Wenn ich denn laufe, dann laufe ich. Norbert Schläbitz

Wenn ich denn laufe, dann laufe ich - Norbert Schläbitz


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Läufers Hundeleben.

      Begegnungen der unerfreulichen Art

      Was ich beim Laufen so gar nicht schätze, ist die Begegnung mit Hunden. Leider ist sie unvermeidlich. Im Grunde habe ich nichts gegen Hunde. Ich mag Tiere und so auch Hunde, auch wenn ich bei der Wahl zwischen Hund oder Katze immer mich der Katze zuwenden würde. Aber Hunde beim Laufen, das ist eine Strafe. Da macht es auch keinen Unterschied, ob sie groß oder klein sind. Ein Ärgernis werden können sie oft in allen Größenklassen. Ein laufender Läufer muss bei einem Hund offenkundig alle Instinkte wecken und im laufenden Läufer den willkommenen Spielkameraden, die Beute, potentielle Nahrung oder was auch immer erkennen lassen.

      Wenn ich schon von weitem einen frei laufenden Hund sehe und weiß, dass die Begegnung unvermeidlich ist, fühle ich mich unwohl und wappne mich für das, was da wohl kommen mag. Das Unwohlsein verstärkt sich, wenn Hund mich entdeckt und mit wedelndem Schwanz oder ohne – ganz gleich – auf mich, bellend mit schlackernden Ohren, zustürmt. Wie sehr schätze ich da eine gute Erziehung, wenn Herrchen, wahlweise Frauchen, Kommandos bellt und Hund gehorcht, er reumütig zurückkehrt und sich an die Seite von Herrchen, wahlweise Frauchen, gesellt. Ich bedanke mich dann immer artig, wenn wir einander passieren. Mancher, der seinen Hund kennt, führt auch Hunde-Leckerlis mit sich und füttert seinen Hund solange damit, bis er prall ist und ich wieder außer Reichweite bin. Wieder andere, ich laufe ja oft am Elbe-Seiten-Kanal entlang, greifen sich irgendein Stück Holz, werfen dies in den Kanal und Hund sofort hinterher, der Beute nach. Auch das schätze ich, wenn der Hund seine Beute aus dem Wasser fischt und nicht mich. Wer seines Hundes sich nicht sicher ist, nimmt diesen zuweilen auch an die Leine, eine Maßnahme, die mir Sicherheit verspricht. Mein Dank ist ihnen allen sicher. Neben dem hier im Norden obligatorischen „Moin“ werfe ich noch ein „Vielen Dank“ hinterher. Auch Herrchen, Frauchen, wollen ja ermuntert werden, sich dies zu lobende Verhalten auch künftig zu erhalten.

      Aber dann gibt es auch jene, ich höre sie rufen, nur Hund wohl nicht. Während sie rufen „Sitz“, „Platz“, „Komm sofort hierher“, „Bei Fuß“, tobt Hund schon auf mich zu. Da weiß ich dann, es ist mal wieder so weit. Je nach dem, wie groß Hund ist, bleibe ich entweder stehen oder versuche Hund zu ignorieren, was aber zugegebenermaßen schwer ist, wenn um die Füße herum was wuselt, bellt, springt ...

      Wenn ich trainiere, bin ich in Bewegung, ich laufe, das ist ja auch der Sinn des Ganzen. Wenn ich nun schon 20 km in den Beinen habe und stehen bleiben muss wegen Wusel-, Springkönig Hund, ist das eine für mich höchst unwillkommene Angelegenheit. Das Stehenbleiben bringt mich aus dem Rhythmus, vergegenwärtigt mich zugleich der Anstrengung, wie ich sie beim Laufen selbst nicht vergleichbar spüre. Schlimmer noch ist das Wiederanlaufen. Nach 20 km oder mehr mag der Körper nicht mehr unbedingt. Er möchte ruhen, es sich bequem machen. Über das Training will ich ihn ja schulen, solche Unleidlichkeiten als solche nicht mehr wahrzunehmen. Jetzt aber stehe ich einmal, während Hund mich bellend umtanzt, und die ganze Müdigkeit in den Beinen macht sich mit Macht bemerkbar. Ich empfinde ein solches Wiederanlaufen als quälend unangenehm. Diesem Umstand ist aber nicht zu entgehen, wenn großer Hund auf mich zurollt.

      Das Dämlichste, was dann noch passieren kann – es setzt dem Ganzen sozusagen die Krone auf –, ist der Zuruf: „Keine Angst, der will nur spielen!“ Ich gestehe, da rutscht mir manchmal auch ein unfreundliches Wort heraus. Einmal, als mich so ein kleiner Kläffer umturnte, ansprang, jeder Versuch weiterzulaufen fehlschlug und die Hundebesitzerin jenen bei Läufern so ungemein beliebten, fast möchte man sagen, unvermeidlichen Satz zum Besten gab, sagte ich ärgerlich: „Aber vielleicht will ich ja gar nicht spielen.“ Das erzeugte gleich Unverständnis bei der Dame, weil ich diese so harmlose unaufgeforderte Spielaufforderung ihres Lieblings so schnöde zurückgewiesen hatte. „Vielleicht will ich ja auch erst gefragt werden, ob ich mitspielen möchte.“ Auch damit konnte ich nicht landen, während der Hund, der nur spielen wollte, mich langsam mit seinen Pfötchen zuschmutzte. Man glaube nicht, dass das ein Gegenüber immer interessiert. Mittlerweile war meine Laufhose von dem unermüdlich Spielenden doch ziemlich eingedreckt, ohne dass auch nur der Gedanke einer Entschuldigung sich im Kopf von Frauchen formulierte. An ein Weiterlaufen war nicht zu denken, das machte das Hündchen gänzlich wild. Schließlich, ich gebe zu, ich war ziemlich verärgert, sagte ich mit erhobener Stimme Sätze, die dann doch einen gewissen Eindruck hinterließen, vielleicht ob meiner Stimmgewalt, vielleicht aber auch ob des Inhalts, der sich dann doch im denkenden Teil des anderen, Gehirn genannt, einschlich, gar niederschlug? Ich sagte also (zur Erinnerung mit lauter erboster Stimme): „Ich stelle mir gerade vor, ich sehe Sie von weitem und tobe rennend und wild rufend auf Sie zu, wedle noch dazu meine Arme. Wenn ich Sie dann erreicht habe, springe ich um Sie herum, und nicht nur das: Ich zupfe an Ihnen herum, während ich so um Sie herumtolle. Sollten Sie sich das verbitten, ärgerlich oder gar ängstlich werden, sage ich mit treuem Augenaufschlag: ‚Ich weiß gar nicht was Sie wollen, ich will doch nur spielen.‘“ Für dieses Beispiel fand sie keine Worte mehr. Wir verließen einander ohne Konsens, ich mit schmutziger Hose und saumbeschmutzten Hemd, sie mit ihrem Hund endlich an der Leine, den es zerrend weiter in meine Richtung trieb, nur die Leine ließ ihn nicht. Geht doch! Ich mag das nicht, laufende Hunde, die mit mir spielen wollen. Aber noch viel weniger mag ich Frauchen (wahlweise Herrchen), die das nicht einsehen mögen.

      Ich mag das seitdem umso weniger, als ich mich nach einer Meniskusoperation nebst Pause mühsam wieder in leidliche Form gebracht hatte und ich zwei Tage vor meinem ersehnten Start beim Marathon in Löningen eine letzte kurze 10-km-Einheit absolvierte. Ich lief mal wieder meine Standard-Lieblingsstrecke – zur Erinnerung – am Kanal entlang, als ich – bekanntes Muster – von weitem Frau und Tochter, wie ich später erfuhr, nebst einem großen schwarzen Hund sah, dessen Rasse mir undefinierbar schien. Irgendwie hatte er was von einem Golden Retriever, nur schwarz war er, konnte also ein solcher nicht sein. Zugleich steckte noch was von einem Riesenschnauzer in ihm – oder auch nicht. Auf alle Fälle kräftig wirkte er. Das war ihm fraglos anzusehen. Während ich so auf das Trio zulief, nahm ich schon mal das Tempo ein wenig heraus und suchte einen möglichst großen Abstand zwischen mir und den vier Pfoten herbeizuführen. Die beiden anderen hatte ich als harmlos eingestuft. Auch die Dame sah mich, nahm ihren Hund beiseite und dann ... fiel der Golden Retriever, der keiner war, mich an, als ich das Triumvirat schon fast passiert hatte, und biss mir leidenschaftlich stark in den Rücken. Keine Frage: das schmerzte sehr!

      Das war nicht mein erster Hundebiss, den ich erleiden musste, aber fraglos der kräftigste von allen. Ich schrie auf, während die Dame versuchte, ihren Hund an der Leine zurückzuzerren. Zugleich war ich außer mir und fluchte, sie solle dieses Scheißvieh festhalten. Wer sich an dem Ausdruck „Scheißvieh“ stört, möge sich doch bitte auch einmal – harmloser Vorschlag nur – einmal beißen lassen und dann nach Worten der liebevollen Verständigung suchen, sich einfühlen in die Seele des Beißenden und freundliche Worte des Verstehens formulieren: Der Hund kann nix dafür, dass er beißt. Schuld haben Herrchen und Frauchen. Nun gut, ich hatte weder Verständnis noch entschuldigende Worte. Der Hund, zu dem mir das ausgesprochen originelle Kompositum „Scheißvieh“ eingefallen war, war kaum zu halten, und ich fürchtete, er würde sich abermals losreißen. Mir sind seine fletschenden Zähne, sein Knurren gedanklich noch sehr präsent. Das Tier war außer sich. Nicht minder aber ich. Ans Weiterlaufen verschwendete ich keinen Gedanken, mein Urteil wäre gesprochen gewesen und weitere Bisse wären die logische Folge, natürliche Instinkte, die mich endgültig zum Opfer gestempelt und den Trieb zum Erlegen der Beute nur befördert hätten. Zwar hing Hund an Leine, aber ob Dame Hund dann noch hätte halten können, da hatte ich so meine Zweifel. Außerdem spürte ich, wie mir das Blut den Rücken runter floss. Und nach dem Abebben des ersten Schocks setzten auch die Schmerzen ein. Die Dame und ihre Tochter hielten den Hund, so gut sie eben konnten. Und sie hatten Schwierigkeiten dabei. Das war offenkundig.

      Ich lamentierte noch herum, ich würde die Polizei holen, während mir von der anderen Seite die Entschuldigungen nur so entgegenschallten. Endlich beruhigten wir uns alle ein wenig, selbst der Hund, nur sein Zähnefletschen, dass er partout nicht bleiben lassen wollte, fand nicht ganz meine Sympathie. Da wir alle im gleichen Ort wohnten, uns zwar nicht kannten und ich meine Idee mit der Polizei noch nicht verworfen hatte, begleitete ich das Trio nach Hause. Ein Handy führte nämlich keiner von uns mit sich. Zum Telefonieren hatte die Dame ihr Festnetz angeboten.


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