Die Badenfahrt. David Hess

Die Badenfahrt - David Hess


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und die ganze Wirtschaft gleicht einer Trödelbude. Das alles muss wieder aufgeräumt und beseitigt werden, damit wenn etwa ein Besuchender unvermutet eintreten sollte, er sich doch regen und in irgendeinem Winkel niederlassen könne. Ich atme erst wieder frei, wenn ich endlich den Hut ergreifen und mich aus diesem Labyrinth flüchten kann.

      VORMITTAGSBESUCHE46

      Wie angenehm ist es, wenn ein glücklicher Zufall uns in Baden mit lieben Freunden zusammenführt, in deren Gesellschaft wir unsere Zeit zubringen können! Die Geselligkeit unter gebildeten Menschen, der Ideenaustausch mit geistigen Wesen gehört zu den Bedürfnissen, zu den reinsten Freuden des Lebens. Auch müssige Worttändelei, wenn sie mit etwas Mutterwitz gewürzt ist, hat ihr Gutes, wenn nichts Wichtiges darüber versäumt wird. Feines Zuvorkommen befreundet untereinander alle Alter und Stände, und man muss sich gegenseitig aufsuchen, wenn man sich näherzukommen wünscht.

      Allein in Baden herrscht noch bei vielen Leuten der Brauch, ihre Mitbürger, welche den gleichen Hofbewohnen, wenn sie auch früher nicht näher mit ihnen bekannt waren und in der Folge auch in keinerlei Verhältnis miteinander zu treten wünschen, wenigstens einmal in ihren Zimmern zu begrüssen, und das geht bisweilen etwas breit zu. In der Regel werden dergleichen Besuche gegen elf Uhr abgestattet.

      Da gibt es dann beim Eintritt viele blumenreiche Worte über die Ehre, die man sich gegenseitig erweise, und dieses Thema wird fugatim durchgeführt, bis man sich auf die Stühle hinkomplimentiert hat. Alsdann wird nach dem Befinden der ganzen Familie gefragt, für das Wohlsein des Herrn Vaters Gott gelobt, der Husten der Frau Tante, das Zipperlein des Herrn Schwagers und das beschwerliche Zahnen der lieben Kinder mit Bedauern erwähnt. Man äussert die Hoffnung, dass die Kur eine gesegnete Wirkung haben werde, erzählt einander wie warm, wie früh und wie spät man bade, was der Badwäscher gesagt habe und wie das heutige Wetter sich zum gestrigen verhalte. Ferner gibt es immer Stoff zu mannigfaltigen Vergleichungen des Hinterhofes mit dem Staadhofe, des Fälkleins mit dem Hölderlein, der Schnecken- mit der Gastlaube, und es werden die Vorzüge jedes einzelnen Zimmers gepriesen sowie seine Unbequemlichkeiten getadelt. Von der Komödie wird dann auch gesprochen, das Verdienst der Schauspieler und der Inhalt der neuesten Oper kritisch beleuchtet. Werden die Zwischenpausen etwas länger und regt sich etwa eine Anwandlung zum Gähnen, so scharrt man mit den Füssen zum Zeichen des Aufbruchs, erhebt sich von den Stühlen, dankt nochmals für erwiesene Ehre, gerät über das nähere oder weitere Begleit in delikate Protestationen und empfiehlt sich endlich noch ein paarmal ganz gehorsamst im Umwenden.

      Wie eine Drehorgel die nämlichen Melodien wiederholt, so beginnt auch beim folgenden Besuch das nämliche Zungenspiel aufs Neue. Das bekannte Thema wird mit Variationen ad libitum abgeleiert, bis man endlich seinen Visitenkreis durchlaufen hat.

      Auf dem Hof aber stösst man überall wieder auf Leute, welche herumziehen, um einander die Zeit auf ähnliche Weise zu vertreiben. Auf einem Beine stehend, den Hut ehrerbietig in der Hand, liefert man sich aphoristische Auszüge aller oben angeführten Merkwürdigkeiten, versäumt darüber oft den vorgehabten Spaziergang und muss sich gegenseitig, um nicht unhöflich zu scheinen, wie das Lamm dem Scherer herhalten, bis etwa die Glocke zur Tafel ruft oder die Langeweile, mit der man sich wie mit einem schleichenden Fieber unter den ausgesuchtesten Wendungen ansteckte, die müden Zungen vollends lähmt und die verstummenden Gruppen auseinandertreibt.

      Bejahrte Frauen, welche noch an den älteren Formen der Höflichkeit festhalten, verstehen es meisterlich, dergleichen Sitzungen oder Stillstände zu verlängern, und ist endlich der Augenblick des Scheidens dennoch gekommen, so will keine zuerst aufbrechen, keine vor der andern eine Schwelle betreten. Und gehn sie zusammen spazieren, so werden sie bis vor das Tor einander an alle Mauern drängen, um sich auf der linken Flanke zu überflügeln und der hochwertesten Frau Muhme die rechte Ehrenseite pflichtschuldigst aufzuzwingen. Das alles geschieht unter den lebhaftesten Diskussionen, in welche wie Fanfaren das Geschnatter der Enten und Gänse einfällt, und ist gar possierlich im Vorübergehen zu beobachten.

      DIE MATTE

      Vor dem Mittagessen gibt man sich gern noch etwas Bewegung im Freien und dazu ist die Matte (das Mätteli, vor Zeiten auch die Werde-Matt genannt) ganz vorzüglich geeignet. Sie gehört nebst vielen anderen Gütern zum Hinterhof, wird aber von den Bewohnern aller übrigen Gasthöfe als öffentlicher Spaziergang benutzt, und zwar von alters her mit Fug und Recht, denn auf Pfingsttag 1424 ward von der Tagsatzung in Baden diesfalls eine Verordnung gemacht, in welcher es heisst: «Es ist zu wissen von der Werdmatten im niederen Baden, worauf man tanzt, die ist vor gemeiner Eidgenossen Boten geöffnet, und ist also von alters hergekommen, dass diese zu Heinrich Schinders sel. Hof gehört und gehören soll, und dass jedermann, in welchen Würden und Ehren er ist, seien es Frauen, Herren, junge oder alte Leute, jederzeit, sommers und winters auf der Matte sich ergehen mögen, Steg und Weg haben und ihre Kurzweil treiben, sei es mit Tanzen oder anderer geziemlicher Kurzweil und es soll das niemand dem andern wehren auf seinem Weg. Und wer des Schinders Hof innehat, der soll auf seine Kosten immer die Tanzbühne auf der Matte erstellen und in Ehren halten und niemandem seine Kurzweil erwehren. Was sonst auf der Matte wächst und zu nutzen ist, mag der nutzen, der den Hof besitzt und hierin von niemandem gehindert sein.»

      Die Matte ist ein schmaler, lieblicher, schattiger Wiesengrund, etwa 150 Schritte lang. Auf der einen Seite fliesst die Limmat in schnellem Zuge vorüber, auf der andern erhebt sich ein grüner, mit Bäumen und Buschwerk bekränzter Rain. Gegen Westen ist sie ganz von einem dunkeln Buchenwäldchen eingeschlossen, durch welches über mancherlei Gestein ein enger, romantischer Fusssteig am Flusse hinab, ein anderer, breiterer, links aufwärts gegen die obere Matte führt. Jenseits der Limmat sieht man steile, von der Siggenthalerstrasse durchschnittene Traubenhügel, in welchen auf Kalksteingrund ein trefflicher geistiger Wein wächst, worunter der von der Müseck der vorzüglichste ist. Über den Traubenhügeln ruht die waldbewachsene Stirne des Hertensteins. Alles, was hier die Kunst zur Verschönerung der Natur getan hat, besteht in einem acht Fuss breiten, mit Sand bestreuten und mit Pappeln eingefassten Gang, einer Linde am Ende desselben, einigen andern hier und da gepflanzten Bäumen, nebst wenigen Bänken und einer Kegelbahn.22

      Vor 25 Jahren liess Herr Oberst Burkhard aus dem Kirschgarten von Basel, der ein vorzügliches Talent zu einfachen und geschmackvollen Gartenanlagen besass und die Landökonomie aus dem Grunde verstand, auf eigene Kosten die Allee breiter machen, die Pappeln und einiges Buschwerk hinpflanzen, das Gesträuch, wo es nötig war, aushauen und reinigen, den ganzen Platz verebnen und überall Bänke hinsetzen. Er gab auch Anleitung, wie das ganze grosse Gut, ohne den Ertrag desselben zu vermindern und ohne bedeutenden Aufwand, in einen reizenden Park hätte umgeschaffen werden können. Allein aus den nämlichen Gründen, welche alle Verbesserungen im Hinterhofe selbst erschweren oder unmöglich machen, kam auch davon nichts zustande und ward Herrn Burkhards kleine Schöpfung fürs allgemeine Beste nicht gehörig unterhalten. Wenn Bänke abgehen oder gestohlen werden, was über den Winter oft geschieht, müssen die Kurgäste, welche gern im Grünen sitzen, etwas Geld zusammenschiessen, um auf den Stellen, die sich vorzüglich dazu eignen, ein paar Bretter flüchtig auf Pfähle nageln zu lassen, welche schon im nächstfolgenden Sommer meistens wieder verschwunden sind.

      Wenn nicht gar zu viele Spaziergänger zusammentreffen, findet man auf der Matte, so klein sie ist, Raum genug nebeneinander. Bei gutem Wetter ist gewöhnlich gegen Mittag, an Sonntagen in grösserer Zahl die schöne Welt hier versammelt. Man kann auf und nieder gehend sich freier als im Zimmer mit seinen Bekannten unterhalten. Man mustert die Neuangekommenen, merkt sich die Gesichter, auf welchen der Blick am liebsten verweilen mag, und knüpft manche Bekanntschaft an, die in der Folge bedeutend werden kann.

      In gänzlicher Ermangelung jedes andern Vereinigungspunktes trifft auch gegen Abend wieder ein Teil der Gesellschaft hier zusammen. Schon in den ältesten Zeiten war die Matte der Ort, wo die Badgäste sich vorzugsweise versammelten, zusammen speisten, pokalierten und sich mit mancherlei Spielen ergötzten. So beschränkt auch der Platz ist, so wurden dennoch Feste hier gefeiert, die wir in unseren Tagen nur noch dem Namen nach kennen. Gesandte fremder Mächte, besonders der Krone Frankreichs, die wegen der Eidgenössischen Tagsatzungen den Sommer


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