Die Badenfahrt. David Hess
die Kurgäste erzählen hören, von denen oft einige über Verstopfung, andere über Durchfall klagen, von denen oft solche, die nur ein paar Tage baden wollten, den Ausschlag bekommen und viele Wochen brauchen, bis er wieder abgebadet ist, indes andere diese Krisis erzwingen wollen und nie dazu gelangen. Das Einzige, was sich aus diesen verschiedenen Wirkungen abnehmen lässt, ist, dass es darüber keine allgemeine Regel gebe, dass die Anwendung des Bades in Temperatur und Zeit genau nach dem individuellen Bedürfnis des Kurgastes bestimmt werden sollte und dass die Abweichungen verschiedener Naturen ins Unendliche gehen.
Unstreitig wird durch den flüchtigen, durchdringenden Reiz dieses Wassers die Tätigkeit des Hautorgans und durch die natürliche Wärme des Bades die eigene Wärme des Körpers erhöht. Verstopfungen, nicht nur in den Hautdrüsen, sondern auch in den inneren Teilen werden dadurch erweicht und aufgelöst und der ganze Organismus durch die Befreiung von hemmenden Stoffen gestärkt. Alte, von Schlagflüssen gelähmte Leute erlangten hier wieder den freien Gebrauch ihrer Glieder. Krätze, Flechten, eiternde Geschwüre, verjährte Rheumatismen, Gicht, Epilepsie, Leberverstopfungen, Gravel- und Steinbeschwerden und anderes mehr wurden hier geheilt, besonders weibliche Krankheiten, weswegen dieses Bad vor Zeiten auch das Weiberbad genannt ward. Nach überstandenem Wochenbett richtet es fast immer schwächliche Frauenzimmer wieder auf, und kleineren Kindern verleiht es die früher unentwickelte Kraft, gehen zu lernen.
Wer hingegen die Schwindsucht oder schleichendes Fieber mit in das Bad bringt, der wird seinen Zustand bald verschlimmert fühlen und wohl tun, sich gleich wieder daraus weg zu flüchten.
Ich selber bedurfte des Bades schon oft, um Rheumatismen und Leberbeschwerden zu vertreiben, und habe mich immer am besten dabei befunden, wenn ich meine Kur in zwei Hälften teilte und dieselbe eine Woche im Heumonat und ebensolang im Herbstmonat gebrauchte.
In den Privatbädern wird auch häufig geschröpft, und viele Leute glauben, nichts gehörig vollbracht zu haben, wenn sie nicht die mystische Zahl von sieben oder neun Wundmalen auf dem Rücken mit heimtragen. Sie wähnen damit ihrer Kur das Meistersiegel aufzudrücken. In der Tat leistet diese übrigens ziemlich unangenehme und fast ekelhafte Operation bedeutende Dienste bei Schärfen in den Lymphen, bei rheumatischen Beschwerden, Flüssen und Zahnschmerzen, und nach vorher gebrauchten Bädern desto leichter, weil die Haut weicher geworden und die Schweisslöcher offener sind.
Seit einigen 20 Jahren wird das Wasser auch häufiger getrunken als vor Zeiten.18 Es löst in der Regel viel zähen Schleim im Magen und in den Eingeweiden auf. Man trinkt es entweder im Bad so warm, wie es aus der Röhre fliesst, oder auf- und niedergehend an dem Brunnen im Staadhofe, fängt mit zwei Gläsern an und steigt bis auf sechs oder acht. Allein, es gibt Leute, denen dieses Trinken eher übel als wohl bekommt, weil es manchmal, statt zu eröffnen, verstopft. Man kann zwar, um diese verkehrte Wirkung zu hindern, auflösende Mittel damit verbinden, allein dann wird es durch den Beisatz eine andere Arznei, um derentwillen man nicht nach Baden zu reisen braucht.
Manchen Ärzten ist vielleicht noch nicht bekannt, dass die kleinere Quelle, welche in das Freibad fliesst, vielen Leuten, die vom Trinken aller übrigen Quellen verstopft wurden, Öffnungen verschafft. Ob mehrere Bestandteile sich in verstärktem Mass darin befinden, das mögen die Gelehrten untersuchen. Dem Geschmack nach zu urteilen, scheint sie mehr Mittelsalz zu enthalten. Es gibt aber manche, die vom Trinken auch an dieser Quelle dennoch hartnäckig verstopft bleiben. Die eigentümliche Natur jedes Menschen modifiziert auch bei dieser Anwendung die Wirkungen des Wassers ins Unendliche. Es möchte wohl am besten getan sein, den empirischen Satz aufzustellen: «Wem das Trinken des Mineralwassers zu Baden gelinde Öffnung verschafft, der fahre damit fort, es wird ihm wohl bekommen; wen es aber verstopft, der soll es unterlassen.19
Indes dahle ich in meiner Laieneinfalt wie ein Blinder von Farben und streiche demnach bescheiden meine unbehilflichen Segel vor den Meistern des Stuhles, welchen über dergleichen wissenschaftliche Gegenstände zu sprechen das Recht allein zusteht. Weiss ich doch nur, dass es mir immer unbeschreiblich wohl und behaglich im Bade zumute war, wenn ich ein Glas Wasser nach dem andern einschlürfte, dessen Geschmack, wenn auch etwas salzig, mir nie zuwider war und das mir nach weiten Abendspaziergängen immer den Durst löschte, ohne dass ich zu befürchten hatte, mich durch den Trunk zu erkälten.
Freilich mögen nicht alle Leute gleich fröhlich im Bade sitzen, zumal solche, die viele Wochen hintereinander täglich fünf bis sechs Stunden darin zubringen müssen, um den Ausschlag hervorzulocken. Zum Zeitvertreib für diese rücke ich hier ein witziges Liedchen ein, das der geistreiche Baron von K. gedichtet hat. Man kann es nach beliebiger Melodie singen, und jeder Widerhall einer reinen Stimme klingt doppelt angenehm im Badgewölbe:
ÉLOGE DE LA POUSSÉE
On a chanté le vin, l’amour,
La paix et la victoire ;
L’aimable Poussée, a son tour,
Doit avoir cette gloire.
Oui, la Poussée a bien le droit,
Par nous d’etre chantée,
Unissez-vous donc à ma voix
Et chantez la Poussée!
Tandis que, pareils à des loups,
Partout on se déchire,
Ici plus heureux et moins fous
Nous ne pensons qu’à rire.
Mais à quoi d’un bien aussi doux
Devons nous la durée ?
O! toujours justes entre nous,
C’est bien à la Poussée!
Lise avec son farouche époux
Doit partir a l’aurore,
Ici pour elle il seroit doux,
De s’arrêter encore.
Femme d’accomplir ses desseins
N’est point embarrassée;
Demain le jaloux, par ses soins,
Doit avoir la Poussée!
Vous, qui chérissant la beauté
Et poursuivant les belles,
Leur pardonnez pour leur gaité
D’être un peu trop cruelles ;
Au sein des plaisirs innocens,
Si d’une aile empressée,
Vous voyez s’échapper le temps,
Bénissez la Poussée!
Unis par un si doux lien,
On se chérit, on s’aime,
On demande: «Poussez-vous bien ?»
«A merveille! Et vous-même ?»
Amis et rivaux à la fois,
N’ayant qu’une pensée,
L’objet commun de notre choix,
C’est l’aimable Poussée!
Es lässt sich auch ein sehr artiges und kurzweiliges Experiment im Bad anstellen.19 Ein verwelkter Blumenstrauss, den man in das warme Mineralwasser stellt, erholt sich in kurzer Zeit, die geschlossenen Blütenkelche entfalten sich allmählich zu neuem Leben und ihre Farbe wird wie durch Zauber in ursprünglicher Frische wieder hergestellt.20
Diese Erfahrung bewegt vermutlich so manche alternde Jungfrau, deren Reize vom Hauche der Zeit unfreundlich angeweht oder von innerlich verzehrender Glut ausgetrocknet, zu welken beginnen, alljährlich nach Baden zu fahren, um neue Jugend aus dieser Melusinenquelle zu schöpfen.
Allein wir haben uns schon so lang im Bade mit Ernst und Scherz unterhalten, dass es Zeit sein möchte, endlich aufzubrechen.
Wer sich gütlich tun will,