Beruf Bäuerin. Susann Bosshard-Kälin
solche aus dem Berggebiet, Bio-Bäuerinnen, mit kleinen oder erwachsenen Kindern, die eigene Produkte im Hofladen verkaufen und Direktvermarktung betreiben, Agro-Tourismus anbieten oder ausgefallene Tiere züchten, Frauen, die geschieden sind – oder heute im Ausland leben.
Wir standen vor der Qual der Wahl, denn über 4000 Frauen haben im Verlaufe von 69 Jahren im Kloster Fahr den zwanzigwöchigen Kurs besucht.
Der Schweizerische Bauernverband definierte vor Jahresfrist in seinem Leitbild die Bäuerinnen als «naturnah, unternehmerisch und regional verwurzelt» – diese drei Begriffe treffen fast lückenlos auch auf die dreizehn Porträtierten zu.
Mein Oral-History-Projekt führte mich zu spannenden Frauen. Die Gespräche mit ihnen waren offen und sehr herzlich. Sie schenkten mir ihr Vertrauen. So entstanden berührende und bewegende Lebensgeschichten von engagierten Bäuerinnen, die ich bewundere; einerseits für ihre grosse Arbeitsleistung und ihr oft selbstloses Engagement für Familie und Betrieb, andererseits für ihre positive und lebensbejahende Einstellung – trotz allem. Es sind starke, eigenständige Frauen, die sich für die Landwirtschaft einsetzen und Zuversicht ausstrahlen … in einer heilen harten Welt.
Zwei Bäuerinnen, mit denen ich Gespräche geführt habe, sind im Buch nicht vertreten. Sie zogen ihre Texte vor Drucklegung leider zurück. Während sich bei der einen ihr Umfeld am Schluss stark in die Texte einmischte, kamen bei der anderen, die vor zwei Jahren ihren Mann auf tragische Weise verloren hat, alle Gefühle wieder hoch. Es war ihr einfach zu viel, als sie schwarz auf weiss ihre eigene Geschichte las; sie wollte sie nicht mehr veröffentlicht sehen. Dies gilt es zu akzeptieren.
Nach all den Begegnungen mit den Frauen darf ich sagen: Schweizer Bäuerinnen haben etwas zu sagen. Und sie verdienen es, dass sie gehört werden und dass sie für ihr Engagement und ihre Arbeit Verständnis, ja Anerkennung bekommen.
Susann Bosshard-Kälin
Egg bei Einsiedeln, Anfang 2014
Berta
Berta ist 1928 geboren und lebt in Murten FR.
«Daheim helfen und zu meinen zehn Geschwistern schauen, das war für mich absolut selbstverständlich. Das habe ich nie hinterfragt. Weshalb auch? Wir Mädchen hatten keine anderen Chancen.»
Berta möchte zum Erzählen am liebsten heim auf ihren Bauernhof. Nach Franex – «ans Ende der Welt», wie ihre Geschwister sagen. Ins Französisch-Freiburgische, wo sie 56 Jahre lang mit der Familie lebte und wirkte. Bis sie vor zwei Jahren mit ihrem Mann Niklaus in die Résidence Beaulieu ins Städtchen Murten umzog. In die Seniorenresidenz, in Betreutes Wohnen, nicht ins Altersheim, wohlverstanden! 30 Kilometer Autofahrt sind es bis Murist. Ab der Dorfmitte führt eine kaum befahrene Nebenstrasse in eine einsame Hügellandschaft – vorbei an Wald, Wiesen und einer Holunderplantage. 56 Einwohner zählte der Weiler Franex im Broyetal im Jahr 1950 – fast 20 Prozent davon machte die Familie von Berta aus. Heute leben noch etwa 40 Einwohner hier. Welch ein Glück für das Paar, dass ihr Sohn Othmar das Erbe übernommen hat und mit seiner Familie da draussen auf dem Hof arbeitet und lebt!
Mein Geburtshaus ist abgebrannt, als ich vier war. Mitten in der Nacht. Mehr als Menschenleben war nicht zu retten. Unser Knecht hatte den Hof angezündet, kam uns aber rufen, sonst wären wir alle verbrannt. Das kam erst sieben Jahre später aus.
Ich bin am 27. August 1928 auf dem «Hiltihof» in Hohenrain im Luzerner Seetal auf einem einfachen Bauernhof geboren. Wir waren elf Kinder daheim – sechs Buben und fünf Mädchen –, ich bin das älteste der Mädchen. Denke ich an meine Kindheit zurück, erinnere ich mich an eiskalte Winter. Geheizt waren nur die Küche und die Stube. Ich habe unendlich viel gefroren. Wir trugen im Winter ungefütterte, genagelte Holzschuhe, die wir mit Zeitungspapier ausstopften. Hosen waren für Mädchen strikte verboten. Als die Tochter des Lehrers eines Sonntags mit Hosen in die Messe kam, schickte der Pfarrer sie schnurstracks wieder heim. Handgestrickte Strümpfe mit Gschtältli und Gummiträgern und wadenlange, handgestrickte Unterziehhosen unter dem langen Rock – das war unsere Wintergarnitur. Elektrizität hatten wir im Haus, aber natürlich noch keine Waschmaschine. Das wäre mit einer so riesigen Familie heute undenkbar. Vier-, fünfmal im Jahr kam für die grosse Wäsche, vor allem die Bettwäsche, eine Waschfrau vorbei. Die Dutzenden von Windeln kochte Mutter jahrelang jeden Tag auf dem einfachen Holzherd in einem Häfeli aus.
Kindergarten gab es keinen im Dorf – den hatte ich mit so vielen Geschwistern daheim! Mutter war eine Gschaffige, aber wegen der vielen Schwangerschaften ab und zu krank. Es kam oft vor, dass ich nicht zur Schule konnte, weil ich daheim helfen musste. So verwundert es nicht, dass ich ein Primarschuljahr wiederholen musste.
Die Schule war sowieso ein mühsames Kapitel für mich. Der Lehrer bevorzugte eindeutig die Kinder wohlhabender Eltern, und Tatzen mit Lineal und Rute gehörten zum Schulalltag.
Dann doch viel lieber daheim schaffen als die Schulbank drücken: Kühe einschirren beherrschte ich bald aus dem Effeff. Wir haben daheim mit den Kühen geackert, mit solchen, die die Kommandos gut kannten und friedlich waren. Vater liess mich bald auch sägäzän, also mit der Sense Gras schneiden. Auch vor der Stallarbeit drückte ich mich nie. Wir hatten es trotz viel Arbeit gemütlich in unserer Familie. An die Weihnachtszeit daheim habe ich besonders gute Erinnerungen. Wir Kinder verkleideten uns und führten zusammen Krippenspiele auf. Das war immer ein grosser Spass. Wie oft war ich die Maria, der Josef oder später dann ein Engel! So lehrten wir die kleinen Geschwister die Weihnachtsgeschichte. Meine drei jüngsten Geschwister sind alles Buben. Und dabei hätte ich mir doch unbedingt noch eine kleine Schwester gewünscht. So musste der Tonäli mit seinen blonden Locken als Mädchen herhalten. Wir zogen ihm Röckli an, und er liess es ohne Geschrei mit sich machen. Grossvater wohnte mit uns zusammen; er spielte Handorgel und lehrte uns tanzen.
Darüber, dass Mutter immer wieder einen dicken Bauch hatte und daraufhin wieder ein Kind bekam, redete man natürlich nicht. Sie muss auch etliche Fehlgeburten gehabt haben – ich erinnere mich, dass in der Küche einmal alles voll Blut war. Gwundrig war ich natürlich schon. Eines Tages, ich war etwa elf Jahre alt, erhaschte ich Brocken eines Gesprächs meiner Mutter mit unserem Küchenmädchen. Sie waren in der Stube, und Mutter erklärte, wie ich auf die Welt gekommen war. Ich sass atemlos und mucksmäuschenstill auf dem Kachelofen und vernahm, dass ich kopfvoran gekommen sei. Was für ein Schreck! Mir hatte Mutter doch immer erzählt, ein Engel würde Kinder durchs Fenster hereinbringen. Und nun war ich tatsächlich kopfvoran in die Stube geflogen! Ich muss völlig verdattert dagesessen haben, denn Mutter erwischte mich und ergänzte nur noch: «Ja, du bist in meinem Bauch gewachsen.» Wie ich da hineingekommen war, habe ich dann irgendwo anders erfahren!
Nach den sieben obligatorischen Primarschuljahren liebäugelte ich damit, Schneiderin zu werden. Aber ich wurde nicht gefragt, was ich möchte, es hiess nur: «Du brauchst keinen Beruf zu lernen. Du musst einfach haushalten können.» Daheim helfen und zu den zehn Geschwistern schauen, das war für mich absolut selbstverständlich. Das habe ich nie hinterfragt. Weshalb auch? Wir Mädchen hatten keine Chancen.
Mit 15 Jahren kam ich ins «Kreuz» nach Hohenrain. Der neue Wirt hatte in den Grossfamilien der Gegend nach einer billigen Arbeitskraft für seine Küche gefragt. 50 Franken bekam ich im Monat, und Kost und Logis. Vater war grosszügig: «Wenn du gut zum Geld schaust, kannst du es behalten.» Das war aussergewöhnlich. Um halb sechs Uhr stand ich jeweils auf, um die Wirtschaft zu putzen, und bis abends kam ich kaum zur Ruhe. Aber ich lernte kochen, schöne Platten und «Restbrot» machen – Teller mit Schinken, Gurken und Eiern. Die Wirtsleute übergaben mir Verantwortung, bald war ich auch für den ganzen Garten zuständig. Die drei Jahre wurden zu einer wichtigen Erfahrung für mich.
Mit 18 lernte ich im «Kreuz» meinen Mann kennen. Er war im Hof nebenan für die Pferde angestellt und musste jeden Tag mit dem Gespann am Wirtshaus vorbeifahren. Der Niklaus kam immer öfter ins «Kreuz». Der Wirt sah unsere aufkeimende Liebe mit Argwohn. Als wir einmal ein Tänzli machen wollten, verbot er meinem Freund, das Radio und den Plattenspieler anzustellen. Kurz darauf hing mitten im Dorf ein Plakat mit der Aufschrift: Radio mit Plattenspieler zu verkaufen! Gezeichnet: der Kreuz-Wirt. Niklaus musste wegen dieses Scherzes nach Hochdorf auf den Polizeiposten.