Atemlose Spannung für den Urlaub: Vier Krimis: Krimi Quartett. Alfred Bekker
Sie, wir sorgen hier bei allen Veranstaltungen in Wismar sowie in den Hotels für die Sicherheit. Und wenn beispielsweise eine große Hochzeitsfeier nach irgendeinem Ritus, der jetzt nicht ganz so allgemein verbreitet ist, stattfindet, dann möchte ich schon, dass da auch ein paar Mitarbeiter eingeteilt werden, die mit den Besonderheiten dieser Situation vertraut sind.”
Ich nahm die Mappe entgegen. Gerade mal ein halbes Dutzend Datenbögen waren darin zu finden. Ausdrucke in mäßiger Qualität.
“Ich danke Ihnen für diese Unterlagen”, sagte ich diplomatisch. “Aber das reicht uns leider nicht.”
“Aber…”
“...die von Ihnen gewünschte Abkürzung ist uns einfach etwas zu kurz”, ergänzte Rudi.
“Wir brauchen die Daten aller Ihrer Angestellter. Und zwar möglichst in elektronischer Form. Entweder auf einem Datenträger oder Sie senden die Datei direkt an unsere Kollegen in Quardenburg.” Ich legte ihr den entsprechenden Beschluss auf den Tisch. “Und hier ist im Übrigen die rechtliche Grundlage dafür.”
Katrina Gintert schluckte.
Die Mappe, die sie mir gegeben hatte, war nichts als ein Köder, den wir schlucken sollten, in der Hoffnung, dass wir dann Ruhe gaben. Aus irgendeinem Grund wollte sie es vermeiden, uns die vollständigen Personaldaten ihres Unternehmens zu geben.
Möglicherweise waren da ein paar Leute mit zweifelhafter oder sogar krimineller Vergangenheit dabei und sie fürchtete negative Publicity. Die Sicherheitsbranche war von jeher ein Bereich, in dem sich immer auch zweifelhafte Existenzen tummelten. Polizisten, die aus dem Dienst geflogen waren, weil sie sich nicht an die Regeln gehalten hatten, gab es da ebenso wie ehemalige Kriminelle. Natürlich betraf das nur einen kleinen Anteil, aber erfahrungsgemäß übte diese Branche einfach eine gewisse Anziehungskraft auf Leute aus, die schon in einem anderen Zusammenhang an den Umgang mit Waffen gewöhnt waren.
“Ich habe über fünfhundert Angestellte”, sagte Katrina Gintert.
Das entsprach ungefähr auch meiner vorsichtigen Schätzung. “Ich bewunderte Sie für Ihr Organisationstalent und Ihren unternehmerischen Elan”, sagte ich. “Aber an unserem berechtigten Anliegen ändert das leider nichts.”
“Sie werden mir sicher eine gewisse Frist einräumen”, sagte sie.
“Wie lange?
“Der Mitarbeiter, der sich um diese Dinge kümmert, ist leider schon nicht mehr hier im Haus…”
“Dann rufen Sie ihn her! Wir brauchen die Daten sofort. Und von einer Frist ist in dem Durchsuchungsbeschluss auch nicht die Rede”, stellte ich klar.
Katrina Gintert hob die Augenbrauen. Ihr Blick hatte die gewinnende Freundlichkeit völlig verloren. Sie nippte an ihrem Kaffee, um etwas Zeit zu gewinnen. “Brauche ich jetzt einen Anwalt?”, fragte sie.
“Brauchen wir jetzt die Unterstützung von zwanzig Kollegen der Landespolizei, die mal eben Ihre Büros umkrempeln und sämtliche Computer und Datenträger konfiszieren, um sie so schnell wie möglich nach Quardenburg zu transportieren?”, fragte ich zurück.
Kooperation oder Nicht-Kooperation, das war jetzt die Frage. Und der Spielball lag im Feld von Katrina Gintert.
“Scheint, als wären Sie nicht zu Kompromissen bereit”, sagte sie schließlich.
“Wenn dieser Kompromiss bedeutet, dass ein eiskalter Killer einen noch größeren Vorsprung bekommt, als er ihn ohnehin schon hat, dann bin ich in der Tat dagegen”, gab ich zurück.
“Sie bekommen die Daten”, sagte Katrina Gintert schließlich. “Aber nehmen Sie zur Kenntnis, dass ich es nicht gutheißen kann, wie Sie fünfhundert Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma unter einen pauschalen, unbegründeten Generalverdacht nehmen, der für uns alle Existenzbedrohend sein kann!! Das ist nämlich ein sehr sensibles Gewerbe, wenn Sie verstehen, was ich meine. Da reichen manchmal schon Gerüchte aus, um eine Existenz zu vernichten und dafür zu sorgen, dass jemand kein Bein mehr an den Boden bekommt.”
“Seien Sie versichert, dass Ihre Mitarbeiter keineswegs unter Generalverdacht gestellt werden”, sagte ich. “Es ist vielmehr umgekehrt: Es ist uns daran gelegen, Sie und Ihre Leute zu entlasten.”
“Das freut mich zu hören”, murmelte Katrinas Gintert schmallippig.
13
Wir bekamen die Daten von Katrina Gintert auf einem Datenträger.
Später, als wir bereits in dem Hotel waren, in dem Dorothea Schneidermann uns für die Nacht eingemietet hatte, schickten wir die Daten über Rudis Laptop nach Quardenburg. Wir hatten in Rudis Zimmer ein provisorisches Büro eingerichtet und ich telefonierte mit Dr. Lin-Tai Gansenbrink, der IT-Spezialistin unseres Ermittlungsteam Erkennungsdiensts.
Glücklicherweise war sie noch an ihrem Arbeitsplatz. Aber bei ihr waren Überstunden nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Und das galt natürlich insbesondere dann, wenn wir zusammen an einem Fall arbeiteten, der diese Tragweite hatte. Ein Attentat auf einen MdB war schließlich alles andere als seine Kleinigkeit.
“Ich habe heute den ganzen Tag die Reaktionen in den einschlägigen sozialen Netzwerken verfolgt”, berichtete sie. “Teilweise habe ich dazu auch die Hilfe von ein paar Kollegen in Anspruch genommen, die über Sprachkenntnisse in Arabisch, Urdu und Persisch verfügen.”
“Und? Sind dabei neue Erkenntnisse zu Tage getreten?”, fragte ich.
“Das weiß ich noch nicht so genau. Die Erkenntnisse verbergen sich ja manchmal in dem zu Grunde liegenden Material und werden erst durch eine eingehende Analyse wirklich sichtbar.”
“Mit anderen Worten: Nichts Neues.”
“Sagen wir es mal so: Ich hätte eigentlich ein anderes Ergebnis erwartet.”
“Wie darf ich das verstehen?”
Lin-Tai hatte durchaus manchmal die Angewohnheit, stillschweigend vorauszusetzen, dass ihr Gegenüber ihre Gedankensprünge mitzuvollziehen vermochte. Und sie setzte dabei auch gewisse Vorkenntnisse einfach voraus, über die in Wahrheit wahrscheinlich nur eine sehr kleine Anzahl von Personen verfügten, die sich sehr profunde Kenntnisse in den Bereichen IT, Mathematik und Statistik erworben hatten. Ich gebe gerne zu, dass ich nicht zu diesem erlauchten Kreis zählte.
“Wenn Terroristen mit islamistischem Hintergrund ein Attentat dieser Größenordnung verüben, dann gibt es ein bestimmtes Reaktionsmuster in verschiedenen sozialen Netzwerken”, erklärte Lin-Tai. “Ich spreche jetzt nicht von Bekenner-Videos und ähnlichem! Die gibt es dann meistens auch. Ich spreche vielmehr von weltweit vernetzten Kreisen, die selbst zwar keine terroristischen Aktionen begehen, die den Tätern aber ideologisch nahestehen. Einige haben sogar mit den Tätern Kontakt. Wir gehen davon aus, dass durch tatsächliche Mitwisser und Mitglieder von terroristischen Gruppen nach Attentaten gezielt Informationen gestreut werden, die dann im Netz später Wellen von Postings auslösen. Oft beginnen diese Posting-Wellen bereits, bevor die traditionellen Medien darüber berichten. Und das Wichtigste! Sie haben mathematische Ausbreitungsmuster, die sich identifizieren lassen, weil ihnen bestimmte Charakteristika eigen sind.”
“Und wie ist die Lage im Fall des Attentats auf MdB Moldenburg?”
“Nichts. Kein Muster. Keine typische Posting-Lawine in den Netzwerken. Ein bisschen nachträgliche Gehässigkeit bei bestimmten Hass-Postern, die dafür bekannt sind. Aber auch da nur in deutschsprachigen Foren.”
“Wie meinen Sie das?”
“Deswegen habe ich ja meine Fremdsprachenbewanderten Kollegen hinzugenommen, da ich mich bei meiner Analyse ungern auf Übersetzungsprogramme verlassen und außerdem gezielt nach bestimmten, in diesen Postings immer wieder benutzten Begriffen suchen wollte.”
“Und?”
“Überall, wo man Arabisch, Urdu oder Persisch spricht, weiß so