Atemlose Spannung für den Urlaub: Vier Krimis: Krimi Quartett. Alfred Bekker
“Vielleicht war da sein Werkzeug drin”, meinte Rudi.
“Ausgeschlossen. Das sieht eher so aus, als wäre da gar nichts drin oder etwas sehr Leichtes. Soll ich Ihnen nochmal vorführen, wie sich die anderen beiden Männer abgeschleppt haben? Der hier tänzelnd völlig unbeschwert über das Parkett.”
“Zu dumm, dass das Gesicht im Schatten liegt”, meinte ich.
“Beachten Sie bitte, dass Merendan und dieser Mann sich zu kennen scheinen. Sie reden kurz miteinander. Sehen Sie… hier!”
Förnheim führte uns die entsprechende Stelle vor.
“Das sieht tatsächlich sehr vertraut aus”, stellte Rudi fest.
“Wir haben bei der Elektro-Firma angerufen”, mischte sich nun einer der anwesenden Kommissare ein. “Die sind sich ganz sicher, nur zwei Leute geschickt zu haben - nicht drei.”
“Der falsche Elektriker könnte der Attentäter sein”, meinte ich.
“Sein Gesicht ist nicht zu sehen und ich fürchte, wir werden da auch nicht viel machen können”, erklärte Förnheim. “Dafür gibt es ein anderes Merkmal, das deutlich zu erkennen ist und nicht so häufig sein dürfte.”
Förnheim zoomte die Hand des falsche Elektrikers heran und vergrößerte sie so extrem, dass das Bild sehr grobkörnig wurde.
“Der kleine Finger wirkt irgendwie…”
“...zu kurz”, vollendete Förnheim meinen Satz. “Sie haben völlig recht, Harry, da fehlt ein Stück.”
“Abgehackte Fingerteile würde ich jetzt allerdings eher bei Mitgliedern der Yakuza oder der Triaden erwarten, als bei islamistischen Terror-Gruppen”, meinte Rudi.
“Es gibt viele Gründe für einen verkürzten oder verkrüppelten kleinen Finger”, dozierte Förnheim. “Das kann das Ergebnis eines Unfalls, die Folge einer Erkrankung oder eine Missbildung von Geburt an sein. Und selbst unser bayerischer Rinder-Doc könnte anhand dieses grobkörnigen Bildes wohl kaum eine Ferndiagnose wagen. Also werde ich es gar nicht erst versuchen.”
“Okay”, sagte ich.
“Tatsache ist, an dem Finger fehlt was. Da seine Körpergröße durch ein entsprechendes Telemetrie-Programm einwandfrei festgestellt werden kann, haben wir schon zwei unveränderbare Merkmale von ihm.”
“Das wäre also eine Aufgabe für Lin-Tai”, stellte ich fest.
“Ich habe schon mit ihr gesprochen”, sagte Förnheim. “Sollte der Kerl irgendwann mal straffällig geworden oder auch nur erkennungsdienstlich behandelt worden sein, würde uns das die Identifikation erheblich erleichtern.”
“Vorausgesetzt natürlich, er hatte den verkürzten Finger schon, als diese erkennungsdienstliche Behandlung stattgefunden hat”, gab ich zu bedenken. “Ich meine, Sie haben gerade gesagt, dass dieses Merkmal ja auch das Ergebnis eines Unfalls gewesen sein könnte und wenn der jetzt erst später stattgefunden hat…”
“Sie sollen länger schlafen, Harry”, sagte Förnheim.
“Wieso?”
“Dann würden Sie optimistischer denken.”
Rudi grinste. “Wo er Recht hat, hat er Recht, Harry”, meinte er. Dann wandte er sich an Förnheim. “Wo ist übrigens Wildenbacher?”
“Glücklicherweise geht er mir hier nicht mehr auf die Nerven und steht mir im Weg herum. Er ist zurück nach Quardenburg gefahren und dürfte…” Förnheim blickte auf die Uhr an seinem Handgelenk. “...in schätzungsweise einer Stunde dort auch eintreffen.” Dann sah er auf und blickte zunächst Rudi und anschließend mich an. “Tun Sie beide mir einen Gefallen.”
“Und der wäre?”, fragte ich.
“Lassen Sie ihn aus dem Fall raus. Der braucht jetzt erstmal etwas Ruhe und ich möchte eigentlich vermeiden, dass er einen Knacks davonträgt.”
“Glauben Sie wirklich, dass man sich in dieser Hinsicht um Gerold Sorgen machen muss?”, fragte ich zweifelnd.
“Eigentlich kennen wir ihn doch eher als eine gelinde gesagt robuste Natur”, ergänzte Rudi.
“Mein Schwerpunktgebiet sind zwar die klassischen Naturwissenschaften, aber als Forensiker verfüge ich natürlich auch über grundlegende Kenntnisse in anderen Gebieten, die für unsere Sache wichtig sind. Dazu gehört auch die Psychologie und insbesondere die Traumapsychologie.”
“Sie glauben doch nicht etwa, Gerold könnte traumatisiert sein?”, meinte ich.
“Wenn unmittelbar neben Ihnen jemand erschossen wird? Wieso nicht? Das wäre nichts Ungewöhnliches. Die psychischen Folgen können schlimmer sein, als wenn Sie selbst etwas abbekommen. Und gerade Leute wie Gerold sind in der Gefahr, nicht auf erste Anzeichen zu achten, weil sie denken, dass sie immun gegen so etwas seien. Das sind sie aber nicht, Harry. Das ist niemand. Also sollte er sich am besten ein paar freie Tage nehmen und zur Ruhe kommen.”
“Wenn Sie meinen…”
“Ich habe schon mit unserem Vorgesetzten gesprochen. Ein paar freie Tage sind überhaupt kein Problem. Gegen das Angebot eines psychologisch-fundierten Gesprächs, wird er sich natürlich wehren wie ein bayerischer Bulle beim Alm-Abtrieb.”
19
Rudi und ich fuhren zurück nach Berlin. Von unterwegs aus telefonierten wir mit Kriminaldirektor Hoch, um ihn über den gegenwärtigen Stand der Ermittlungen in Kenntnis zu setzen.
Um in die BKA-Zentrale im Hauptpräsidium zurückzukehren, hatten wir keine Zeit. Stattdessen fuhren wir gleich zum BKA-Büro Berlin weiter, um mit Norbert Merendan zu sprechen.
Angesichts der neuen Fakten musste er eigentlich einsehen, dass es besser war, mit uns zu kooperieren. Zumindest, wenn sein Anwalt etwas taugte und nicht ganz so verbohrt war, wie Merendan selbst.
Wir trafen Merendan in einem Besprechungszimmer. Sein Anwalt war ein korpulenter Mann in den mittleren Jahren, dem der Dreiteiler ziemlich stramm auf dem Leib saß. Ich nahm an, dass sein volles Haar nicht echt war war, dazu war es für sein Alter einfach zu üppig. “Mein Name ist Daniel J. Deggemann von Kemmerich, Deggemann & Partner”, stellte der Anwalt sich vor, woraufhin Rudi und ich ihm unsere ID-Cards zeigten.
“Wir untersuchen das Attentat auf MdB Johannes E. Moldenburg”, sagte ich. “In diesem Zusammenhang sind wir auf Ihren Mandanten gestoßen.”
“Mein Mandant hat sich nichts zu schulden kommen lassen”, sagte Deggemann.
“Den bewaffneten Angriff auf einen BKA-Kriminalinspektor würde ich nicht gerade als Kleinigkeit werten.”
“Sie haben sich Zutritt zu dem Haus verschafft, in dem mein Mandant wohnte und da Herr Merendan wiederholt unter dem durch Vorurteile und Ressentiments motivierten Handeln von Polizisten zu leiden hatte, entschloss er sich, nicht mit Ihnen zu sprechen.”
“Sie haben eine seltsame Weise, das auszudrücken, Herr Deggemann.”
“Zum Zeitpunkt, da es zu dieser unnötigen Eskalation kam, die schließlich zu den Schüssen und der Flucht im Wagen führte, lag da ein Haftbefehl gegen Herr Merendan vor?”
“Nein”, gab ich zu.
“Sie hatten also kein Recht ihn festzuhalten und trotzde-...”
Ich legte Merendan mein Smartphone hin. Auf dem Display war ein Standbild von den Videoaufnahmen zu sehen, die zeigten, wie er den falschen Elektriker durchwinkte.
Merendans Gesicht veränderte sich. Er wusste genau, was dieses Bild bedeutete. Diese erste Reaktion war für mich so gut wie ein Geständnis. Er konnte jetzt keinem von uns mehr etwas vormachen.
“Wir wissen, dass