Schöner sterben in Wien. Dagmar Hager

Schöner sterben in Wien - Dagmar Hager


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all der Tristesse entkommen zu können. Sie stieg in ihr Auto und rollte ein paar Hundert Meter, ehe sie rechts ranfuhr.

      Nachdenklich musterte sie die zwei Postkarten, die sie beim Hinausgehen vom Stapel geklaut hatte. Sie waren offensichtlich über eine App selbst gestaltet worden. Auf der Vorderseite prangte jeweils ein nichtssagendes Landschaftsbild, einmal ein Wald, auf der zweiten ein See, hinten derselbe computergenerierte Text: »Es geht mir gut, Táta!« Keine Unterschrift. Rechts unten stand die ebenfalls über den Computer erstellte Adresse. Darüber die Briefmarke. Und …

      Marlena erstarrte.

      Mit einem Mal wurde ihr klar, warum Jelena bislang so schwer zu finden gewesen war. Und dass sie ihrem Vater sehr wohl mitgeteilt hatte, wo sie steckte.

      8

      LILLY

      Wien, ein paar Tage später

      Es war so weit.

      Ferdl hatte sich gemeldet.

      »Das Stierln hat’s gebracht, Lilly! Ich weiß was!«

      Wir verabredeten uns am Würstelstand bei der Albertina, mitten im ersten Bezirk. Ferdl hatte dort einen Dreh und wie immer danach Hunger. Als ich kam, kaute er schon vergnügt eine vor Fett triefende Käsekrainer. Weil ich ihn kannte, holte ich ihm gleich noch eine.

      »Und nimm bitte an Schoafn zur Eitrigen, Lilly!«, rief er dankbar und meinte damit scharfen Senf zu seiner Wurst in spe. Sollte er tatsächlich Erfolg gehabt haben, würde ich ihm eine Monatsration schenken. Ich selbst bestellte nur Mineralwasser und trug meine Schätze an Ferdls Hochtisch.

      Stirnrunzelnd musterte ich die Menschenmassen auf der breiten Stiege der Albertina. Die ehemalige Habsburgerresidenz zählte zu den Besuchermagneten der Stadt. Dann wandte ich mich wieder meinem Lieblingskameramann zu. Der biss gerade genussvoll in seine Käsekrainer. Ich ließ ihm sein Vergnügen, obwohl ich vor Neugierde brannte. Doch wenn es ums Essen ging, war Ferdl kompromisslos.

      Währenddessen wanderte mein Blick von den Touristen zum Würstelstand, dem vielleicht einzigen seiner Art, der je für einen Staatspreis für Design nominiert worden war. Es war ein dunkelbrauner Kasten mit einem weit überkragenden Dach, großen Fenstern und geschickter Beleuchtung.

      Endlich schluckte Ferdl mit einem zufriedenen Brummen den letzten Bissen hinunter und spülte mit Bier nach. Wortlos harrte ich der Dinge, weil ich wusste, dass er erst dann loslegen würde, wenn es ihm passte.

      »Also, Lilly. Ich erspar’ dir die Details. Es hat gedauert, warum, musst du nicht wissen. Aber stell dir vor, diese Jana hatte tatsächlich eine ältere Schwester. Jelena. Jelena Jelinek. Komischer Name, nicht?«

      »Okay«, sagte ich eine Oktave höher als gewöhnlich.

      »Wir haben sie gefunden.«

      Ich verkniff mir die Frage nach dem »wir«. Irgendwann hatte Ferdl von einem Verwandten erzählt, der einmal bei der Polizei gearbeitet und sich danach selbstständig gemacht hatte.

      »Und?«

      »Und das war gar nicht so leicht!«

      Ich lächelte. »Ferdl, du bist wirklich ein Schlingel! Jetzt hör schon auf, mich so auf die Folter zu spannen! Du weißt doch ganz genau, wie neugierig ich bin!«

      Zur Strafe trank Ferdl sein Bier in einem Zug aus, ging zurück zum Cholesterinparadies und bestellte sich noch eines. Erst als er die Dose geöffnet, mir zugeprostet und einen weiteren Schluck genommen hatte, fuhr er fort. »Es war a brada Weg, ein Hin und Her, kreuz und quer durch meine schöne Ex-Heimat. Und weißt, wo wir die Jelena dann g’funden haben?«

      Stirnrunzelnd lauerte ich auf die Antwort.

      »Hier, in unserem schönen Wien!«

      »Nein!«

      »Doch! Die Marlena ist schon eine. An den Postkarten hat’s das erkannt!«

      »Marlena?«

      Ferdl nickte. Aber ehe er ins Detail gehen konnte, wurden wir von einer Gruppe Touristen in die Zange genommen, die nur ein Ziel zu haben schien: Würstel! Und wir blockierten die Einflugschneise.

      »Öha, du Rotzmensch, pass doch auf!«, schimpfte Ferdl, als ihn ein Ellenbogen im Kreuz traf. Statt einer Entschuldigung hielt ihm eine dünne Japanerin mit weißem Schlapphut ihr Smartphone vor die Nase und deutete auf ihre drei Begleiterinnen. Sein gutes Herz schlug durch. Ergeben nickte er und machte Fotos, während ich einem Bierbauch in einem T-Shirt mit der Aufschrift »Leer gut, voll besser!« auswich. So wie der roch, hatte er es schon einige Tage lang an der Dusche vorbeigeschafft.

      Ferdl war indessen entlassen. Laut schnatternd versuchten die Japanerinnen ihr künftiges Essen zu identifizieren, während der Dicke kurzerhand seine Bestellung über ihre Köpfe hinwegbrüllte. »Zwei Hotdogs und ein großes Bier, aber dalli!«

      Wir ergriffen die Flucht und schlenderten in Richtung Michaelerplatz.

      »So ein Ungustl. Der gehört verboten!«, schimpfte mein Lieblingskameramann.

      Ich versuchte, ihn wieder auf Spur zu bringen. »Vergiss den, der spürt sich nicht. Erzähl mir lieber mehr von Marlena! Du hast sie am Rande immer wieder mal erwähnt. Wer ist das genau?«

      Ferdls Gesicht wurde mit einem Mal weich. Jeglicher Unmut wich einem zärtlichen Lächeln. »Marlena ist meine sehr talentierte Nichte. Eigentlich ist das Mädel Bloggerin, aber es gibt nichts, was ihr verborgen bleibt, wenn sie auf der Jagd ist. Und sie macht die besten Buchteln der Welt. Oder die Powidltatschkerln, Lívanec und Palačinke, für die begehst ein Verbrechen, sag ich dir!«

      Mit einem Seitenblick musterte ich Ferdls stattliche Wampe unter seiner ärmellosen Jacke mit den vielen Taschen. Oh ja, darin lagen neben Kilometern von Käsekrainern sicherlich auch Tausende Powidltascherl, Hefeküchlein und Palatschinken begraben. Diese Marlena klang jedenfalls interessant.

      »In Oberösterreich hat sie dann schließlich Janas und Jelenas Papa gefunden. Der stammt von dort. Die Mutter war Tschechin, aus Krumau. Ist gestorben. Er hat Marlena erzählt, dass Jelena seit einiger Zeit verschwunden ist, ihm aber schreibt.«

      Mittlerweile waren wir in den Kohlmarkt eingebogen, wo eine Baustelle den Weg blockierte. Auf dem passierbaren Schlurf parkte gerade ein Teenager einen der neuerdings omnipräsenten Mietroller. Ein Bauarbeiter in grelloranger Montur hob seine Faust und brüllte: »Weg damit, sonst prack i dir eine, dass du mit’m Oasch auf die Uhr schaust!«

      Wien im Hochsommer.

      »Verschwunden?«, echote ich.

      Ferdl berichtete ungerührt weiter. »Jelena hat die Postkarten über eine App erstellt, mit der man auch die Marken selber gestalten kann. Stell dir vor, das waren lauter Wiener Wahrzeichen! Der Steffl, die Oper, die Burg, das Belvedere und sogar einmal ein Fiaker. Und der Poststempel war auch aus Wien. Da war der Marlena natürlich sofort klar, wo die Jelena sein könnte.«

      Auf die Idee, Janas Schwester vor unserer Nase zu suchen, war ich natürlich nicht gekommen!

      »Und das mit den Marken und dem Stempel ist ihrem Vater nicht aufgefallen?«

      »Wahrscheinlich schon, aber Marlena meinte, er sei sehr verletzt und traurig über Jelenas Verhalten. Es kann natürlich auch sein, dass er einfach gelogen hat.«

      »Und wo wohnt diese Jelena jetzt? Was macht sie? Wo kann ich sie finden?«

      »Despacito!«, brummte Ferdl und musterte angewidert ein buntes Etwas in einer der teuren Nobelboutiquen.

      »Ich bin aufgeregt, ich kann das Gas jetzt nicht rausnehmen!«

      »Vom Hudeln kommen die Kinder, Lilly!«

      Der Kerl konnte einen wahnsinnig machen!

      Abrupt blieben wir stehen, aufgehalten von einer schier undurchdringlichen Wand an Menschen vor dem Gourmettempel Meinl am Graben. Normalerweise war es ein Vergnügen, dort herrliche Köstlichkeiten aus aller Welt zu entdecken, aber nicht, wenn es zuging wie auf einem Rockkonzert.


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