Die Badenfahrt. David Hess
lassen. Je tüchtiger man sich mit diesen reibt, desto besser bekommt das Bad. Neben dem positiven leisten diese Friktionen auch den negativen Nutzen, dass sie vor Erkältungen nach dem Bade sichern, welche oft die ganze Kur verderben können.
Nun geschwind in die Kleider, die Treppe hinauf! Ja an keiner Ecke im Luftzuge bei Frau Basen still gestanden! Man hat sein Zimmer bald erreicht und legt sich noch für ein halbes Stündchen zu Bett; aber schlafen soll man nach dem Bade nicht, sagen die Ärzte. Wer möchte auch immer in den Zustand des Nichtseins versinken! Wie mancherlei lässt sich mit geschäftiger Fantasie denken, dichten und träumen, indes die Körpermasse ruhig und behaglich ausgestreckt daliegt. Die Erfindung des Bettes verdiente schon längst ein eigenes Lobgedicht, und über den Einfluss der horizontalen Körperlage auf den Gang unserer Ideen hat der Psycholog Lichtenberg einige bedeutende Winke gegeben.
DAS FRÜHSTÜCK, NEBST EINIGEN BEMERKUNGEN ÜBER DIE SPANISCHBRÖTCHEN
Indes mag man sich auch mit noch so lieblichen Bildern beschäftigen, der Magen behauptet seine Rechte, das Bad reizt den Appetit und der duftende Kaffee lockt den Träumer aus den Federn.
Jeder preist, was er vorzüglich liebt, und so lobe ich mir auch den herrlichen Absud von türkischen Bohnen zum Frühstück. Dieses Getränk ist ein sanftes Reizmittel, es hebt die Nerven, es begeistert, ohne zu berauschen. Selbst Voltaire schöpfte viele seiner witzigen Einfälle aus dieser Hippokrene! Dass es auch in Baden das allbeliebte Frühstück sei, beweisen die vielen dampfenden Kannen, welche gegen neun Uhr von den Aufwärterinnen in alle Zimmer getragen werden. Ich aber braue mir meinen Kaffee am liebsten selbst, und nie schmeckt er mir so trefflich wie nach dem Bade.
Das Brot ist hier weiss, zart und gut gebacken. Allein die meisten Kurgäste wollen ihr Frühstück noch durch das hiesige Hauptgebäck, die Spanischbrötchen, verbessern, und es gibt Leute, die kein Bedenken tragen, alle Morgen fünf bis sechs Stück von diesem fetten, schwer zu verdauenden Blätterteig so warm als möglich und gierig zu verschlucken. Um aber auch den Verwandten und Freunden zu Hause den Genuss dieser Leckerei zu verschaffen, werden grosse Schachteln damit vollgepfropft, durch den Boten versandt und gewöhnlich davon bei der Abreise noch bedeutende Vorräte mit heimgeschleppt. Nach Verfluss einiger Wochen wundert man sich dann, dass man keine bessere Kur gemacht, dass der Magen verdorben ist, dass eine Schleimanhäufung den Appetit hindert. Dann heisst es, das Bad habe ohne Zweifel mancherlei schädliche Stoffe im Körper aufgeregt und der Arzt muss Brechmittel und Abführungen verordnen. Dass die lieben Spanischbrötchen an diesen Unpässlichkeiten schuld sein könnten, daran denkt niemand, und sowie man wieder nach Baden kommt, ermangelt man nicht, sich neuerdings tüchtig damit auszustopfen.
Ein Beobachter nahm sich kürzlich die Mühe, bei den in der Stadt an der Halde, in den Grossen und Kleinen Bädern befindlichen Bäckern nachzufragen, wie viele Spanischbrötchen sie wohl zusammen über eine Kurzeit verfertigen mögen. Sie konnten nur im allgemeinen ihren Verbrauch an feinem Semmelmehl angeben, welcher in 27 Wochen sich im Durchschnitt auf 4736 Viertel belief. Wäre nun dieses ganze Quantum Mehl bloss in dieses Gebäck verwandelt worden, so ergäbe sich, da jedes Viertel 240 Spanischbrötchen gibt, wovon das Stück für einen Schilling verkauft wird, eine Summe von 1 136 640 Spanischbrötchen, welche 28 416 Gulden gekostet hätten. Da aber ein starkes Drittel jenes Mehlverbrauchs zu anderem Backwerk dienen muss, so kann man nach der mässigsten Berechnung immerhin mit Gewissheit annehmen, dass im Laufe jedes Sommers in Baden 720 000 Stück Spanischbrötchen für die Summe von 18 000 Gulden verkauft werden. Es möchte vermutlich schwer halten, so viel Geld für wohltätige Zwecke zusammenzubringen!
Den Liebhabern dieses unwiderstehlichen Gaumenkitzels darf ich die Entdeckung nicht vorenthalten, welche ich vorigen Sommer machte, dass nämlich die Weibsleute, welche die Spanischbrötchen in den Bädern herumtragen, sich im Hinterhof einen ganz besonderen Schlupfwinkel auserkoren haben, um die Schachteln zu verwahren, in welchen die verlangten Portionen für die Abreisenden verpackt werden. Dieser wohlgewählte Behälter, in welchem jene Schachteln oft mehrere Tage liegen bleiben, ist nichts mehr und nichts weniger als der unter der grossen, vom Hofe gegen die Wirtsstube führenden Treppe angebrachte Hundestall. Und wer zu Hause neben den Spanischbrötchen noch eine Zugabe finden sollte, die nicht von Blätterteig gebacken ist, darf darüber nicht erschrecken, da bekanntlich in der alten Materia medica das Album Graecum keine unrühmliche Rolle spielte.
EIN ABSCHNITT OHNE ÜBERSCHRIFT
Es gibt Worte, deren Gebrauch sich eigentlich nur der Arzt in guter Gesellschaft erlauben darf. Allein, um eine Operation dringend zu empfehlen, von deren Nutzen ich mich durch eigene Erfahrung überzeugt habe, ist es wohl am besten, wenn ich auch ohne Arzt zu sein die Sache schlechtweg bei ihrem eigentlichen Namen und ohne Floskeln nenne.
Ich rate demnach jedem Kurgast, der Anlagen zu Leberverstopfungen hat, alle Morgen ein Klistier von Badwasser, so warm als es aus der Röhre strömt, zu sich zu nehmen, und zwar vorzugsweise, wenn er nach genossenem Frühstück natürliche Öffnung hatte, welche durch eine beim Kaffee gerauchte Pfeife Tabak gefördert wird, weil dann das erweichende, in der Küche der Natur bereitete Klistier länger, als es vor dem Stuhlgang der Fall wäre, in den Eingeweiden bleibt und von den inneren Gefässen eingesogen werden kann. Auf diese Weise führt man das Wasser, welches man vorher durch das Bad auf der ganzen Oberfläche des Leibes in die Poren und durch das Trinken von oben herunter in den Magen brachte, nun auch noch von unten herauf in den Körper, wird von dem lebendig warmen, flüchtigen Stoff ganz durchdrungen und eine seltene Leichtigkeit und Heiterkeit im Kopf, eine Behaglichkeit, welche den ganzen Organismus durchströmt, wird bald den Beweis von der Vortrefflichkeit dieser dritten Anwendung des Heilmittels liefern.21
DIE TOILETTE
Eine lästige Stunde ist immer die, welche man dem Anzuge widmen muss, was nur mit wenig Ausnahmen die Frauenzimmer nicht zugeben, indem sie einer, wie es heisst, ziemlich allgemeinen Beobachtung zufolge, nicht ungern vor dem Spiegel verweilen, er mag in Baden auch noch so klein und trüb sein, und die Zeit nie zu bereuen scheinen, welche ihnen auf den Putz zu wenden vergönnt ist. Die jungen und schönen bestreben sich, durch denselben ihre Reize zu erhöhen, die alten und hässlichen ihre Gebrechen damit zu bedecken. Der Zuschnitt des Feigenblattes unserer Stammeltern, das an den Sündenfall erinnern sollte, ist zu einem wichtigen Studium geworden, welches so lange getrieben werden wird, als noch ein Funke von Eitelkeit im menschlichen Gemüte glimmt. Und so dürfen wir auch hoffen, dass das löbliche Schneiderhandwerk immer grünen und blühen und Meister und Gesellen ernähren werde, bis einst unser Nebenplanet wie eine Sternschnuppe zerstieben wird.
In allen Bädern ist man gezwungen, die Kleider häufiger als sonst zu wechseln, und Notwendigkeit und Anstand fordern beträchtliche Opfer unwiederbringlicher Zeit. Indes ist es ein allgemeiner Badeglaube, weil man sich während einer Kur nicht ernsthaft beschäftigen dürfe, so sei die Tändelei des endlosen Ankleidens eher nützlich als schädlich, indem man dadurch vom Lesen, Schreiben und Studieren abgehalten werde. Und so mögen auch die Frauenzimmer sich in Baden etwas länger als zu Hause mit ihrer Toilette beschäftigen, was ihnen ohnehin vonseiten unseres Geschlechtes nicht zum Vorwurf gereichen darf. Schmücken die holden Wesen sich doch nur, uns zu gefallen, wie die Natur sich im Frühling mit Blüten bekränzt, auf welchen mit Bewunderung das Auge ruht. Auch den Herbst zieren ja buntere Blätter und den Schnee des Winters sogar überglüht nicht selten in stiller Mitternacht das funkelnde Nordlicht, und der weisse Reif umgaukelt dürres Reis wie Brüsseler Kanten und fein gestickte Batiststreifen die Hauben ehrenfester Matronen! Mich macht leider das Anziehen immer verdriesslich, zumal wenn ich in Baden auf ein einziges Zimmer beschränkt bin. Wie lange dauert es nicht, bis der Bart abgenommen, das Haar gebürstet oder gekämmt ist, die aufeinander geschichteten Hemden, Strümpfe, Kleider, Stiefel oder Gamaschen herausgelangt und Stück für Stück an den Leib gezogen, geschoben und gepasst sind! Im Zimmer herrscht um diese Zeit gewöhnlich ein unentwirrtes Chaos, das Rasiermesser liegt unter den Kaffeelöffeln neben Überbleibseln des Frühstücks, die Halsbinde auf