Die Badenfahrt. David Hess

Die Badenfahrt - David Hess


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und bequem.

      Die neuesten Zimmer haben Öfen, was bei kühler Witterung, wie sie oft mitten im Sommer hier eintritt, eine wahre Wohltat für Kranke ist, zierliche Gipsdecken, frische und wohlgewählte papierne Tapeten, Wandschränke, Vorhänge von weisser Percale, welche Draperien bilden, einen Schreibtisch, eine Kommode, neue einfache, aber elegante Strohstühle und Canapés. Die Betten sind einschläfrig, freilich ohne Vorhänge, dafür aber haben sie alle Matratzen und leichte seidene Federbetten. Über den Winter werden die Matratzen aufgemacht, das Pferdehaar frisch gezupft und gelüftet und die Überzüge rein gewaschen.

      Die Zimmer auf der hintern Seite sind nicht wie im Hinterhof bloss für das Gesinde bestimmt; sie gewähren alle die reizendste Aussicht auf die sich hier nach links biegende Limmat und auf ihre hohen, romantischen, mit Reben, Wiesen und mannigfaltigen Baumarten bekränzten Ufer. Aus einigen wenigen dieser Zimmer gelangt man durch eine eigene Treppe ins Bad.

      Ein abgesondertes Gebäude, vor welchem ein Säulengang angebracht ist, enthält den heiteren Speisesaal, der wenigstens 120 Gäste fassen kann und dessen hintere Fensterreihe nach dem Flusse gerichtet ist. Hier sieht man auf die Stelle, wo im Sommer 1815 ein Schiff versank, welches eine Ladung Bomben und Kanonenkugeln zur Belagerung von Hüningen nach Basel hätte führen sollen. Über dem Speisezimmer ist der geräumige Tanzsaal mit einem Nebenzimmer, welche beide den ganzen Tag über von den Gästen zu gesellschaftlicher Unterhaltung benutzt werden können. Bei Veränderung der Häuser wurden die ehemaligen 18 Bäder allmählich bis auf 41 vermehrt. Die neuen sind freilich etwas kleiner als die ältern; allein heutzutage pflegen auch nicht mehr so viele Leute zusammenzusitzen wie vormals, und diese immer mehr überhandnehmende Absonderung hat ihre grossen Vorteile, weil eigentlich jeder Badende einer eigenen, seiner Blutwärme angemessenen Temperatur bedarf. Da das hiesige Wasser so warm aus der Erde hervorquillt, dass das Bad immer sechs bis acht Stunden vorbereitet werden und von seiner Hitze verlieren muss, bevor es gebraucht werden kann, so ist Herr Egloff auf den glücklichen Gedanken geraten, auf dem Hofraum einen grossen, von Backsteinen gemauerten, ganz bedeckten Sammler unter dem Boden anlegen zu lassen, in welchem ein hinlängliches Quantum Badwasser erkalten sollte, um aus demselben durch eigene Röhren die Bäder nach Belieben abzukühlen, wodurch der Kurgast die Temperatur seines Bades richtiger bestimmen und der nämliche Badraum nötigenfalls am gleichen Tage von verschiedenen Parteien benutzt werden könnte. Allein dieser Versuch ist bis jetzt noch nicht ganz gelungen, indem das Wasser in dem bedeckten Sammler nie genug verdunstet.

      In den sogenannten Kesselbädern sind zwei ganz neue, sehr gut beschaffene Tropfmaschinen angebracht sowie in einem andern, in zwei Teile unterschlagenen Bade daneben jene zum innerlichen Gebrauch des Wassers unter dem französisch-höflichen Namen Douche-ascendante bekannte, wohltätige Vorrichtung. In der Folge dürfte wohl auch noch ein Schwitzbad hinzukommen. Pumpwerke, vermittelst welcher das Wasser mit Gewalt auf die leidenden äusserlichen Teile gespritzt werden kann und wie es deren zum Beispiel in Aachen und Burtscheid gibt, sind hier nicht üblich.

      Da nicht zu bezweifeln ist, dass in der Limmat hinter dem Staadhof sich wenigstens noch eine ganz unbenutzte warme Quelle befindet, so hat Herr Egloff dieselbe fassen und anwenden wollen. Allein unter dem Vorwand, alles Nachgraben könnte den bereits gefassten Quellen Abbruch tun, sie vielleicht gar verschütten, widersetzten sämtliche übrigen Badwirte sich diesem Vorhaben; die Meinung der von der Kantonsregierung zu einer Lokaluntersuchung abgeordneten Experten stand inne und es blieb beim Alten. Herr Egloff wird aber wohl noch in der Folge wieder neue Schritte dafür tun und es wäre sehr zu wünschen, dass es ihm gelingen möchte, diesen von der Natur dargebotenen Schatz zum Besten der Menschheit heben zu können. Mit den Hilfsmitteln, welche die Hydraulik an die Hand gibt, sollte es nicht schwer sein, diese Quelle den übrigen unbeschadet ans Ufer zu leiten.

      Solche löbliche Industrie verdient allerdings Beifall. Auch ist der Zudrang in den Staadhof jetzt am stärksten. Die Fremden kehren alle hier ein, wenn sie noch Platz finden; viele Zürcher aller Klassen sind ebenfalls bedacht, sich so früh als möglich ihrer Aufnahme im Staadhof zu versichern. Die Zimmer müssen aber während der drei Sommermonate drei bis vier Wochen vorausbestellt werden, und der aus alter Anhänglichkeit dem Hinterhof treu gebliebene Kurgast kann sich, wenn er seine Bekannten im Staadhof besucht, fast nicht enthalten, mit neidischen Augen auf die eleganten Wohnungen und Gerätschaften und auf so manches andere hinzublicken, was er in seiner Herberge an Bequemlichkeit und Zierat entbehren muss.

      Allein alles in der Welt hat seine Kehrseite. In dem erneuerten Staadhof ist jeder Raum besetzt. Es gibt da wenig abgesonderte Gemächer mit eigenen Küchen mehr, wo eine Haushaltung für sich allein abgeschlossen ihr Wesen treiben kann. Hier sind die Dienstboten gewöhnlich etwas weit von ihrer Herrschaft einquartiert und nicht immer gleich bei der Hand. Der Wirt sieht es eben nicht besonders gern, wenn seine Gäste auf ihrem Zimmer speisen, er sucht sie so viel als möglich an der allgemeinen Tafel zusammenzubringen. Er hat zwar in jedem der neuen Gebäude wieder einige Küchen eingerichtet, wo die Gäste ihr Frühstück zubereiten, ihr Teewasser können wärmen lassen, aber der Raum ist im Verhältnis zu klein und die Mägde zanken sich nicht selten um den Feuerherd. Der Staadhof ist ein grosses Wirtshaus, wo über die Kurzeit jedes Zimmer besetzt ist und die Menschen in allen Winkeln neben- und übereinandergeschichtet sind. Auf jedem Gang trifft man fremde Leute an, auf jeder Bank sitzen Bekannte, an jeder Ecke gibt es einen Stillstand. Man kann nicht für sich allein sein, man muss jedem gesprächigen Nachbar herhalten, sich immer zu Ehren der Gesellschaft gekleidet zeigen, den Augenblick erpassen, wo man ungesehen im Schlafrock ins Bad schlüpfen kann; man geniesst die unbedingte Freiheit nicht, welche das Kurleben im Hinterhof so angenehm macht. Zudem ist im Staadhof auch alles teurer. Man bezahlt für ein einziges Zimmer mehr als dort für drei oder vier. Der Wirt muss trachten, sich bald für seine grossen Baukosten bezahlt zu machen, besonders wenn er mit neuen Einrichtungen fortfahren soll. Darüber kann sich nun freilich niemand mit Recht beklagen, aber mancher muss doch auch seinen Beutel zu Rate ziehen und scheut die beträchtliche Ausgabe.

      Alles wohl erwogen findet eine ganze, aus mehreren Personen bestehende Haushaltung oder auch der einzelne ruhebedürftige Kurgast, mit Verzichtleistung auf Eleganz und grössere Reinlichkeit, in den vorzüglichsten Gemächern des Hinterhofes ein stilleres und wohlfeileres Unterkommen. Wer aber Gesellschaft und heitere Umgebung liebt und bedarf, sich auch nicht gern mit kleinlichen Gegenständen der Haushaltung schleppen mag, dem wollte ich raten, sich in den neuen fröhlichen Staadhof zu begeben.

      Eigentlich möchte ich keinen Gasthof auf Unkosten oder zum Nutzen eines anderen rühmen oder tadeln. Strenge Unparteilichkeit ist Pflicht des Schriftstellers; er soll reine Wahrheit suchen und diese nach seiner Überzeugung aussprechen. Dagegen sollten aber auch die verschiedenen Wirte nie aufeinander eifersüchtig sein, weil jeder nach Massgabe seiner Aufmerksamkeit für die Gäste gut bestehen wird.

      Alle Samstage wird im Staadhof getanzt. Vor 20 und 30 Jahren belustigten sich hier nur Bürgersleute und ich selbst habe noch an diesen Sonnabendbällen wackere Fleischer und Müller ohne Ärmel hinter dem Tische sitzen, trinken und ihre Pfeife rauchen sehen. Der Hauptball der vornehmeren schönen Welt fand erst am Sonntagabend in dem sogenannten grünen Saal im Hinterhofe statt. Allein dieser darf jetzt wegen seiner Baufälligkeit nicht mehr dazu benutzt werden, und in der Regel tanzt man nur noch im Staadhof. Die Gesellschaft sämtlicher Höfe und Badanstalten, jeder gesittete, anständig gekleidete Gast kann an diesem Ball teilnehmen. Der Staadhofwirt verrechnet eine Kleinigkeit für die aufgetragenen Erfrischungen und die Tänzer bezahlen die Musik.

      Die ganze Woche hindurch freuen sich die jüngeren Frauenzimmer, welche nur für ihr Vergnügen hier sind, auf diese Gelegenheit, ihren mitgebrachten Putz anzuwenden und sich recht satt zu walzern. Zu Pferd, in Wagen und Schiffen strömen an diesen dem Tanz gewidmeten Sonnabenden die jungen Herren herbei, und der gemischte Ball, wo neue Bekanntschaften gemacht, alte erneuert und kleine Liebesromane gespielt werden, dauert meistens länger als die Regeln der Kur es eigentlich gestatten.

      Da wir jetzt sämtliche Grossen Bäder auf dem linken Limmatufer kennen, wollen wir uns auf das rechte hinübersetzen lassen, wozu immer eine Fähre bereit ist, und noch einen flüchtigen Blick auf die dortigen Kleinen Bäder in Ennetbaden werfen, welcher Ort zwar sein abgesondertes Gemeindegut besitzt und von jeher eigene Vorsteher zur Besorgung seiner Privatrechte, daneben aber teil am Kirchen- und Armengut


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