klang hell und selbstbewusst, mit einer einladenden Geste bot er mich herein.

      Brav folgte ich seiner Einladung und betrat den nächsten phänomenalen Raum, diesmal einen Erker, der vollkommen verglast, aber durch Jalousien abgedunkelt war. Statt an den Schreibtisch lotste mich der Arzt zu einer kleinen Sitzgruppe. Vintage, tippte ich, mit echten 50er-Jahre-Stühlen und einem dazu passenden Tischchen.

      »Nun, wo drückt denn der Schuh?«, fragte er und schob ein nettes Lächeln nach.

      »Den Füßen geht’s gut«, versuchte ich einen matten Scherz, »das Problem sitzt weiter oben. Ich deutete auf meine Stirn. Ich war jetzt Ende 30, natürlich hatte ich dort Falten. Stirnrunzeln gehörte zu meinen Lieblingsbeschäftigungen.

      »Darf ich?« Ein angenehmer Männerduft gemischt mit Pfefferminzkaugummi stieg mir in die Nase, als er meine Stirn in Augenschein nahm. »Nun, ein wenig Botox in die Zornesfalte könnte nicht schaden, und auch oben in die Stirn. Ein, zwei Pikser rund um die Augen würden die winzigen Krähenfüße glattbügeln. Viel muss nicht gemacht werden, Sie sind eine sehr schöne Frau, aber es schadet nicht, schon in Ihrem Alter regelmäßig vorzubeugen.«

      Natürlich hatte ich bereits über so etwas nachgedacht, doch heute war ich aus einem ganz anderen Grund hier. Es war Zeit, zur Sache zu kommen.

      »Das klingt vielversprechend«, sagte ich daher. »Ich bin auf Empfehlung einer Dame hier, die ich kürzlich auf einer Veranstaltung kennengelernt habe und die Sie als den Besten empfahl. Wenn man sie sieht, weiß man, dass sie recht hat.« Das war mutig, denn ich hatte ja keine Ahnung, wie Jelena aussah. Marlena hatte deren Vater schlecht nach einem Bild fragen können und im Internet oder in den Sozialen Medien war nichts zu finden gewesen. »Jelena Jelinek. Sie wissen doch, wen ich meine?« Ich packte alle Unschuld dieser Welt in meine Frage.

      Seine Brauen zogen sich eine winzige Nuance zusammen, was vieles bedeuten konnte. Eine Antwort ersparte er sich.

      Also plapperte ich weiter. »Ich könnte mir gut vorstellen, das mit dem Botox zu machen. Wie würde es weitergehen?«

      »Nun, wenn Sie möchten, können wir es sofort angehen. Oder Sie überlegen es sich noch und kommen ein andermal wieder.« Er klang, als ob er mich möglichst schnell wieder loswerden wollte. Ganz schlecht. Denn dann hätte ich mit der Aktion genau gar nichts erreicht. »Warum eigentlich nicht gleich?«, hörte ich mich flöten.

      Hatte ich das gerade tatsächlich gesagt?

      Ein leises Räuspern an der Tür ertönte. Agnes stand da, bewaffnet mit einer Kamera.

      Der Arzt nickte routiniert und stand auf. »Wie Sie wünschen. Als Erstes würde ich gerne ein paar Fotos von Ihnen machen, damit wir die Entwicklung kontrollieren können. Danach könnten wir starten.«

      »Botox to go?«, krächzte ich.

      »Selbstverständlich. Es dauert nicht lange und man wird die Einstiche kaum bemerken.«

      Ehe ich mich versah, wurde ich abgelichtet und auf einen bequemen Behandlungsstuhl verfrachtet. Und statt Jelenas Aufenthaltsort erfuhr ich, wie bizarr es war, wenn jemand eine Nadel mit einer der giftigsten Substanzen überhaupt in dein Gesicht spritzt. Mehrfach.

      Wenigstens war die ganze Aufregung in der Tat nach ein paar Minuten vorüber.

      Dr. Novotny lächelte zufrieden. »Wunderbar. In acht bis zehn Tagen wird sich die volle Wirkung entfalten, im wahrsten Sinn des Wortes!« Den Kellerwitz hatte er sicherlich schon Hunderte Male gebracht. »Wir sind fertig. Wenn ich sonst noch etwas für Sie tun kann, jederzeit!«

      Das war mein Stichwort. »Oh ja, das können Sie ganz gewiss. Frau Jelinek hat mir von vielen Dingen erzählt, die ich ebenfalls noch gerne ausprobieren würde«, log ich, was das Zeug hielt, um meine letzte Chance zu nützen. »Ich möchte also eine sehr gute Kundin bei Ihnen werden, verehrter Herr Dr. Novotny. Allerdings ist mir Frau Jelineks Rat wichtig, deshalb hätte ich gerne ihre Kontaktdaten. Ich bin mir sicher, wir finden da eine Möglichkeit, nicht wahr?«

      Er wand sich wie ein Aal. Was verband eine kleine tschechische Krankenschwester bloß mit diesem millionenschweren Faltenausbügel-Profi?

      »Frau Spell!«, meldete sich Agnes zu Wort. Bis eben hatte sie still den Behandlungsraum in Ordnung gebracht. »Darf ich Sie nach draußen bitten, damit wir die Patientenkartei fertig anlegen können?«

      Ich verstand. Agnes war offenbar eine ausgesprochen gute Sprechstundenhilfe. Sichtlich zwiegespalten verabschiedete sich Dr. Novotny. Ich hatte ihm viel Geld versprochen, aber er mochte mich nicht. Nun gut, ich fand ihn auch nicht gerade rattenscharf.

      Agnes schloss die Tür hinter sich und setzte sich an das Empfangspult.

      Ich stand ihr gegenüber, als sie mich mit ihrem – im Moment reichlich unterkühlten – Reh-Augen-Blick musterte, ein paar Sekunden verstreichen ließ und mich dann sehr direkt ansprach: »Reden wir Klartext, Frau Spell! Was wollen Sie denn wirklich von dieser Frau Jelinek? Ihre Räuberpistole von eben können Sie jemand anderem erzählen!«

      Ich setzte alles auf eine Karte. »Also gut, Sie haben recht, Agnes. Es ist so: Ich bin Journalistin und suche Jelena Jelinek schon seit geraumer Zeit. Jemand gab mir den Tipp, es hier zu versuchen, bei einem gewissen Dr. Novotny. Ich muss unbedingt mit ihr sprechen. Es geht um ihre verstorbene Schwester Jana. Können Sie mir weiterhelfen?«

      Agnes schwieg. Versuchte ungeniert, mich einzuschätzen. »Diese Information muss Ihnen sehr wichtig sein, wenn Sie dafür sogar Botoxspritzen in Kauf nehmen!«

      Entdeckte ich da ein kleines Lächeln in ihren Mundwinkeln? Hatte sie mich von Anfang an durchschaut und es genossen, mich ein klein wenig leiden zu sehen? Wenn ich dafür weiterkam, dann von mir aus.

      »So ist es! Wissen Sie, wo sie ist?«

      Sie schürzte die Lippen.

      Da dämmerte es mir. Der Arzt war die falsche Adresse gewesen. Agnes war die Verbindung zu Jelena!

      »Vielleicht machen wir es so«, schlug ich vor, »Sie rufen Jelena an und erzählen ihr, dass ich, also Lilly Speltz, sie sehen möchte. Dann soll sie selber entscheiden, ob sie darauf eingeht.«

      Insgeheim schüttelte ich den Kopf über meine Dummheit. Warum hatte ich vorhin bloß meine Eignung zum menschlichen Nadelkissen auf die Probe gestellt und war nicht gleich zur Sache gekommen? Wenn wirklich Jelena mir Janas Führerschein in die Handtasche geschmuggelt hatte, dann würde sie doch darauf brennen, mich zu treffen, wozu sonst der ganze Aufwand? Wobei – eine schlichte Telefonnummer neben dem Führerschein hätte die Sache deutlich vereinfacht und zum selben Ziel geführt.

      Ohne mich aus den Augen zu lassen, griff Agnes nach ihrem Smartphone und drückte auf eine Kurzwahltaste. Sie hatte Jelena unter ihren Favoriten gespeichert? Interessant! Wie standen die beiden Frauen zueinander? Jelena war Anfang 30, Agnes wohl auch. Beide arbeiteten als Hilfskräfte im medizinischen


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