Die Badenfahrt. David Hess

Die Badenfahrt - David Hess


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reinliche, äusserst bequeme Zimmer, welche sich vor den übrigen vorzüglich auszeichnen. Bedienung und Tafel sollen hier gut, die Gesellschaft gewöhnlich sehr gemischt sein. Hinter diesem Haus gegen die Limmat sind unter den Ablassrinnen der Bäder seit Jahrhunderten grosse Massen von Badstein entstanden, welche wie Stalaktiten aus dem Wasser emporragen.

      Der Flor der verschiedenen Gasthöfe stieg und sank abwechselnd, je nach der Industrie der Wirte. Das Haus zum Raben oder, nach schweizerischer Mundart, Rappen stand in der Mitte des 17. Jahrhunderts in solchem Ruf, dass demselben nach alle Bäder und selbst die Stadt im Buch A Complete System of Geography (London 1767) irrigerweise «Rappen» genannt wurden, und auch in Blainvilles Reisen (Lemgo 1764) «die Bäder von im Rappen» als der einzige Namen aller hiesigen Anstalten angegeben ist.

      Hinter dem Verenabade bildet der Gasthof zur Sonne einen rechten Winkel, unter welchem das vorhin erwähnte dunkle, stinkende Gässchen gegen den Hinterhof führt. Wenn das Licht dieser Sonne auch nicht blendend leuchtet, so zieht sie doch viel Wasser, denn hier sind schon seit vielen Jahren 14 Bäder zu finden.

      Bevor wir in den Staadhof einkehren, wo so viel zu beobachten ist, dass wir uns etwas lang darin verweilen werden, wollen wir noch erst einen Blick auf die beiden öffentlichen Bäder werfen.

      Das Heilige oder Verenabad, ist über seiner Quelle selbst gebaut, und das warme, herrliche Wasser sprudelt unaufhörlich aus den Tiefen der Muttererde in dasselbe herauf. Hier können 80 bis 100 Personen beisammen unentgeltlich baden und das wohltätige Heilmittel für so viele Gebrechen aus den Händen der Natur empfangen. Die erste Einrichtung dieses Bades rührt wahrscheinlich noch von den Römern her.

      Hier soll in den frühesten Zeiten der Christenheit gegen Ende des dritten Jahrhunderts die fromme Magd Verena, aus Afrika hergekommen, die Armen und Kranken verpflegt und ihnen das Bad bereitet haben; darum trägt es auch den Namen dieser heiligen Jungfrau. Ihr kunstlos geschnitztes Bild steht auf einer Säule mitten im Wasser und wird alljährlich an ihrem Fest, welches die Katholiken am 1. Herbstmonat feiern, mit einem Blumenkranz geschmückt und acht Tage und Nächte hindurch mit fünf geweihten Kerzen beleuchtet. Der Altertumsforscher Herr Professor Altmann in Bern hat zuerst im Jahr 1721 in seinen Observationes philologico-criticae ad varia sacra et profana loca ex antiquitate illustranda behauptet, und viele andere Gelehrte schrieben es ihm auf Treu und Glauben nach, dieses Bild habe ursprünglich die Isis dargestellt. Dass in dieser Gegend einst ein Isis-Tempel gestanden, lässt sich wohl nicht bezweifeln, denn am Kirchturm des benachbarten Dorfes Wettingen sieht man noch jetzt eine Steinschrift eingemauert, welche also lautet:

      DEAE ISIDI TEMPLUM A SOLO L ANNVSIVS MAGIANVS DE SVO POSVIT VIR AQVENS B AD CVIVS TEMPLI ORNAMENTA ALPINIA ALPINVLA CONIVNX ET PEREGRINA FIL. XC DEDE RVNT LDD VICANORVM.6

      Herr Professor Altmann hat dieses wohlerhaltene, fünf Fuss breite und zwei Fuss hohe Monument beschrieben und erläutert, ging aber in seinen Mutmassungen noch weiter und wollte mit seinen kritischen Augen sogar im Bilde der heiligen Verena noch eine Isis erkennen, weil dasselbe ein Gefäss und einen Kamm trägt. Er führte eine Stelle Virgils an: «lsis sistellam sinistra manu gerit», fügt dann hinzu «in manu dextra pectinem habet» (Aeneid. VIII) und belegt seinen Satz aus dem Apulejus (Metam. XI): «Mulieres in pompa Isidi pectines eburneos ferentes, ut gesta brachiorum, flexusque digitorum, ornatum atque oppexum crinium regalium fingerent.» Nun aber mag die Isis auch noch so oft mit einer Urne dargestellt worden sein, so hat man doch ihr Bild nie mit einem Kamm in der Hand gesehen. In P. Montfaucons Werken, in Caylus’ Recueil d’Antiquités, im pio-clementinischen und dazu gefügten chiaramontischen Museum findet man die Isis mannigfaltig dargestellt, auch eine Nachbildung der in Rom gefundenen Isistafel, aber nirgends die geringste Spur eines Kammes, und wenn auch nach dem Apulejus die das Isisfest begehenden Priesterinnen elfenbeinerne Kämme führten, so beweist dieser Umstand doch nicht, dass der Kamm ein Attribut der Göttin selbst war.

      Würden aber auch die ältere Isis und die neuere Verena mit den nämlichen Attributen dargestellt, so hat dennoch Herr Altmann den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen und seine tiefe Gelehrsamkeit höchst unnütz an der heiligen Verena verschwendet, denn wenn er sich die Mühe gegeben hätte, das Bild nur in die Hand zu nehmen, so wäre er bald überzeugt worden, dass es sich unmöglich aus den Zeiten, wo die Isis angebetet wurde, bis auf unsere Tage hätte erhalten können, weil es nicht von Stein, Erz oder gebrannter Erde, sondern von Eichenholz verfertigt ist. Ich habe dasselbe aus seinem steinernen Gehäuse nehmen lassen, genau untersucht und möglichst getreu abgezeichnet. Es ist 14 Zoll 6 Linien hoch, mit Ölfarbe grob übertüncht, nicht ganz schlecht, und der ganzen Form nach zu urteilen in der letzten Hälfte des Mittelalters geschnitzt. Das lange Haupthaar ist nicht etwa mit Musa- oder Lotusblättern und Ochsenhörnern, sondern mit einfachen Rosen bekränzt. Die Krone von Golddraht und der Zweig von Flitterblumen sind Einschiebsel neuer Zeit. Das Gefäss, welches die Heilige in der linken Hand trägt, hat eine aus der Mitte derselben hervorstehende Röhre und stellt ohne Zweifel dasjenige dar, aus welchem Verena die Armen von oben bis unten begoss, um sie zu waschen und dann mit ihrem Striegel zu kämmen, wie solches in ihrer Lebensbeschreibung von dem Karthäuser zu Ittingen Heinrich Maurer in seiner Helvetica sancta (Luzern 1648) weitläufig zu lesen ist, wo aber des Aufenthalts der Heiligen in den Bädern zu Baden keine Erwähnung geschieht. Wie und wann dieses Bild hierhergekommen ist, wird schwerlich mehr ausfindig zu machen sein.7 Ob indes die Wohltätigkeit unter dem Bild der Isis, welcher die Ägypter und nach ihnen die Griechen und Römer als Göttin der allwaltenden Natur Tempel und Altäre bauten, oder unter dem einer demütigen, den Armen dienstfertigen, christlichen Jungfrau verehrt werde, ist wohl einerlei. Alles Bildwerk dieser Art, das kunstreichste wie das roheste, ist doch nur Symbol, dessen Zweck ist, an das Göttliche zu erinnern, welches den Menschen in der Natur erfreut und stärkt und erhebt über das Leiden des Lebens. Und so ist dieses Bad mit seinem bescheidenen, veralteten Bild immer ein Heiligtum, ein Tempel der Natur, weil viele Tausend arme, elende, vom Schicksal unbegünstigte Menschen darin Gesundheit und die Kraft wieder finden, sich durchzukämpfen über die Dornenbahn ihres mühevollen Lebens.

      In einer Ecke dieses Bades ist eine Tropfmaschine angebracht, welche jedem dient, dem der Arzt diese Kurart verordnet.

      Wenn eine veränderte Luftkonstitution dekomponierend auf das Mineralwasser wirkt, dass dasselbe unfehlbar wenige Stunden bevor es Regen gibt, eine milchbläuliche Farbe bekommt, wie wenn Weingeist in Brunnenwasser gegossen wird, so ist diese Entfärbung im Verenabad am auffallendsten bemerkbar, vermutlich wegen der zufälligen Art, wie die Lichtstrahlen sich über die umliegenden Häuser brechen, deren Bewohnern diese Erscheinung immer als ein untrügliches Barometer dient.

      Gegenüber ist das Freibad, nur wenige Schuhe kleiner als das der heiligen Verena und ebenfalls den Armen unentgeltlich gewidmet. In diesem Freibad wird geschröpft, was in jenem nicht geschehen darf. Diese Operation wird hier immer in Masse vorgenommen. Die Schröpfkandidaten sitzen in gedrängten Reihen nebeneinander und das Blutvergiessen geht von einem Flügel zum andern wie ein Lauffeuer. Die Schröpfer sind aber höfliche Leute, denn jedes Mal, wenn sie einhauen wollen, warnen sie den Patienten mit dem französischen Wort «Excusez!». Obgleich nun zwar durch diese Formel nichts Französisches in die Masse der Säfte dringt, so möchte doch schon manche schädliche Schärfe hier von einem Nacken auf den andern hinüber geimpft worden sein, weil die Schröpfschnäpper ohne Unterbruch darauflos säbeln, bis die ganze Badegesellschaft blutet, und erst nach ganz vollbrachter Arbeit in einem Stück weichen Talgs abgeschnellt und dadurch wieder gereinigt werden.

      Der Schröpfmeister empfängt sein Amt nebst dem dazugehörigen Hause vom Stadtmagistrat auf acht Jahre um den jährlichen Zins von 60 Gulden. Er muss drei bis vier Gesellen halten. Kein anderer darf in den Grossen Bädern schröpfen. In frühern Zeiten gehörte das Recht, dieses Lehen zu vergeben, der Hoheit, welche dasselbe aber schon im Jahre 1430 der Stadt verkaufte.

      Das Freibad war einst auch eine Freistätte und genoss das längst eingegangene sonderbare Privilegium, dass, wenn einer sein Leben verwirkt hatte und sich darein flüchtete, er nicht ergriffen werden durfte, solange er sich im Wasser


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