Alle roten Pfeile kamen aus Osten - zu Recht?. Hans Rudolf Fuhrer

Alle roten Pfeile kamen aus Osten - zu Recht? - Hans Rudolf Fuhrer


Скачать книгу
Block, der von der Sowjetunion angeführt wurde. Stalins Lagebeurteilung erhielt im September 1947 ihre theoretische Verankerung in der von dem bereits erwähntenŽdanov erarbeiteten Doktrin der «Zwei Lager».

      Beide Machtblöcke waren somit gleichermassen an der zuerst ideologischen und dann politischen Spaltung der Welt beteiligt. Das gegenseitige Misstrauen verhinderte jede Annäherung.

      Angesichts einiger als kriegerisch empfundener Töne aus den USA16 sowie verschiedener auf Kriegsvorbereitungen hindeutender Entwicklungen im Westen17 ging die Kremlführung davon aus, dass die Amerikaner mit allen – also auch militärischen – Mitteln versuchen würden, die UdSSR zu eliminieren.

      Die im Jahr 1949 gegründete Organisation des Nordatlantikvertrags (Nato) stand laut Mastny «in Moskaus öffentlichem und privatem Vokabular ganz deutlich als Symbol für die von der vereinigten Macht der kapitalistischen Nationen ausgehende Gefahr».18 Die Tatsache, dass man der Nato aggressive Absichten zuschrieb,19 bedeutete allerdings nicht, dass die sowjetische Führung dieses Bündnis als effektive Bedrohung wahrnahm.20 Ein freiwilliger Zusammenschluss gleich gesinnter kapitalistischer Staaten – worum es sich bei der Gründung der Nato ja tatsächlich handelte – passte nicht in das ideologische Bild. Stalin hielt die Nato dementsprechend für eine unter dem Druck der Vereinigten Staaten entstandene Zwangsallianz, deren Zweck in erster Linie darin bestand, «den USA zu helfen, den Kollaps des Kapitalismus abzuwenden».21

      Diese Einschätzung führte dazu, dass der Kreml einerseits die internen Unstimmigkeiten der Nato ständig überschätzte und als Ausdruck der angeblich unüberbrückbaren Gegensätze zwischen ihren Mitgliedern interpretierte, und andererseits die Bereitschaft der Europäer, sich mehr im eigenen Interesse als auf Geheiss der Amerikaner hin zusammenzuschliessen, unterschätzte.22

      Daran, dass sich Stalin durch die Nato nicht unmittelbar bedroht fühlte, scheint sich auch nichts geändert zu haben, als diese ab Ende 1950 die militärische Substanz erhielt, mit der sie sich von einer lediglich auf dem Papier bestehenden zu einer realen Allianz verwandelte. Das Augenmerk der sowjetischen Führung richtete sich jedenfalls weiterhin mehr auf die USA als auf deren europäische Verbündete. Einzig über die Entwicklung Westdeutschlands zeigte sie sich – je mehr die Verhandlungen über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) als Organisationsform für die deutsche Wiederbewaffnung voranschritten – wieder zunehmend ernsthaft beunruhigt.

      Die angeblich aggressiven strategischen Ziele der USA in Bezug auf die Sowjet-union definierten zusammen mit den zur Verfügung stehenden Kampfmitteln der Nato die Szenarien, mit welchen der sowjetische Generalstab rechnete.

      Am wahrscheinlichsten erschien, dass die USA ein erstes ihrer Ziele – die Verhinderung des Aufbaus eines sowjetischen Nuklearwaffenpotentials – zu erreichen versuchten, und zwar in Form von Präventivschlägen gegen atomare Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen der UdSSR. Diese Möglichkeit wurde deshalb für die gefährlichste gehalten, weil man sich gegen die dabei zu erwartenden strategischen Luftangriffe nicht genügend geschützt fühlte. Als Gegenstrategie mit Abhaltewirkung behielt man sehr starke konventionelle Streitkräfte bei. Im Fall einer feindlichen Aggression drohte man mit dem Vorstoss der Armeen nach West-europa. Ob dieses «Geisel-Konzept» als Abschreckungspotential gegenüber den USA genügte, war umstritten.24

      Von anderen vermeintlichen US-Zielen ging in den Augen der Moskauer Führung eine kleinere Gefahr aus: Das Einschränken des kommunistischen Einflusses auf das Gebiet der Sowjetunion bedeutete zwar im Klartext, dass man die sowjetisch orientierten Regimes in Osteuropa durch westlich ausgerichtete Regierungen ersetzen wollte. Dies war, so glaubte man, nur durch Militäraktionen von aussen zu erreichen. Gar nur durch einen umfassenden Krieg zwischen den beiden Lagern konnte aus sowjetischer Sicht der Wandel in der ideologischen Ausrichtung der UdSSR erzielt werden. Die schlimmste Form der denkbaren «kapitalistisch-imperialistischen» Aggression bildete im gefährlichsten Fall eine Kombination von Angriffen zu Lande, beispielsweise über die deutsche Ebene und durch den Balkan; zu Wasser mit Landungen an den Küsten des Baltikums und des Schwarzen Meeres im Rücken der Fronten; aus der Luft mittels konventionell und atomar bestückter Bomber insbesondere gegen das industrielle Kernland der Sowjetunion.

      Beide Varianten, sowohl die militärische Intervention westlicher Kräfte in einem einzelnen Land des Ostblocks, vor allem in der DDR, als auch der umfassende Angriff des Westens gegen das kommunistische Lager insgesamt, wurden während der Herrschaft Stalins als eher unwahrscheinliche Szenarien angesehen.25 Die Tatsache, dass im Winter 1951/52 die sowjetischen Militärausgaben erheblich reduziert wurden, unterstützt diese These.26

      Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Stalins Antworten auf Handlungen des Westens vorwiegend defensiv und reaktiv waren. Militärisch relevant war jedoch eine markante Bestandeserhöhung der sowjetischen Truppen in der besetzten Zone Deutschlands. Noch nicht endgültig geklärt ist eine geheime Konferenz vom 9. bis 12. Januar 1951 in Moskau.27 An dieser Konferenz aller Verteidigungsminister der Volksdemokratien mit einer sowjetischen Delegation unter Stalin soll sich dieser zu einem Krieg entschlossen gezeigt haben, weil er ihn auf die Dauer als unvermeidlich gehalten habe. Generäle und Verbündete hätten mit aller Kraft noch bremsen können.

      Aus der westlich-kapitalistischen Aggression gegen die Sowjetunion beziehungsweise gegen Staaten in ihrem Machtbereich würde sich – so die sowjetische Auffassung – ein Weltkrieg entwickeln, der seinem politischen Charakter nach die entscheidende militärische Auseinandersetzung zwischen den beiden gegensätzlichen gesellschaftspolitischen Weltsystemen wäre.28 Zwei mächtige, unterschiedliche Klassen vertretende Staatenkoalitionen würden unter Einsatz von mehrere Millionen Mann starken Streitkräften sowie aller mobilisierbaren «wirtschaftlichen und moralischen Fähigkeiten»29 bis zur Vernichtung eines der beiden Gesellschaftssysteme kämpfen. Dementsprechend würde der Krieg mit äusserster Heftigkeit ausgetragen werden und würde lange dauern. Die Verluste an Menschen und Material wären riesig und die Zerstörungen weltweit unvorstellbar hoch. Als Sieger aus diesem Entscheidungskampf, der von Seiten des kapitalistischen Lagers ein ungerechter Eroberungskrieg und von Seiten des sozialistischen Lagers ein gerechter revolutionärer Befreiungskrieg wäre, würde letztlich – so lautete die auf der Theorie des historischen Materialismus basierende offizielle sowjetische Ansicht – gesetzmässig das kommunistische System hervorgehen.

      Die Vorstellungen der sowjetischen Führung bezüglich des militärischen Charakters des zukünftigen Kriegs waren während der ganzen «Stalin-Phase» der Nachkriegszeit geprägt von der Erfahrung des «Grossen Vaterländischen Kriegs».30 Als kriegsentscheidend galten Stalins fünf «ständig wirkende Faktoren» (Stabilität und Sicherheit des Hinterlandes, Moral der Truppe und der Heimatfront, Qualität und Quantität der Grossverbände,31 Bewaffnung der Streitkräfte, Führungsfähigkeiten der Kommandanten und ihrer Stäbe). Diese widerspiegeln Stalins Vertrauen in die gewaltigen menschlichen und materiellen Ressourcen, die dem totalitären Regierungssystem zur Verfügung standen. Interessant ist, dass die für die militärische Entschlussfassung wichtigen Faktoren, wie Überraschung, Zeit, Raum, Bilden von Schwergewichten, Freiheit des Handelns usw., als zweitrangig eingestuft wurden, wahrscheinlich weil sie dem parteipolitischen Einfluss weitgehend entzogen waren.

      Die Bedeutung von Einzelwaffen, speziell der Nuklearwaffen, in einem zukünftigen Krieg wurde demgegenüber – zumindest nach aussen hin – als relativ gering eingeschätzt. Anders als im Westen fand in der Sowjetunion keine offene Diskussion über die Wirkung von Nuklearwaffen sowie über die entsprechenden Folgen für die Kriegführung und den Charakter des Kriegs statt. Der Grund für die scheinbare Weigerung, den entscheidenden Einfluss der Atomwaffen auf die Kriegführung anzuerkennen, war wahrscheinlich nicht prinzipieller, sondern vielmehr technischer Natur: Die Sowjetunion besass bis 1949 keine Atomwaffen, und in den folgenden Jahren bis zu Stalins Tod im Jahr 1953 wies sie gegenüber den Vereinigten Staaten in diesem Bereich noch immer einen beträchtlichen Rückstand auf. In dieser Situation wäre


Скачать книгу