Alle roten Pfeile kamen aus Osten - zu Recht?. Hans Rudolf Fuhrer

Alle roten Pfeile kamen aus Osten - zu Recht? - Hans Rudolf Fuhrer


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wurde im Gebiet des Stillen Ozeans der militärisch-politische Block ANZUS unter Zusammenschluss der USA, Australiens und Neuseelands gegründet. Im September 1954 wurde an der Konferenz von Manila ein Vertrag über die gemeinsame Verteidigung von Südostasien (SEATO) unterzeichnet, aufgrund dessen durch den Zusammenschluss der USA, Grossbritanniens, Frankreichs, Australiens, Neuseelands, Thailands, der Philippinen und Pakistans ein weiterer militärischer Block gegründet wurde. 1955 wurde die Formgebung eines militärischen Blockes im Nahen und Mittleren Osten – des Bagdad-Paktes – beendet, der später die Bezeichnung CENTO bekam. Ihm traten Grossbritannien, die Türkei, Iran, Pakistan und der Irak bei.

      Nach der Unterzeichnung der Pariser Übereinkunft im Oktober 1954 und ihrer Ratifikation im Mai 1955 wurde zum Einbezug der BRD in die Nato eine ‹grüne Strasse› geöffnet. Dies wurde in Moskau als offene Herausforderung aufgenommen. Stalin und auch die folgende sowjetische Regierung fürchteten sich, wie in der gegenwärtigen Zeit aus Dokumenten bekannt wurde, vor einer Wiedergeburt Deutschlands und Japans. Als Antwort darauf unterschrieben am 14. Mai 1955 Albanien, Bulgarien, Ungarn, die DDR, Polen, Rumänien, die UdSSR und die Tschechoslowakei einen kollektiven Bündnisvertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe, der als Warschauer Vertrag in die Geschichte einging. Faktisch war dies ein erzwungenes Antwortmittel mit dem Ziel, ein Gleichgewicht der Kräfte und eine Stabilität in den Beziehungen zwischen dem Osten und dem Westen herzustellen und aufrechtzuerhalten.

      Der Kampf um die Einflusssphären zwang die kolonialen Machthaber in Westeuropa nach der Beendigung des Zweiten Weltkriegs, mit Unterstützung der USA beträchtliche Kräfte zur Unterdrückung der nationalen Befreiungsbewegungen einzusetzen. Grossbritannien und Holland führten dreimal Kriegshandlungen gegen die im September 1945 gegründete unabhängige Republik Indonesien durch. Grossbritannien führte Kolonialkriege gegen die nationalen Befreiungsbewegungen der Völker in Malaysia, Kenia, Ägypten und Südjemen. Frankreich begann im September 1945 den Krieg in Algerien und versuchte die Unabhängigkeitsbewegungen der Völker Madagaskars, Tunesiens und Marokkos zu unterdrücken. Im Dezember 1946 entbrannte der Krieg in Vietnam, in den später auch die USA eingetreten sind. In allen Fällen erhielten die nationalen Befreiungsbewegungen Unterstützung von Seiten der UdSSR und den Staaten des Warschauer Vertrags, was zu neuen Windungen der Anspannungsspirale der Beziehung zwischen West und Ost führte.

      Die Führung der USA setzte während des ganzen Verlaufes des «Kriegs» in übersteigerter Weise ihre Hoffnung auf die Stärke als Instrument der Lösung aller internationalen Probleme. Profitierend davon, dass sich das Kräfteverhältnis in den ersten Nachkriegsjahren klar zu Gunsten der USA entwickelte, gab die amerikanische Führung genügend Beweise ihrer Führung einer «Politik aus der Position der Stärke». Die USA verzichteten auf die konsequente Suche nach einer für beide Seiten annehmbaren Lösung mit der UdSSR am Verhandlungstisch.

      Amerikanische Forscher gehen in ihren neueren Arbeiten davon aus, wie neue sowjetische Archivdokumente zeigen, dass die UdSSR in ökonomischen, politischen und militärischen Gebieten viel schwächer war, als man früher angenommen hatte. Auch der Grad der ‹Einheitlichkeit› und das Mass der Abhängigkeit der osteuropäischen Verbündeten der UdSSR von Moskau werden neuerdings in Zweifel gezogen. Und in dieser Situation stellt sich die Frage, wie angemessen die Handlungen der amerikanischen Administration waren, ihren Kurs auf eine globale Kontrolle und auf ein Aufhalten des Kommunismus auszurichten. Am Platz ist auch die Frage: Wurde nicht absichtlich in früheren amerikanischen Bewertungen die Stärke der sowjetischen Macht im Hinblick auf eine effektivere Eskalation der Konfrontationsspirale übertrieben?»7

      Aggressionsplanungen?

      Für die vorliegende Studie von besonderem Interesse ist Marschall Kulikovs Aussage, die sowjetische Führung habe keine Aggression gegen den Westen und erst recht nicht gegen die Schweiz geplant: Nach den Konferenzen von Jalta und Potsdam sei die Teilung Europas beschlossene Sache gewesen und habe nicht mehr zur Diskussion gestanden. Ein weiteres Vorrücken – sei es in Europa oder Asien – habe sich die Sowjetunion nicht vorgenommen. Es sei deshalb historisch nicht korrekt, von Welteroberungsabsichten oder anderen machtpolitischen «Ambitionen» der UdSSR zu sprechen. Wörtlich sagte Kulikov: «Die sowjetische Führung hatte sich, wie Archivdokumente bezeugen, nicht die Aufgabe eines geopolitischen Angriffs auf den Westen vorgenommen. Nun, ich möchte das kurz ausführen: Ich arbeitete im Generalstab der sowjetischen Streitkräfte. Ich führte selbst dieses wichtigste Organ der militärischen Führung. Zwölf Jahre lang führte ich das Oberkommando der Streitkräfte des Warschauer Vertrages und war in engem Kontakt mit dem sowjetischen Generalstab. Ich sage es nochmals deutlich: Es gab keine Vergeltungsoder Angriffspläne gegen den Westen. Die Studien des Generalstabs prüften allein alle möglichen Vorbereitungen imperialistischer Länder, in erster Linie der Vereinigten Staaten von Amerika, der Bundesrepublik Deutschland, zur Erreichung der Dominanz sowie den stets grösser werdenden Abstand in der Technologie, besonders in der Atomraketenbewaffnung. Und schliesslich erreichten wir mit grösster Anstrengung den Gleichstand. Wie der weise Aussenminister Gromyko einst gesagt hat: Es gilt gleiche und reale Sicherheit auf der ganzen Welt zu erreichen. Es ist diese Frucht, die wir heute haben.»8

      Ob Marschall Kulikovs Behauptung der Wahrheit entspricht, gilt es im Rahmen dieser Arbeit quellenkritisch zu untersuchen. Vojtech Mastny, der Koordinator des «Parallel History Project on Nato and the Warsaw Pact»9, warnt aufgrund seiner eigenen Erfahrungen allerdings vor zu hohen Erwartungen bezüglich sowjetischer Angriffspläne gegen Westeuropa: «Die Frage, die im Zusammenhang mit der Erforschung der Archive stets gestellt wird, ist die nach den Überraschungen, die dort vermutlich zu finden seien. Zu dieser Frage lautet meine bevorzugte Antwort: Die grösste Überraschung ist, dass es keine grossen Überraschungen gibt. Damit meine ich, dass die Dokumente einwandfrei belegen, dass das Denken und die interne Kommunikation der sowjetischen Führer im grossen und ganzen so waren, wie sie damals nach aussen auch zu sein schienen.»10

      These

      Der Vorwurf Marschall Kulikovs, die westliche Seite habe die «rote Gefahr» bewusst als sehr gross dargestellt, um einerseits die Sowjetunion strategisch einzukreisen und um andererseits die durch den Zweiten Weltkrieg unverteilten strategischen Zonen der Welt für sich allein zu beanspruchen, führt uns zu folgender These:

      Beide Machtblöcke nahmen – in einer gigantischen Absichtsspiegelung – von der feindlichen Gegenseite an, diese warte nur auf einen günstigen Moment der Schwäche der eigenen Seite, um ihre Weltmachtpläne zu verwirklichen und militärisch anzugreifen.

      Theoretische Erwägungen11

      Das Phänomen der gegenseitigen Absichtsspiegelung ist der einschlägigen Wissenschaft vertraut. Hingewiesen sei diesbezüglich auf den im Buch «Bild und Begegnung: kulturelle Wechselseitigkeit zwischen der Schweiz und Osteuropa im Wandel der Zeit»12 von Osteuropahistoriker Carsten Goehrke angewandten soziologischen Ansatz. Mit solchen Modellen werden die in der gegenseitigen Wahrnehmung zum Ausdruck kommenden Stereotype analysiert. Als Schlüssel zum Verständnis der Gesetzmässigkeiten nationaler Stereotypenbildung sieht Goehrke das Ingroup-Outgroup-Modell, insbesondere den Erklärungsansatz der Social-Identity-Theorie.13 Gemäss diesem entstehen Vorurteile dort, wo zwei heterogene Wertsysteme aufeinanderprallen; sie kleiden sich dabei fast immer in die Gewänder von Stereotypen. «Auf die Vorstellungen übertragen, welche Völker voneinander entwickelt haben, bedeutet dies aber: Nationale Stereotype entspringen Vorurteilen, die einer übergreifenden Identitätsstiftung und Identitätsvergewisserung dienen und daher das eigene Volk positiv gegen andere Völker abzugrenzen haben. Dies bedeutet aber auch, dass den nationalen Stereotypen aller Völker konkurrierende Wertnormen und Urteilskriterien zugrunde liegen und Vorurteile im Sinn vorgeprägter Urteile daher als genauso relativ betrachtet werden müssen wie Urteile.»14 Die Social-Identity-Theorie geht davon aus, dass nationale Vorurteile und Stereotype bereits «von Kindsbeinen an» erlernt werden und das Wahrnehmungsvermögen oft derart stark beeinflussen, dass Eindrücke und Erfahrungen, welche ihnen nicht entsprechen, ausgeblendet oder als Ausnahmen betrachtet werden. Die Beständigkeit der Fremdbilder erkläre sich zudem aus ihrer Komplementarität zu Selbstbildern oder Autostereotypen: In dem Mass, wie sich ein


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