Rückkehr zu Gott. Jörg Gabriel

Rückkehr zu Gott - Jörg Gabriel


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Ende des 12. Jahrhunderts vor allem gegen die manichäische Weltsicht. Der Name „Manichäer“ wurde zum Synonym für den Ketzer schlechthin, obwohl nicht alle Ketzerbewegungen diese dualistische Weltanschauung vertraten, diese sogar teilweise scharf bekämpften.201 Dennoch übte der manichäische Dualismus auf manche Teile der Bevölkerung202 eine große Anziehung aus: „Der Dualismus sagt dem Menschen eindeutiger, was zu tun sei... . Für Menschen, die aus religiösem und ethischen Drang zum Nachdenken über das Wesen der Welt erwachten, war die katholische Weltlehre unendlich viel schwerer zugänglich und begreiflich als die manichäische.“203

       III. Die „freien Geister“204

      Johannes Tauler und auch andere Mystiker des 14. Jahrhunderts, wie z.B. Taulers Ordensmitbrüder Meister Eckhart (1260 – 1328) und Heinrich Seuse (1295 – 1266) sowie Jan Ruusbroec (1293 – 1381) mussten sich mit einem Gedankengut auseinandersetzen, das einer Gruppierung unter dem Namen „freie Geister“ zugeschieben wurde.205 Der Verdacht, der freigeistigen Häresie anzugehören, richtete sich oftmals gegen Beginen und Begarden.206 Darüber hinaus gerieten Eckhart, Seuse und Tauler durch ihre Lehre vom Zunichtewerden des Menschen, um ganz mit Gott eins zu sein, selbst in eine gefährliche Nähe zum freigeistigen Gedankengut.207

      Bei den „freien Geistern“ handelt es sich allerdings nicht um eine organisierte Sekte mit einer einheitlichen Lehre, sondern „allenfalls um eine Häresie“208. Eine Sekte

      „ ‚entstand‘ nur deshalb, weil die Verdächtigen [von der Inquisition] immer wieder nach dem gleichen Fragekatalog abgefragt wurden, einem Fragekatalog, der von der Aufzählung der Irrtümer der ´Sekte´ im Dekret Ad nostrum des Konzils von Vienne abgeleitet worden war.“209

      Die „freien Geister“ sind deshalb eine „imaginäre Sekte“210, eher eine religiöse Unterströmung, die man jedoch in den verschiedenen religiösen Gruppen oder bei Einzelpersonen fand.211 Weil man diese Häresie aber gerade deswegen nicht konkret bekämpfen konnte, unterstellte man den Anhängern der Freigeisterei häufig auch ein amoralisches Verhalten, wie z.B. unerlaubte Sexualpraktiken.212 Es zeigt sich, dass die Quellen über die „freien Geister“ nicht unproblematisch sind, da die meisten Aussagen aus den Protokollen der Inquisition stammen. Dass diese Aussagen deshalb kritisch gelesen werden müssen, liegt auf der Hand.213 Aus diesem Grund können wir nicht wirklich sagen, wer die „freien Geister“ eigentlich sind.

      1. Möglicher historischer Ursprung und Verbreitung

      Das Gedankengut der „freien Geister“ hat vermutlich seinen Ursprung in der Ketzerei der „Amalrikaner“ in Paris.214

      Die 1210 durch eine Pariser Synode verurteilten Ketzer, Kleriker und Magister der Theologie215, waren Schüler des Theologen und Philosophen Amalrich von Bena (+ 1206). Schon Amalrich wurde gezwungen, seine Lehre zu widerrufen. Grund für seine Verurteilung war nicht sein Hauptgedanke, dass jeder Christ ein Glied Christi sei („Membra sumus corporis Christi“216), sondern die Hintergründe seines Denkens, der Einfluss des Neuplatonismus durch Johannes Scotus Eriugena sowie der Schriften des Aristoteles mit seinen arabischen Kommentatoren. Wahrscheinlich versuchte Amalrich, wie seine Schüler, „die neuplatonische Identitätsphilosophie mit Hilfe der Schriftexegese, vor allem der Deutung paulinischer Sätze zugleich als die wahre Theologie zu erweisen. Denn gerade diese Überzeugung, dass die richtige Philosophie zugleich die wahre Religion sein müsse, ist auch in Eriugenas Denken das treibende Motiv.“217 Das neuplatonische Gedankengut in Verbindung mit der paulinischen Theologie Amalrichs wurde zum Ausgangspunkt der Ketzerei der sog. Amalrikaner. Aber erst durch Amalrichs Schüler, die seine Theologie und Philosophie mit anderen Lehren verbanden und in die Seelsorge einfließen ließen, wurde daraus eine in den Augen vieler in der Kirche gefährliche Irrlehre.218 Amalrichs Schüler lehrten nämlich ein Geschichtsverständnis, „die jenen Gedanken erst ihre ketzerisch-revolutionäre Wendung gab.“219 Ihr Verständnis von Geschichte, das mit dem Denken des Abtes Joachim von Fiore (+ 1202) „auffallend übereinstimmt“220, nämlich der Anbruch vom dritten Zeitalter des Heiligen Geistes nach dem des Vaters (Altes Testament) und des Sohnes (Neues Testament). Diese für sie epochale Wende „entwerte“ und wandele alles Bisherige221: Im neuen Zeitalter des heiligen Geistes beanspruchten sie als die „Spiritualen“ der neuen Epoche, selbst „inkarnierter Gott zu sein wie einst Christus.“222 Der „Spirituale“ in besonders hervorgehobener Weise, aber auch die übrige Welt ist von Gott erfüllt. Aus diesem Grund verlieren die kirchlichen Sakramente ihre Gültigkeit.223 In jedem beliebigen Stück Brot finde man Gott. Also sei die Eucharistie überflüssig.224 Genauso leugneten die Amalrikaner die Sünde: Denn wenn alle Welt von Gott erfüllt ist, muss auch alles Böse von Gott sein. Deshalb kann der Mensch auch kein Sünder mehr sein.225 Daraus schlossen sie, auch das Bußsakrament sei überflüssig.226 Die neue Epoche des Heiligen Geistes verstanden sie als das Zeitalter einer grundlegenden Erkenntnis: „Diese Erkenntnis ist die Auferstehung und eine andere Auferstehung gibt es nicht.“227 Wissen und Erkenntnis sei das Paradies – Nicht-Wissen dagegen die Hölle.228 „Die Ketzer von Paris setzen die wahre Philosophie, die Erkenntnis der ´Spiritualen´ im Zeitalter des Geistes an die Stelle der sakramentalen Formen der Kirche, die der vorhandenen Epoche angehören.“229

      Die Lehren der Amalrikaner begegnen uns im freigeistigen Denken wieder: Der „Freigeistige“ sieht sich mit Christus, d.h. mit Gott identisch, wenn sein menschlicher Geist vollkommen frei für Gottes Geist ist, so dass dieser ihn ganz erfüllt. In dieser vollkommenen Einheit und Identität kann der Mensch kein Sünder mehr sein. Hieraus wiederum leiten die Freigeistigen die Lehre von der ledigen, ungebundenen Freiheit230 ab: Der freie Geist kann theoretisch tun, was immer er will, da er eins mit Gottes Geist ist.

      Obwohl die Ketzerei der Amalrikaner 1210 verurteilt und Vertreter ähnlicher Lehren, z.B. der Magister Godinus (+ 1212 in Amiens), verurteilt und verbrannt worden waren, tauchten bereits wenige Jahre später, 1220, deren Gedanken, vermutlich verbreitet von männlichen Wanderpredigern, in den religiösen Bewegungen auf, unter anderem auch in nichtsesshaften, umherwandernden Frauengemeinschaften. Darin ist auch ein Grund zu sehen, warum Beginen, ihr männliches Pendant, die Begarden, sowie Vaganten oftmals mit der Ketzerei der Amalrikaner bzw. Godianer gleichgesetzt wurden.231

      Um die Mitte des 13. Jahrhunderts – 1261 erstmals historisch überliefert232 – traten in Süddeutschland die ersten freigeistigen Prediger auf und verkündeten, man könne Gott besser „in der Freiheit des Geistes“233 dienen, ohne eine feste (ordensähnliche) Regel zu befolgen.234 Viele Zeitgenossen235, die den religiösen Bewegungen und auch der Frauenfrömmigkeit wohlwollend zugewandt waren, warnten vor dem Einfluss dieses Denkens. Sie kritisierten in diesem Zusammenhang vor allem aber die Maßlosigkeit im geistlichen Leben, die Sucht nach Ekstasen und Visionen.236 Gerade hierin und in dieser Form des freigeistigen Denkens lagen die größten Gefahren für die religiösen Bewegungen im Mittelalter.237

      2. Die freigeistige Irrlehre im Schwäbischen Ries (1270/73)

      Aus einem Gutachten238 Alberts des Großen (1193/1200 – 1280) über ungefähr 100 Aussagen von sog. Ketzern aus dem schwäbischen Ries (Bistum Augsburg), können wir die Tragweite erahnen, welche die freigeistige Lehre in den religiösen Bewegungen eingenommen hat. Dass das freigeistige Denken auch mit den religiösen Frauenbewegungen in Verbindung gebracht wurde, zeigt Alberts Kommentar zu den Berichten über teils wahnhaft religiöse Übersteigerungen von Frauen, z.B. Schwangerschaftssymptome oder Aussagen, sie hätten Christus selbst gesäugt. Dazu bemerkt Albert nur lapidar, „das sei keine Ketzerei, die man widerlegen, sondern eine Albernheit, die mit Prügel bestraft werden müsste.“239 Solche Übersteigerungen endeten aber nicht selten in der theologisch und historisch bedeutsamen Aussage von


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