Die Badenfahrt. David Hess

Die Badenfahrt - David Hess


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Dämmerung badete. Dann hatte ich mich zu keinem Ausgang mehr anzukleiden, lief nicht Gefahr, mich an der Nachtluft zu erkälten und legte mich, vom Bad angenehm abgekühlt, nach einer leichten Nachtsuppe früh zu Bett. Die Stille beim matten Schimmer einer Kerze hat etwas Trauliches im tiefen Badgewölbe, und nicht selten erhebt darin das einsame Heimchen seine zirpende Stimme.

      Aber auch zu jeder anderen Tageszeit ist es eine wahre Wollust, sich hier zu baden. Man befindet sich kaum ein paar Minuten im Wasser, so empfindet man eine sanfte Abspannung, eine unbeschreibliche Behaglichkeit und kann sich frei und bequem in dem weiten Raum herumbewegen.

      Zwar sind hier die in den Boden eingesenkten Bäder weder mit Marmor noch mit Zinn oder Porzellan wie in Pyrmont, sondern lediglich mit Holz ausgefüttert und haben ringsumher etwa fusshohe Bänke; dagegen aber sind die meisten derselben und besonders die älteren so tief und weit, dass eine ganze Familie darin Platz findet. Die Kinder überlassen sich in diesen Wassern meist einer ausgelassenen Freude. Sie jubeln, kreischen, spritzen einander, tauchen unter und schwimmen, ihre Schiffchen vor sich herschiebend wie Fische in dem Behälter herum. Oder wenn sie allmählich ruhiger werden, bilden sie mit den Badhemden grosse Blasen, drücken diese aus und treiben allerlei mutwilliges Spiel.

      Was enthält aber dieses herrliche Wasser? Welche Wunderkraft ist ihm gegeben, so mancherlei Elend zu mildern, so viele Krankheiten zu heilen? Seitdem Herr Morell im Jahr 1788 seine Analyse desselben bekannt werden liess, sind bedeutende Fortschritte in der Chemie und besonders in der Wasserscheidekunst gemacht worden. Herr Bauhof, Direktor einer Vitriolölfabrik in Aarau, ein ausgezeichneter Chemiker, hat kürzlich eine neue Analyse vorgenommen, aus welcher sich folgendes Resultat ergab:15

      Temperatur der Quelle 37 Grad über Null, Réaumur Eigentümliche Bestandteile in 300 Unzen Wasser (ungefähr 6 Mass)

      48 Kubikzoll kohlensaures Gas Schwefel-Wasserstoff-Gas in geringer, unbestimmter Quantität

      233 Gran schwefelsaurer Kalk (Gips)

      186 Gran salzsaures Natrum (Kochsalz)

      51 Gran salzsaure Bittererde

      48 Gran schwefelsaures Natrum (Glaubersalz)

      36 Gran kohlensaurer Kalk

      31 Gran schwefelsaure Bittererde (Bittersalz)

      11 Gran kohlensaure Bittererde (Magnesia)

      5 Gran Extraktiv-Stoff

      1 Gran Eisenoxyd

      Bestandteile des Selenits oder Badsteins

      In tausend Teilen desselben:

      790 kohlensaurer Kalk

      117 schwefelsaurer Kalk

      51 kohlensaure Bittererde

      2 salzsaure Bittererde

      3 Eisenoxyd

      37 Wasser und etwas Extraktiv-Stoff

      Diese Analyse erwähnt keinen in konkreter Gestalt vorgefundenen Alaun, womit doch zuweilen die Mündungen der Teichel überzogen sind. Herr J. J. Irniger, Kantons-Apotheker in Zürich, ein trefflicher Chemiker, hat eine solche von einer Wasserröhre in den Kleinen Bädern abgebrochene Kruste mit heimgenommen, welche sich bei chemischer Prüfung als reiner Alaun bewährte. Der Kern des Badsteins unter den Ablassrinnen hinter dem Raben könnte vielleicht darüber einige Resultate liefern, wenn einer dieser jahrhundertealten Stalaktiten zu diesem Behuf zerschlagen und genau untersucht würde.16 In Hinsicht auf die Temperatur der Quellen scheint Herr Bauhof einen Mittelschlag angenommen zu haben, indem er dieselben im Allgemeinen auf 37 Grad über Null nach Réaumur bestimmt. Allein wenigstens vier Quellen sind um einen ganzen Grad wärmer, nämlich die unter dem grossen heissen Stein, die unter dem kleineren daneben, die Verenaquelle und die auf dem rechten Limmatufer. Diese allein treiben den Weingeist oder das Quecksilber auf 38 Grad, wovon ich mich selbst überzeugte, indem ich den Beobachtungen meines verewigten Freundes, Herrn Doktor Zwingli, beiwohnte, welcher die sorgfältigsten Untersuchungen mit drei verschiedenen Thermometern darüber anstellte. Die Wärme der übrigen Quellen ist von ihm nicht gemessen worden.

      Herr Doktor Dorer hat also in seiner Beschreibung der Bäder von Baden, worin derselbe der eigenen Quelle des Hinterhofs und derjenigen unter dem vorderen heissen Stein 125 Grad, der Verenaquelle sogar 127 Grad nach Fahrenheit zuschreibt, dagegen die Temperatur der Quelle in den Kleinen Bädern auf 115 Grad herabsetzt, sich ganz bestimmt geirrt, was zumal mit mangelhaften Instrumenten sehr leicht geschehen kann. 127 Grad Fahrenheit betragen ungefähr so viel als 42 Grad Réaumur, und so warm ist nicht einmal die Hauptquelle in Leuk; 115 Grad Fahrenheit sind nicht völlig 37 Grad Réaumur, und dass die Hauptquelle in den Kleinen Bädern eine Wärme von vollen 38 Grad habe, ist durch obenerwähnte Prüfung unumstösslich erwiesen. Johann Jakob Scheuchzer hat im Jahre 1730 seine Untersuchungen dieses Wassers an allen Quellen und mit jeder besonders vorgenommen; allein die neueren Chemiker, welche uns Beschreibungen desselben lieferten, scheinen anzunehmen, dass alle Quellen die nämlichen Bestandteile in gleichen Verhältnissen enthalten, weil sie nicht sagen, aus welcher derselben sie das Wasser, das sie untersuchten, genommen haben und doch kann nicht bezweifelt werden, dass zum Beispiel die Quelle unter dem grossen heissen und diejenige unter dem daneben liegenden kleineren Stein von verschiedenem Gehalt sein müssen. Beim jährlichen Ausreinigen der Leitungen findet man in dem Teiche, der das Wasser aus der Quelle unter dem kleineren Stein in das Freibad führt, immer gegen zwei Pfund wirklichen, schön brennenden Schwefel, indes man diesen in den Teicheln, welche das Wasser aus der Quelle unter dem grossen heissen Stein in verschiedene Bäder leiten, gar nicht oder doch nur in geringem Masse vorfindet. Dagegen scheint in dieser letzteren die Schwefelleberluft im Verhältnis zu jener vorzuherrschen. Es würde sich also der Mühe lohnen, jede Hauptquelle besonders zu analysieren, damit der Arzt jedem Kranken bestimmt diejenige empfehlen könnte, welche ihm am besten dienen wird.

      Sehr wahrscheinlich wird das Wasser in den verborgenen Tiefen des Lägernberges gekocht. Die Kleinen Bäder erhalten dasselbe zunächst, der grössere Teil fliesst wohl unter der Limmat durch den Grossen Bädern zu, ohne deswegen kälter zu werden, denn auf beiden Flussufern sind die Hauptquellen gleich warm, und wenn mitunter behauptet werden will, das Wasser im Freibad des rechten Ufers sei wärmer als das im Verena- und Freibad des linken Ufers, so rührt dieser scheinbare Unterschied bloss daher, dass jenes ganz bedeckt und eingeschlossen ist und die Wärme deswegen länger darin zurückbleibt. Es ist über die Zubereitung dieses Wassers in den Eingeweiden der Erde und über die Ursachen seiner Wärme in älteren und neueren Zeiten manche Hypothese aufgestellt worden. Von dem vor einigen Jahrhunderten durch die damaligen Naturforscher allgemein verbreiteten abenteuerlichen Gedanken, als brenne ein unterirdisches Feuer im Schosse des Lägernberges, ist man allerdings schon längst zurückgekommen und es wird angenommen, dass diese Erhitzung des Wassers durch seine chemische Mischung mit Kalkerden, Schwefelkiesen, Alaunschiefern und anderen Bestandteilen, vielleicht durch ein noch unerörtertes elektrisches oder galvanisches Fluidum verursacht werde. Wir lächeln über das, was unsere guten Alten davon fabelten. Allein wer bürgt uns dafür, dass alles, was die Neueren darüber zu erforschen trachten, nicht immer nur Fragment bleiben werde? Die heilige Natur wirkt hinter undurchdringlichem Schleier und gestattet keinen Zutritt in ihre unterirdische Werkstätte, wo sie den Sterblichen, die auf sie hoffen und an sie glauben, geheimnisreich waltend, so manches Labsal bereitet.17

      Für welche Krankheiten diese Bäder dienlich seien, mögen die Ärzte bestimmen, welche alljährlich so viele Leute herschicken, die an den verschiedenartigsten Übeln leiden. Wer alle Schriften durchgeht, welche von Conrad Gessner bis auf unsere Tage über diesen Gegenstand erschienen sind, findet ein so ungeheures Verzeichnis menschlicher Gebrechen darin aufgestellt, dass man daraus schliessen möchte, das Wasser zu Baden sei eine Universalarznei, was es doch schwerlich sein kann.

      Man sollte denken aus seinen Bestandteilen, ihrem Verhältnis zueinander und ihrer Mischung liesse sich genau angeben,* welche Krankheitsursachen vorzüglich dadurch könnten gehoben werden. Allein es gibt entweder noch keine hinreichenden chemischen Mittel, die feinsten Bestandteile aller Mineralwasser zu erörtern oder die Natur treibt hier sonst ihr Spiel mit den Meistern der Kunst, denn indes öfters ein Übel im


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