Beruf Bäuerin. Susann Bosshard-Kälin
wieder schwanger. Was war ich naiv, damals! Wenn ich merkte, dass ich wieder schwanger war, weinte ich. Als ich einem Pater mein Leid klagte, war seine Antwort: «Jedes Kind bringt Segen ins Haus.» Das sollte mein Trost sein. Vermehret euch! Die Pfarrer haben gut reden … «Lieber ein Kind auf dem Kissen als auf dem Gewissen.»
Ich war oft gestresst und überfordert. Geholfen hat mir niemand. Meine Familie war ja weit weg. Ich musste lernen, mir selber zu helfen. Ich weinte oft in meinem Leben, aber nie vor den Kindern. Mein Glück ist, dass ich eine gesunde Frau bin. Aber müde war ich trotzdem immer. Vier- oder fünfmal bekam ich von der Pro Juventute für wenige Wochen eine Familienhilfe. Einmal schenkte mir der Schweizerische Frauenbund drei Wochen Gratisferien in Gersau. Etwas erholen konnte ich mich beim Stillen. Dabei konnte ich mich hinlegen oder hinsetzen.
Elf Kinder habe ich geboren, neun leben noch. Unser sechstes Kind, der Seppli, starb mit drei Jahren an echtem Krupp. Erst mussten sie ihm einen Luftröhrenschnitt machen, und dann hatte er noch eine doppelte Lungenentzündung. Aus meinem Hochzeitskleid nähte ich für ihn das Sterbekleid. Ich hatte keine Zeit zum Trauern, hab seinen frühen Tod irgendwie überlebt. Mit der grossen Familie musste es weitergehen. Unser neuntes Kind, Alwyn, kam 1962 mit einem schweren Herzfehler auf die Welt und lebte nur dreieinhalb Monate. Er war nach seiner Geburt schon gelähmt. Diese unsicheren Monate mit dem behinderten Baby waren die schwierigsten in meinem Leben. Ich wusste nie, ob er am nächsten Morgen noch leben würde. Die beiden Buben sind auf dem Friedhof von Franex beerdigt.
Jeden Tag hatte ich elf Leute am Tisch. Nach der obligatorischen Schulzeit musste jedes der Kinder für ein Jahr zu Hause mithelfen – quasi den Knecht machen. Erst dann durften sie eine Lehre anfangen. Sie mussten auf vieles verzichten und teilen lernen. Aber das hat ihnen sicher nicht geschadet. Glücklicherweise sind alle unsere Kinder gut geraten. Und sie haben davon profitiert, dass sie zweisprachig aufgewachsen sind. Alle haben einen guten Beruf, gute Arbeit und zahlen jetzt unsere AHV. Mit den Grosskindern umfasst unsere Familie über 30 Personen.
Angefangen haben mein Mann und ich in Franex mit 16 Kühen und zehn Hektaren Land. Nach und nach gingen zwei Liegenschaften in der Umgebung ein, und Niklaus kaufte wieder Land dazu – am Schluss hatten wir 50 Hektaren mit dem Pachtland zum Bewirtschaften. Als die Kinder grösser wurden, mussten sie alle kochen lernen, denn ich war oft kurz vor zwölf noch draussen am Arbeiten mit meinem Mann. Wenigstens hatte ich keine Schwiegereltern auf dem Hof, die mich drangsalierten.
Aber es war hart, vor allem in den ersten Jahren. Die Berge habe ich grüslig vermisst. Erst nach meinem 50. Geburtstag trat ich in den Damenturnverein im nächsten Dorf ein, war während zehn Jahren und trotz Sprachschwierigkeiten sogar im Vorstand. Vorher hatte ich nie die Möglichkeit, etwas für mich zu machen. Hier draussen, weit ab vom Schuss, waren wir Selbstversorger. Wenn ich ab und zu einmal einen Grosseinkauf machen musste, fuhr ich mit dem Traktor die acht Kilometer nach Estavayer zum nächsten grossen Laden. Zu jener Zeit hatten ja wenige hier in der Gegend ein Auto, und ich fiel kaum auf. Mit 30 Jahren machte ich das Permis, den Führerschein, und so wurde vieles einfacher.
Ich war immer vollwertige Partnerin meines Mannes, aber einen Lohn bekam ich nicht. Ich hatte nie eigenes Geld. Wenn ich wieder 100 Franken zum Einkaufen brauchte, sagte mein Mann: «Schon wieder? Ich hab dir doch erst welches gegeben!»
Ich wollte einfach keine Diskussionen mehr und suchte nach einem Nebenerwerb. In einer Zeitung fand ich den Hinweis, dass Ricola Holunderblüten und verschiedene Heilpflanzen wie Schafgarben für die Zeltli-Produktion suche. So fing ich an, für Ricola kiloweise Holunderblüten von den Sträuchern in der Gegend zu sammeln, und brachte sie, grün oder getrocknet, nach Laufen ins Baselbiet. Später pflanzten wir sogar eine eigene Plantage, weitab von den Abgasen der Autobahn. Mit dem Blütengeld kaufte ich mir einen Feldstecher und einen Fotoapparat, und ich lud Niklaus sogar zu zwei Reisen nach Brasilien ein, zu unserem Sohn, der dorthin ausgewandert war. In den 30 Holunderjahren habe ich sicher für viele tausend Franken Blüten verkauft.
Ich hatte ein strenges Leben, aber ich lache gern. Ich bin eine fröhliche Natur, eine humorvolle Person und habe gelernt loszulassen. Wenn etwas zu Ende ist – tant pis! Das hat mir so vieles erleichtert. Schliesslich auch den Auszug vor zwei Jahren, weg von unserem Hof in die Seniorenresidenz nach Murten. Meinem Mann hat es fast das Herz gebrochen. Niklaus ist 89 und nicht mehr so gut zwäg. Die Folgen der Hirnhautentzündung, die er nach einem Zeckenbiss mit 80 Jahren erlitten hat, machen ihm sehr zu schaffen. Seither ist er nicht mehr der Gleiche.
Nach fast sechs Jahrzehnten nun in einer Wohnung zu leben, war schon eine Umstellung. Aber für mich ist es einfacher. Ich bin froh, einen praktischen Haushalt zu haben und wieder deutsch reden zu können. Es hat zwei, drei Frauen in der Siedlung, die kommen, umarmen mich und sagen: «Wenn wir dich nicht hätten!» Das tut mir so gut. Ich habe jetzt endlich etwas Gesellschaft und kann aus mir heraus.
Ich finde es schon etwas zu luxuriös, wie wir jetzt leben. Aber unsere Kinder sagen: «Ihr verdient es. Ihr habt genug gearbeitet. Jetzt lasst es euch gutgehen.» Den Garten vermisse ich zwar ab und zu. Aber wir sind doch immer mal wieder zu Gast auf unserem Hof in Franex, und ich habe ein paar Blumentöpfe mitgenommen und Schnittsalat darin gesät.
Und wenn ich mir jetzt noch etwas wünschen dürfte, wären es Ferien. Vielleicht auf der Rigi oder sonst auf einem Berg.
Ganz für mich allein.
Ruth
Ruth Haug-Eggenberger ist 1952 geboren und lebt in Weiningen ZH.
«Bäuerin wollte ich nicht unbedingt werden; das hat sich ergeben mit dem Mann, den ich geheiratet habe.»
So will es die Generationen-Tradition in der Familie: Vor wenigen Tagen haben sie ihren gesamten Hausrat gezügelt, von der Fünfeinhalb- in die Dreizimmerwohnung. Ruth Haug und ihr Mann Hanspeter machen ihrem Sohn Peter und seiner Familie in der geräumigeren Wohnung Platz. Die Grosseltern sind nach 30 Jahren in die Räume zurückgekehrt, in denen für Ruth Haug nach der Hochzeit das bäuerliche Leben begonnen hatte. «Kommen Sie doch bitte herauf. Sie sind unser erster Gast im neuen Zuhause.» Im Eingang des währschaften Bauernhauses riecht es nach vergorenen Trauben. Der Weinkeller ist im Untergeschoss auf der ganzen Länge des Gebäudes eingerichtet. Bei der Treppe zum Wohnbereich befindet sich die Triage von Werk- und Hauskleidung, Stiefeln und Finken. Noch wirkt das Stöckli im ersten Stock etwas improvisiert. Die Vorhänge an den Fenstern würden fehlen, meint die Hausherrin entschuldigend, und der Küchentisch sei jetzt eben auch wieder kleiner bemessen als früher, als die fünfköpfige Familie mitsamt dem Lehrling beim Essen sass. Ruth Haug schenkt kalten Tee ein und nimmt zwischendurch noch schnell eine Weinbestellung übers Telefon auf. Das fällt ihr bedeutend leichter, als über Persönliches und sich selber zu erzählen.
«Boni» gibt es für die Bauern, wenn sie gutes Wetter haben! Wenn es hagelt, wie Mitte Juli 2011, sind wir Rebbauern und Winzer ohnmächtig, müssen tatenlos zusehen, wie unserer Hände Arbeit in null Komma plötzlich futsch ist. Dabei wäre es ein ausgezeichnetes Weinjahr geworden, das Jahr 2011. Die Reben standen in vollem Laub, mit vielen Trauben an den Stöcken. Ich war immer der Ansicht, hageln würde es nach einem Hitzetag. Weit gefehlt! Es war ein Uhr in der Früh, als eine Front in wenigen Minuten 90 Prozent unseres Ertrags zunichtemachte. Mein Mann und ich sahen uns wortlos an. Was hätte es genützt, wenn wir geheult hätten und verzweifelt gewesen wären? Die Natur hat ihre eigenen Gesetze – und wir sind Teil davon. Das wurde uns in jener Nacht wieder einmal deutlich bewusst.
Ich bin ein eher nüchterner Mensch, eine Realistin, couragiert und nicht ängstlich. Emotionen bringen meist wenig. Es galt, das Beste aus der Situation zu machen und vorwärts zu schauen. Als es um halb sechs Uhr hell wurde, mussten zuerst die Kühe im Stall gemolken werden. Die kennen kein Pardon – und wir nur die Siebentagewoche.
Aber es sah grauenhaft aus im Rebberg, in den völlig zerfetzten Kulturen. Die Weininger hatte es in jener Nacht im Kanton Zürich am stärksten getroffen. Die Rebstöcke mussten in der Folge sorgfältig gespritzt werden, damit die nachwachsenden Blätter gegen Pilzbefall geschützt waren. Von einem ordentlichen Wümmet konnte im Herbst nicht die Rede sein – wir hatten enorm viel zusätzliche Arbeit im Rebberg und rund fünfmal mehr Aufwand mit den wenigen