Beruf Bäuerin. Susann Bosshard-Kälin
Anfang an in getrennten Wohnungen lebten. Wir arbeiteten Seite an Seite, assen aber selten gemeinsam. Das schenkte tagsüber immer wieder etwas Abstand und gab Luft.
Auf dem ehemaligen Hof der Haugs im Dorf hätte es kaum Platz gehabt für zwei Generationen. So haben meine Schwiegereltern in kluger Voraussicht im Jahr vor unserer Hochzeit ausgesiedelt. Durch einen Landabtausch konnten sie im Grünen einen neuen Hof bauen. Das Limmattal entwickelte sich immer mehr zur boomenden Gegend am Stadtrand von Zürich. Ein Bauernbetrieb nach dem anderen verschwand. Heute kann man die Bauernhöfe in den umliegenden Gemeinden bald an einer Hand abzählen. Der Trend ist unaufhaltsam. Das Kulturland wird durch die vielen Wohn- und Industriebauten immer knapper. Einschneidend im wahrsten Sinn des Wortes war der Bau der Nationalstrasse: 40 Hektaren wertvolles Kulturland ging dadurch verloren. Wenigstens heisst der grosse Verkehrsknotenpunkt Limmattaler und nicht Weininger Kreuz. Sonst wären wir jeden Morgen schon in aller Frühe negativ in den Nachrichten!
Bei uns am Tisch wird rege politisiert. Mir gefällt das. Zurzeit ist der Ausbau einer dritten Röhre am Gubrist, dem verkehrstechnischen Nadelöhr Nummer eins in der Schweiz, das grosse Thema. Mein Mann kämpft politisch an vorderster Front gegen das Bundesamt für Strassen, damit unser Dorf statt mit den vorgesehenen 100 Metern mit 270 Metern Lärmschutzmassnahmen geschützt wird. Aber lassen wir die Politik …
Viele Leute erstaunt es, aber wir trinken nicht jeden Tag Wein. Zum Mittagessen schon gar nicht. Wir arbeiten ja mit Maschinen auf dem Hof, da kann man sich nichts erlauben. Oft werde ich gefragt, welches mein Lieblingswein sei. «Jeder», sage ich dann diplomatisch. Immer wieder bauen wir neue Sorten an. Die Planung und alle Details dazu besprechen mein Mann und ich zusammen. Wenn ich mit der Züglete hier in der Wohnung fertig bin, helfe ich ihm nächste Woche auch beim Schneiden der Rebstöcke.
Wir sind hier im Wiesentäli auch Gastgeber. Unsere Gäste kommen gerne zu uns aufs Land raus und schätzen es, den Wein zu trinken, der hier wächst und vor Ort verarbeitet wird. Jeweils am Muttertag sind bis zu 700 Personen bei «Jazz, Brot und Wein» am Hoffest. Im Sommer sind wir am Rebblütenfest im Dorf mit engagiert, und in unserer Remise bewirten wir die Gäste auf Bestellung in der «Wirtschaft zur Goldigä Trubä». Eine Besenbeiz haben wir jedoch nicht. Die müsste regelmässig zu bestimmten Zeiten offen sein, und das könnte ich nicht gewährleisten. Wenn eine Menge Anlässe gleichzeitig stattfinden, komme ich schon ab und zu an meine Grenzen. Letztes Jahr habe ich ein neues Kniegelenk bekommen und war eine Zeitlang ausser Gefecht gesetzt. In solchen Situationen lernt man automatisch, etwas loszulassen und auch einmal Hilfe anzunehmen!
Ich bin mit Herzblut Bäuerin. Aber schon als unsere Kinder klein waren, war es für mich wichtig, eine Aufgabe ausser Haus zu haben, etwa in der Oberstufenschulpflege, als Kassierin der Damenriege oder als Kommissionspräsidentin fürs Jugendturnen. Während Jahren war ich zudem als Vertreterin der Landfrauen im Konsumentinnen-Forum – eine interessante Tätigkeit, die neue Kontakte brachte. Die Ortsvertretung der Zürcher Landfrauen in Weiningen ist meine jetzige Aufgabe. Wir haben noch 50 Mitglieder, darunter viele, die nicht Bäuerinnen sind, sich aber für die Kurse und Angebote der Landfrauen interessieren. Ja, die Zukunft von uns Bäuerinnen ist schwierig vorauszusehen. Eines der Probleme ist, dass Frauen mit guter Ausbildung, die später einen Bauern heiraten, oft in ihrem angestammten Beruf weiterarbeiten möchten. Dadurch haben sie aber weniger Zeit, auf dem Hof mitzuarbeiten. Oft fällt der ausserhäuslichen Tätigkeit der Garten für die Selbstversorgung zum Opfer.
Im letzten Jahr bin ich 60 geworden. Ich hoffe, über das AHV-Alter hinaus auf dem Betrieb weiter tätig sein zu dürfen. Ich bin zufrieden und fühle mich gesund. Vielleicht gibt es für Hanspeter und mich in absehbarer Zeit wieder einmal ein Reisli – es muss ja nicht gleich Amerika oder Australien sein.
Marie-Theres
Marie-Theres Waser-Küttel ist 1956 geboren und lebt in Stans NW.
«Mich bringt fast nichts aus der Ruhe. Das Wetter schon gar nicht – höchstens wenn ich frühmorgens die Schneeketten montieren muss, wirds heikel.»
Ob sie die Umgebung für ihr Porträt selbst bestimmen könne? Am liebsten wäre ihr das St.-Rochus- Chappäli in Oberdorf. In diese historische Kapelle sei sie oft z’Chilä. Auch mit ihren Kindern. Der Ort sei ihr viele Jahre lang eine wichtige Kraftquelle gewesen. Kaum 100 Meter vom Kirchlein weg steht der Bauernhof ihres Ex-Mannes. Der müsse nicht aufs Bild, lieber noch etwas Natur. Nach dem Fotoshooting fährt Marie-Theres Waser-Küttel uns mit dem kleinen, blauen Wagen in ihr neues Zuhause – zufälligerweise wieder bei einer Kapelle, diesmal St. Josef gewidmet. Hier wohnt sie erst seit wenigen Monaten. Ihre geräumige Wohnung hat in alle vier Himmelsrichtungen Fenster. Und die begeisterte Berggängerin sieht den Pilatus, das Stanser- und Buochserhorn, den Bürgenstock, ja sogar Vitznau – ihre alte Heimat.
Letzten September wusste ich: Jetzt brauche ich etwas Eigenes. Zuerst fühlte ich mich etwas zwischen Stuhl und Bank. Die Wohnung in Dallenwil, in der ich mit meinen Söhnen gelebt hatte, kündigte ich. Ohne etwas Neues auf sicher zu haben. Aber ich sprach mir Mut zu: «Du bekommst, was du brauchst!» Im «Nidwaldner-Blitz» stiess ich auf die Annonce für diese Wohnung und erhielt mit Glück den Zuschlag. Jetzt kann ich in meinen ersten eigenen vier Wänden zur Ruhe kommen. Die letzten Jahre waren ein dauerndes Loslassen. Aber ich weiss, wenn ich loslasse, kommt Neues.
Meine fünf Kinder gaben mir immer Halt und die Kraft, nicht aufzugeben, weiterzukämpfen. Jetzt muss ich sie aber loslassen und nicht als mein Eigentum betrachten. Ich sagte ihnen: «Denkt nicht, ich käme nicht z’Schlag. Ich komme z’Schlag!»
Ich glaube, ich habe die Kurve gekriegt. Vor vier Jahren fand ich sogar meinen Traumjob bei der Spitex. Ich fahre als Pflegehelferin zu den Leuten in alle Chrachen hinauf. Auf den abgelegenen Höfen sind sie auf uns Spitexleute angewiesen. Ich bin zu 80 Prozent fix angestellt. Das ist wunderbar. Ich glaube, meine grosse Lebenserfahrung wird nun geschätzt. Ich bin geduldig und nehme die Leute, wie sie sind. Mich bringt fast nichts aus der Ruhe. Das Wetter schon gar nicht – höchstens wenn ich frühmorgens die Schneeketten montieren muss, wirds heikel.
Wenn ich so auf mein Leben zurückschaue, habe ich dieses Bild vor Augen: Ich lebte in einer Gemeinschaft mit sieben Menschen und sass mit meinen fünf Kindern im Zug. Mein Mann jedoch stieg nie zu uns in den Familienzug. Er stand all die Jahre draussen, abseits. Aber der Zug konnte nicht stillstehen, musste weiterfahren …
Ich bin eine einfache Bäuerin, aber eine Geschiedene. Religiös und geschieden, das passt nicht. Bis dass der Tod euch scheidet, gelobte ich doch damals, als wir heirateten. Dass der Papst jetzt gegangen ist, beflügelt mich. Wenn die Gesundheit sagt, ich kann nicht mehr, dann muss man gehen. Bis dass der Tod euch scheidet! Nein, ich mochte nicht mehr. Ich konnte nicht mehr.
Als ich in der Klinik war, wusste ich, du kannst nie mehr heim. Und sogar der Pfarrer dort riet mir: «Loset Si, es ist nicht Gottes Wille, dass ein Partner krank wird in einer Ehe.» Aber die katholische Kirche goutiert Ehescheidungen nicht. Ich bin eine Verstossene. Das kann doch nicht Gottes Wille sein, oder?
Von meinem Mann höre ich nichts mehr. Nach der Scheidung sagte er: «Du bist für mich gestorben!» Bis dass der Tod euch scheidet …
Wäre ich nicht Bäuerin gewesen und hätte mit meinen Kindern privat in einer Wohnung gelebt, hätte ich meinen Mann nach der Scheidung weggeschickt. Aber «nur» als Frau des Bauern und als Schwiegertochter hatte ich kein Recht, auf dem Hof zu bleiben. Nach 24 Jahren musste ich gehen. Ich hielt es nicht mehr aus. Wurde sehr krank. Bis dass der Tod euch scheidet! Während vieler Jahre sagte ich mir: «Wart noch ein wenig. Wirf nicht gleich die Flinte ins Korn!» Ich weiss, es braucht ja in einer Partnerschaft für alles zwei. Aber wenn einer sich nie in Frage stellt, wird es mit der Zeit enorm schwierig.
Es brauchte grösste Verzweiflung zu gehen. Definitiv zu gehen. Ich bin nicht kopflos gegangen, habe jahrelang das Dafür und das Dagegen sorgfältig abgewogen. Schade ich den Kindern, wenn ich bleibe, oder schade ich ihnen, wenn ich gehe? Als der Jüngste in der Lehre war, spürte ich: «Nun hab ich meinen Dienst getan. Mehr muss ich nicht tun.» Den entscheidenden Schritt wagte ich aber immer noch nicht.
Die Kinder sind glücklicherweise alle gut geraten.