Wenn ich denn laufe, dann laufe ich. Norbert Schläbitz
und meine Beine sackten weg, fühlten sich butterweich an. Da ich manchmal zur Ohnmacht neige nach Verletzungen oder Körpereingriffen generell, sah ich eine solche schon auf mich zukommen. Ganz seltsam schummerig wurde mir zumute.
Das mit der Ohnmacht ist eine ganz blöde Angewohnheit von mir, mehrfach schon ist mir das widerfahren. Einmal, als ich während des Studiums einem Job am Fließband nachging und mir eine Wäschetrommel (ich baute Waschmaschinen zusammen) das Daumenfleisch spaltete, das war das erste Mal. Ich schaute mir den blutenden, nicht schön anzuschauenden Daumen an, und dann weiß ich nur noch, dass mir jemand ständig ins Gesicht schlug und in mir sich alles sträubte, „zurückzukommen“. Ich wollte bleiben, wo ich war, wo immer das auch war. Diese schwache Ahnung, bleiben zu wollen, wo ich war, daran erinnere ich mich noch, sie ist mir wie eingeschrieben in mein Bewusstsein. „Sie haben sich Ihren Daumen angesehen, und dann sind Sie langsam, gegen den Stahlpfeiler gelehnt, zu Boden gesunken“, so sprach der Vorarbeiter zu mir, der das Ganze beobachtet hatte. Ihm hatte ich auch die Ohrfeigen zu verdanken.
Das zweite Mal bin ich in Ohnmacht gefallen bei meiner Hausärztin, die mir vor einer mehrmonatigen Weltreise prophylaktisch mehrere Impfungen gab und einige Spritzen in den nackten Po setzte. Ich kann Spritzen nicht ausstehen. Den ersten Stich in den Po habe ich ja noch ganz mannhaft männlich – wie ein Held sozusagen – hingenommen, bei der zweiten Spritze aber bekam ich wieder diese Fallsucht. Abermals setzte es reichlich Ohrfeigen, wieder das Gefühl, bleiben zu wollen, wo ich gerade war (wo immer das auch wieder war), und als ich aufwachte, sah ich über mir meine Ärztin und satte drei oder vier Arzthelferinnen, die neugierig, aufgeregt, besorgt oder sonstwie (belustigt gar?) schauten. Und ich lag da am Boden mit heruntergelassenen Hosen, entblößt auf alle Fälle mit all den schönen Dingen, die ich Frau so bieten kann. Nur jetzt passte es so grad gar nicht. Kaum zu mir gekommen, schwindelig noch und doch von dem peinlichen Gefühl eines „Oh nee, muss das jetzt sein?“ war ich beseelt. Überdies lag ich in einem Scherbenmeer, da ich kopfüber in einen Hängeschrank mit Glastüren gestürzt war. Nun gut. Ich überstand auch dies.
Auch Zahnärzte haben an mir ihre Kunst, zu ohrfeigen, schon hinlänglich geübt. Blut abnehmen – o là là – ist nur mit Tricks an mir möglich, ansonsten ... Lassen wir das. Ich denke, es ist soweit klar geworden: Mit Ohnmachten kenne ich mich aus.
Wieder beschlich mich also das Gefühl, hinüber sinken zu wollen, und mit Macht stemmte ich mich dagegen. Die Mutter registrierte, wie ich fahl im Gesicht wurde, und mahnte besorgt: „Kippen Sie mir bloß nicht weg.“ Die Tochter holte mir was Kaltes zu trinken, während die Mutter mir die Wunde desinfizierte und verband. Im Hintergrund bellte der Hund im Hause, getrennt von mir durch eine bloße Zimmertür. Der irrationale Gedankengang eines „Hoffentlich hält die“ schoss mir durch den Kopf. Währenddessen, wie schon unterwegs, erzählte sie mir – Ablenkung tat Not und gut –, dass sie den Hund erst seit drei Tagen besäßen. Sie hätten ihn aus dem Tierheim geholt, und sie hätte um diese Reaktion nicht gewusst. Es täte ihr so leid. Auch hätte sie ihn ja an der Leine gehabt, aber seine Kraft doch sehr unterschätzt; er hätte sich losgerissen, ihr die Leine glatt durch die Hände gezogen. Und wie zum Beleg zeigte sie mir ihre geöffneten Hände. In der Tat wiesen einige Finger Brandblasen auf, durch die die Leine beim Angriff geschnellt war. Es wäre ihr nun klar geworden, dass er zu groß und stark sei. Sie könne sich nicht mehr vorstellen, dass sie ihre Tochter den Hund alleine ausführen ließe. Schon ihr war es schwer gefallen, ihn zu halten. Ihrer Tochter wäre das völlig unmöglich. Auch schwang latent die Angst in ihren Worten mit, dass Hund sich womöglich gegen Leinenhalter würde wenden wollen. Sie zog den Schluss: Der Hund muss weg, zurück ins Tierheim. Ihr Mann sollte ihn am kommenden Tag zurückbringen.
Und dann bat sie mich, doch von einer Anzeige abzusehen, sie könne verstehen, dass mir danach der Sinn stünde, aber dieser Hund hätte in der Vergangenheit schon mal jemand angefallen und gebissen, wie sie vom Tierheim wusste. Ein besonderes Training hätte eigentlich Abhilfe leisten sollen. Und sie fürchtete um das Wohl und Leben des Hundes bei einer offiziellen Anzeige wegen des erneuten Ausfalls. Vielleicht könne man ihn aber so durch ein weiterführendes spezielles Training retten. Wer mich kennt, weiß: Ich mag Tiere, ich mag auch Hunde (nur eben keine frei rumlaufenden, und schon gar keine unerzogenen). Und da ich Tiere mag, habe ich von einer Anzeige abgesehen. Mit meinem zerfetzten Hemd und verbundenen Oberkörper habe ich mich dann verabschiedet und noch am gleichen Tag einen Arzt aufgesucht zwecks Impfung, Behandlung und fotografischer Dokumentation der Wunde.
Im Spiegel sah ich dann später, dass sich das komplette Hundegebiss – Ober- und Unterkiefer – in meinen Rücken eingefräst hatte, wobei das noch sehr nett formuliert von mir ist – wie ich finde. Den Marathon bin ich dann doch gelaufen und angekommen – nach der verletzungsbedingten Trainingspause – in einer gar nicht mal so schlechten Zeit. Langsam verblassen die Narben im Rücken, aber die Erinnerung bleibt wach. Und klar geworden dürfte sein: Gut erzogene – und besser noch – an der Leine geführte Hunde sind mir eine echte Freude. Alles andere birgt die Gefahr für eines Läufers echtes Hundeleben. Ich mags einfach nicht, wenn Hunde mit mir spielen und manchmal auch noch mehr wollen ...
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