Die Badenfahrt. David Hess

Die Badenfahrt - David Hess


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die Männer mit kostbaren Weinen bewirtet, die Frauen oft sogar mit goldenen Ketten und Armspangen beschenkt wurden, wodurch die Botschafter trachteten, sich und ihren Herren Freunde und Förderer für die Zwecke ihrer diplomatischen Sendungen zu gewinnen, die hauptsächlich auf Anwerbung käuflicher Schweizer in fremde Kriegsdienste zielten. Illuminationen und Feuerwerke dauerten bei solchen Gelegenheiten bis in die späte Nacht hinein. Wie die Kur daneben gebraucht ward, kann man sich vorstellen.

      Wie manches kleine Liebesabenteuer mag wohl hier schon im Verstohlenen angesponnen worden sein, das den Stoff zu den anziehendsten Romanen hätte liefern können!23 Wie manche glückliche Ehe war die segensreiche Folge des ersten Erkennens gleichgestimmter Herzen in diesen Schattengängen! Wie manche Verbindung wurde dagegen auch hier in der Eile von Leichtsinn und Gefallsucht unauflöslich geknüpft, die nach bald verflogenem Rausche nur Ekel und Missmut zurückliess, welche kein Wasser mehr wegschwemmte! Wie mancher stiller Seufzer über physische und moralische Leiden, welche das Bad hätte heilen sollen und, ach, nicht zu bezwingen vermochte, und auch wie mancher innig empfundene Dank für wiedererlangte Gesundheit stieg schon seit Jahrhunderten aus diesem Raume zum Himmel empor!

      Oft sieht man im Anfang der Kur manchen Badgast hier mühselig und jämmerlich an Krücken einherschleichen, der nach Verfluss einiger Wochen schon wieder auf eigenen, neu gestärkten Beinen rüstig davonschreitet. Die Gewohnheit unserer Alten, in Kapellen oder an Bäumen bei den Bädern, wo sie den Gebrauch ihrer Glieder wieder erlangten, die unnütz gewordenen Krücken aufzuhängen, hätte sich nicht verlieren sollen. Es war eine fromme, sprechende Übung!

      Die kleine Kapelle, welche zwischen beiden nach der Matte führenden Toren mit der Mauer in einer Flucht steht und jetzt das Mattenkirchlein genannt wird, ist den heiligen drei Königen geweiht und einzig noch bemerkenswert, weil in früheren Zeiten nach ihr die ganze Anstalt das Bad der drei Küngen in Ober-Schwaben bei Schweiz hiess. Dass einst an dieser Stelle ein römischer Tempel bei den Bädern gestanden habe, ist zwar oft behauptet, jedoch nie gründlich bewiesen worden. Indes soll im Jahr 1550 hier ein steinerner Altar aus der Erde gegraben worden sein mit der Inschrift:

      DEO INVICTO TIB. CASSIUS ET

       SANCTUS ET TIB. SANCTEIUS

       VALENS

       IEVI --------- L.

      aus welcher die Altertumsforscher zusammengesetzt haben: «Dem unüberwindlichen Gott (gewidmet) von Tiberius Cassius Sanctus und Tiberius Sanctejus Valens, des Jevi Freigelassene.»

      Auf der Galerie über dem Eingang findet der Liebhaber dieser Kapelle ein paar bedeutende Überbleibsel altdeutscher Kunst. Diese schmalen, etwa zweieinhalb Fuss hohen Gemälde stellen die heilige Magdalena in einem weissen, bis auf die Füsse herabfallenden Schleier und die heilige Anna mit langen, goldenen Locken in einem roten Mantel dar. Von einem anderen Meister hängen unten in der Kapelle zehn Passionsgemälde, die nicht so gut wie jene beiden Heiligenbilder, aber dennoch weit besser sind, als man sonst von dergleichen Darstellungen in kleinen Kirchen gewohnt ist.

      Gegen halb ein Uhr verliert sich die schöne Welt von der Matte, welche um diese Zeit nur noch von einzelnen Landleuten, die vor der Mittagsglocke gespeist haben, besucht wird.

      DIE MITTAGSMAHLZEIT

      Die den hungrigen Mägen wohlbekannte Glocke ertönt um halb ein Uhr; es ist das erste Zeichen, welches den Dienstboten im Hinterhof die frohe Kunde gibt, dass angerichtet werde. Hier treffen die alten Sprichwörter ein: «Wer zuerst kommt, mahlt zuerst», und «sero venientibus ossa». Die Speisen werden auf grossen Brettern in die Zimmer getragen.

      Nach einer Viertelstunde erschallt das zweite Zeichen, welches die Herrschaften an die Wirtstafel ruft und nach Verfluss einer Stunde wird endlich dem aufwartenden Gesinde, das vom blossen Zusehen nicht satt werden kann, auch zum Essen geläutet. Im Staadhofe findet die gleiche Einrichtung statt.

      Wer sich ohne Familie in Baden befindet, speist vorzugsweise an den verschiedenen Wirtstafeln, weil das Alleinessen selten schmeckt. Auch ganze Familien halten ihre Mahlzeiten häufig mit der grösseren Gesellschaft. Es kommt hierbei auf den Liebhaber an. Wenn auf der einen Seite das Zusammenspeisen aller Gäste die Geselligkeit fördert, so haben auf der anderen doch die Wirtstafeln, zumal in Bädern, auch ihre Nachteile. Wer vermag seine Gelüste immer so im Zaume zu halten, dass er nie in Versuchung geriete, sich durch den Genuss von mancherlei, oft gar nicht auf die Kur berechneten Leckerbissen den Magen zu verderben? Eine wahre Qual ist die Musik, welche an den Wirtstafeln das Gehör der Speisenden täglich betäubt und ihre oft ohnehin schon angegriffenen Kopfnerven mit pompösen Märschen und rauschenden Walzern erschüttert, als müsste man durchaus jeden Bissen nach dem Takte kauen und dürfte mit seinem Nachbar kein vernünftig zusammenhängendes Wort sprechen. Den Gästen werden nach chronologischer Ordnung, wie sie im Bad angelangt sind, ihre Plätze angewiesen, was überall eingeführt und allerdings nötig ist, um jeden Rangstreit zu verhüten. Allein dadurch kommt man sehr oft gerade neben Unbekannte zu sitzen, mit welchen man in keinerlei Beziehung steht und muss mit vergeblicher Sehnsucht ans andere Ende der Tafel auf befreundete Gestalten schielen, mit denen man gern ein unterhaltendes Gespräch anknüpfen möchte und welche auf ihrer Seite ebenso unpassend umgeben sind. Das Essen dehnt sich immer in die Länge. Man bricht nicht gern früher als die übrige Gesellschaft auf, man wird nach aufgehobener Tafel in weitschweifige Gespräche verwickelt und am Ende gibt es noch Einladungen zum Kaffee, die man nicht wohl ablehnen darf und bald nachher erwidern muss.

      Wer hingegen ruhebedürftig, im Familienkreis auf seinem Zimmer speist, hat es im Grunde daselbst weit gemächlicher, nur so viel und gerade diejenigen Schüsseln, welche man vorzüglich liebt oder bedarf, und die Kinder, welche vor dem zwölften Jahr nie an Wirtstafeln mitgebracht werden sollten, können von keinen allzu gefälligen Nachbarinnen mit Naschereien überfüttert werden und hören keine Gespräche, die nicht für ihr Alter passen. Ich halte es für einen der grossen Vorzüge von Baden, dass es hier noch immer einem jeden frei steht, sich nach Willkür auf seinem Zimmer bedienen zu lassen.

      Im Hinterhofe habe ich sowohl die Speisen an der öffentlichen Tafel als diejenigen, welche ich mir auf mein Zimmer bringen liess, immer gut zubereitet gefunden, auch sind die Portionen hinreichend für jeden, der nicht aus dem Geschlecht der Gargantua stammt. Und wenn im Staadhofe bei gleicher, vielleicht grösserer Mannigfaltigkeit der Gerichte die Kocherei nicht immer gleich sorgfältig behandelt werden kann, so ist das nur der Fall, wenn gar zu viele Gäste auf einmal bewirtet werden müssen. In andern Häusern habe ich noch nie gespeist. Wer indes einen hohen Wert auf Leckerbissen setzt und eine gastronomische Kur gebrauchen will, der muss von hier nach Schinznach reisen.

      Gemüse, zumal feinere, sind in Baden noch immer etwas selten. Die Wirte haben nicht Zeit, dergleichen durch ihre eigenen Leute im Überfluss pflanzen zu lassen; sie müssen dieselben den Stadtbürgern, die allmählich anfangen, welche zu bauen, sehr teuer bezahlen, und die benachbarten Bauern verstehen nichts von Gartenkultur und denken nicht daran, dass sie damit ein einträgliches Gewerbe treiben könnten. Wer also feinere vegetabilische Nahrung andern Speisen vorzieht, tut wohl, sich alle Wochen ein paarmal frische Gemüse von Zürich kommen zu lassen, was durch die Schiffe bequem und wohlfeil geschehen kann.

      Auf dem Zimmer speist man indes auch nicht immer ganz ungestört. Da ist des Anpochens kein Ende. Die Zuckerbäckerinnen machen um diese Zeit wieder ihre Runde, und Kinder von den benachbarten Weilern strecken ihre oft mit unreinen Händen gepflückten Erd-, Heidel- und Brombeeren auf schmutzigen, zinnernen Tellern durch die von ihnen selbst geöffnete Türe herein und räumen selten den Fleck, bis sie sich, ohne eigentlich arm zu sein, etwas Brot oder andere Lebensmittel erbettelt haben. Dergleichen Früchte sollten bloss auf bestimmten Plätzen feilgeboten werden, wie es mit anderem Obst auf dem heissen Stein vor dem Staadhofe geschieht.

      Auf den Gassen wird man sonst hier durch keinerlei Bettel belästigt. Die überall verteilten Landjäger halten streng auf Zucht und Ordnung. Sie richten auch kleine Aufträge in der Nachbarschaft aus und überbringen den Gästen die mit den Schiffen anlangenden Pakete und Briefe.

      Die Matte.


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