Die Badenfahrt. David Hess

Die Badenfahrt - David Hess


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      Wenn man den Verfall betrachtet, in welchen der Hinterhof bereits geraten ist, so möchte man wähnen, es fehle dem Besitzer an Mitteln, diese noch jetzt ihrer Lage wegen vorzügliche Anstalt wieder emporzuheben. Das ist aber nicht der Fall, die Sache hat einen ganz anderen Grund:

      Der Hinterhof, welcher in den ersten Zeiten der Christenheit der Drei Küngenhof, im Mittelalter der Herzog von Österreich Hof hiess, ward von diesen fürstlichen Eigentümern in ein Hand-, später in ein Erblehen verwandelt. Als im Jahr 1415 die Grafschaft Baden mit allen ihren Rechten und Freiheiten an die Eidgenossen überging, wurden dieselben Eigentümer und Lehensherren dieses Hofes, und mit Zustimmung der übrigen sechs mitregierenden Stände Bern, Luzern, Schwyz, Unterwalden, Zug und Glarus übertrugen Bürgermeister und Rat der Stadt Zürich auf St. Pelagientag 1434 durch eine noch vorhandene Urkunde dieses Erblehen, Häuser, Bäder, Güter, Mobilien und alles Zubehör an Hans Klingelfuss, Hans Ulrich, seinen Bruder, Margaretha Schwarzmurerin, Ulrich Klingelfussens Tochter, und Clevi Wirz um einen jährlichen und ewigen Zins von 160 Rheinischen Gulden, und zwar unter dem Namen des Schinderhofes, unter welchem derselbe lang bekannt war; nicht etwa, weil unsere Alten vielleicht von einem unbilligen Wirt darin geschunden wurden, sondern nach dem Namen eines früheren Lehenmannes, der Schinder hiess, welches Geschlecht der Stadt Baden längst erloschen ist. In den Leuischen Manuskripten auf der Zürcher Stadtbibliothek wird dieses Lehens auch unter dem Namen Schinderhof gedacht und dabei bemerkt: «Weilen aber diese Expression in delikaten Badeohren etwas zu hart klingt, hat man Hinderhof daraus gemacht.»

      Nachdem dieser Schinder- oder Hinterhof als Erblehen aus einer Hand in die andere geraten, kam selbiger endlich durch Heirat in das Geschlecht der Falken an die Familie Dorer, ward nun gar noch in ein Erb-, Mannsund Familienlehen oder Fideikommiss verwandelt und blieb es auch ungeachtet aller Revolutionen bis auf den heutigen Tag. Die Regierung des Kantons Aargau bezieht davon jährlich 240 Gulden Zins.

      Der jetzige Besitzer des Hinterhofs hat nur Töchter und keinen Sohn. Nach seinem Tod fällt die ganze Anstalt auf eine andere Linie der Familie, darum kann und mag er weder bauen noch Betten und neues Gerät anschaffen. Das Kapital, welches er auf die nötigsten Verbesserungen verwenden müsste, wäre für seine Kinder grösstenteils verschleudert und käme lachenden Erben zugut. Seit mehreren Jahren wohnt er in der Stadt, wo er sich zur Ruhe gesetzt, und hat die Badwirtschaft einem Tochtermann verpachtet. Sollte dieser bauen und anschaffen? Ich frage, was kann man, ohne unbillig zu sein, von einem Afterlehenmann fordern, welcher die Wirtschaft abgeben muss, sobald der Schwiegervater die Augen schliesst? Jeder Nagel, den er einschlägt, ist für ihn verloren und trägt ihm keinen Zins mehr ein, wenn er von dem Lehen abgezogen ist.5

      Das ist der Fall bei jedem Fideikommiss. Alle aufgeklärten Regierungen sollten dergleichen Familienverordnungen, deren Nachteil sich immer im Verfolg der Zeiten zeigt, die lauter Zankäpfel sind und alle Industrie hemmen, ein für allemal verpönen.

      Nur teilweise liesse sich schwerlich mehr etwas am Hinterhof erneuern und verschönern, weil wenigstens die älteren Gebäude durch ihre Anlage schon und noch mehr durch ihre Baufälligkeit das daran zu verwendende Geld kaum wert wären. Die herrliche Lage, das kostbare Wasser schreien laut nach einer ganz neuen, von Grund aus veränderten Einrichtung. Dieser Hof hat voraus allen andern den grössten Flächeninhalt und Wasser zu 30 Bädern, welches ebenso gut 40 füllen könnte. Ein reicher Privatmann oder eine Gesellschaft verständiger Aktionäre könnten da eine gute Spekulation machen, wenn sie der Familie Dorer das Lehensrecht abzukaufen trachteten und diese, welche doch über kurz oder lang einmal beträchtliche Bauten unternehmen muss, wenn nicht alles zugrunde gehen soll, würde auch besser bei einem solchen Verkauf fahren. Der Zins des Kaufschillings könnte ja, wenn das Fideikommiss in veränderter Gestalt doch fortdauern müsste, dem Ältesten zufallen, der, aller Sorge über den Hof enthoben, eine wahre Präbende dadurch bekäme. Die Kantonsregierung würde gewiss auch eine solche Spekulation, wodurch die Gebäude neu aufgeführt würden, begünstigen, vielleicht gar ihr Lehensrecht verkaufen, und ganz Baden könnte durch eine solche Wiedergeburt gewinnen.

      Ich möchte wohl beim Abbrechen des alten Gebälkes und Gemäuers zugegen sein, es wäre ein lustiger Anblick. Hu, wie würden da am hellen Tag die Fledermäuse emporflattern aus ihren Nestern, in welchen sie seit Jahrhunderten ihr Monopol ausübten! Nur durch grosse, allgemeine Massregeln könnten auch die Mäuse und die Ratten, die Flöhe und Wanzen aus ihren verjährten Schlupfwinkeln ganz vertrieben und ausgerottet werden.

      Aber warum gehen denn viele von uns Zürchern doch immer noch gern und oft sogar vorzugsweise in den Hinterhof? Es ist eine alte Gewohnheit. Vor Zeiten, wo alles anders und besser war, wie späterhin gezeigt werden soll, ward der Hinterhof als die geräumigste Badanstalt von allen Leuten besucht, die sich auf ihren Stand und Rang in der Gesellschaft etwas einbildeten. Hierher kamen nur selten Bürger aus den unteren Klassen, man geriet mit ihnen in keinerlei Berührung.

      Das Vorurteil dieser alten Standesmässigkeit hat sich zum Teil noch bis auf unsere Zeiten erhalten. Der Adel wohnte von jeher lieber in berühmten, wenn auch engen und zerfallnen Burgen als in neuen, heiteren und gemächlichen Bürgerhäusern. Dann gewähren die vereinzelten, ein abgesondertes Ganzes für eine Familie bildenden Gemächer mit eigener Küche, wo das Frühstück und den ganzen Tag über warmes Wasser nach Belieben bereitet werden kann, die freundliche Nähe der Matte und viele andere kleine Bequemlichkeiten, bei aller Baufälligkeit und dem Mangel an aller Eleganz, bedeutende Vorteile. In keiner der hiesigen Badanstalten kann man so stille leben und seiner Willkür pflegen wie hier. Man richtet sich seine Haushaltung so wohlfeil oder kostspielig ein, als man es wünscht. Da im Hinterhof noch immer die Mehrzahl der Gäste allein speist, so erhält man gerade die verlangte Zahl Gerichte aus der Küche, und dann muss man dem Wirt die Gerechtigkeit widerfahren lassen, dass seine Preise für Zimmer und Lebensunterhalt äusserst billig sind. Für die Bäder wird in Baden nirgends etwas anderes bezahlt als das Trinkgeld, welches man dem Badwäscher am Ende der Kur verabreicht.

      Ist man einmal eingerichtet, was jedoch mehrere Stunden erfordert, besonders wenn man eine zahlreiche Haushaltung mitgebracht hat, so sieht man sich gern ein wenig um; und so wollen wir auch eine kleine Runde in der Nachbarschaft machen.

      ÜBERSICHT ALLER ÄNDERN GASTHÖFE UND BÄDER

      Wenn wir aus dem Tor des Hinterhofes treten, könnten wir sogleich links einbiegen und uns an dem grossen Stein vorbei, unter welchem der dorerische Wassersammler verborgen liegt, nach den öffentlichen Bädern wenden; allein dieser Seitenweg ist ein enges, stinkendes Winkelgässchen, voll Mist und Unrat, eine wahre Gurgelschneide (Coupe-gorge). Wir gehen also lieber auf der Hauptstrasse geradeaus, zwischen dem Grossen und Kleinen Bären.

      Diese sind keine himmlischen Gestirne, sondern alte Gebäude wie der Hinterhof, nur nicht so geräumig, und müssen die Gäste darin wie in jedem anderen Wirtshaus nahe beisammen wohnen. Das wohltätige Wasser füllt hier 14 geräumige Bäder, welche, so wie jede Kammer, über die Kurzeit alle besetzt sind. Dieser Gasthof hat von alters her einen guten Ruf. Der jetzige Wirt ist auf bedeutende Verbesserungen bedacht und wird bald die Zahl seiner Bäder noch vermehren. Unter dem Kleinen Bären können keine angebracht werden, und um sich derselben zu bedienen, muss man entweder über eine auf dem zweiten Stock neu angelegte Verbindungsgalerie oder über die Strasse in das Haus zum Grossen Bären gehen. Von hier kommen wir an den Ochsen. Dieses Haus ist nach den beiden grossen Höfen eines der reinlichsten und hat gegenwärtig 13 Bäder. Hier kehrt gewöhnlich die wohlhabende Mittelklasse ein. Auf der Bank an der Strasse sieht man noch wie sonst vor Zeiten überall ehrenfeste Herren und Bürger behaglich sitzen, in schönen geblümten Schlafröcken und feinen weissen Tirolermützen. Schade, dass man in diesem Gasthof überall von Gebäuden umgeben ist und nirgends in die freie Natur hinausblicken kann!

      Am Ochsen vorbei biegen wir links durch ein enges, schlecht gepflastertes Gässchen hinab und kommen nun auf den Platz der öffentlichen Bäder. Zur Rechten ist das Haus zur Blume, wo sonst nur wohlhabende Landleute und kleine Bürger einkehrten. Der verständige Wirt hat diesen Gasthof kürzlich erneuert, statt der acht ältern nunmehr 17 wohleingerichtete Bäder angelegt und wird von seinen zweckmässigen Veränderungen bald bedeutenden und wohlverdienten Vorteil ziehen.

      An


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