Rückkehr zu Gott. Jörg Gabriel
Angreifer gleichfalls in sein Herz ein, weil letzteren die Entschuldigung zukommt, die Lehre der frohen Botschaft nicht zu kennen. Er ist zutiefst betroffen und aufgewühlt durch die Existenz dieser gewalttätigen und heidnischen Kumanen. Diese Begegnung legt die missionarische Berufung sowohl des Dominikus als auch jene seines Ordens fest.“6
Und Jordan von Sachsen (+ 1237) – Zeitgenosse und Nachfolger des heiligen Dominikus in der Ordensleitung – sagt über Dominikus:
„Dominikus bemerkte, dass die Bewohner jener Gegend schon seit längerer Zeit Häretiker waren, und er begann wegen der zahllosen getäuschten Seelen großes Mitleid zu haben.“7
Dominikus suchte nach den wirklichen Ursachen für die Verirrungen der Menschen. Er kam zu dem Schluss, dass diese Leute Christus nicht richtig kennen bzw. ihn falsch verehren. Seine Menschenfreundlichkeit auch gegenüber Andersdenkenden wurde so zum Vorbild für seine „Söhne“, auch für Johannes Tauler.8 So hat Dominikus seinem Orden die Grundzüge seines Charakters deutlich aufgeprägt: „Er lebte nach der ‚Regel der Apostel‘, war ein ‚Mann des Evangeliums auf den Spuren des Erlösers‘, wie Gregor IX in der Kanonisationsbulle von 1234 schrieb.“9
Ein Grund für diese Menschenfreundlichkeit war der in ihm verankerte Glaube, dass Gottes Gnade in der ganzen Welt wirkt und dass gutes Handeln erst durch Gott möglich wird. „Gott gibt dem begrenzten Sinn und der begrenzten Tragweite meines eigenen Handelns noch eine unerwartete Zukunft!“10 Die Welt und mit ihr der Mensch ist eine „Wohnung“ Gottes, in der Gott – durch den Menschen – leben und wirken will.11 Deshalb weiß Dominikus
„das Positive, das es in der menschlichen Geschichte gibt, zu bewerten und zu genießen: Güte, Großzügigkeit, Geschwisterlichkeit, Freundschaft und Erfolg. Aber er ist auch nicht naiv. Er ist sich der Gegenwart des Negativen in derselben menschlichen Geschichte bewusst.“12
Ein wichtiges Mittel, um ein guter Prediger zu sein, ist für Dominikus das Studium. Damit führte Dominikus ein neues, beträchtliches Element in das Ordensleben ein. Es ersetzte die bis dahin übliche Handarbeit der Mönche.13
„Das Studium war von Anfang an ein wesentlicher Bestandteil dominikanischen Lebens. Jedes Haus sollte in der Kommunität einen Theologiedozenten haben; viele Dominikanerklöster wurden Zentren für theologische Studien.“14
Dominikus war klar geworden, dass sich Häresien nur wegen der Unwissenheit des Volkes und des Klerus ausbreiten konnten. Deshalb wurden Prediger gebraucht, die in der christlichen Lehre gut gebildet waren, um den Irrlehrern argumentativ Widerstand zu leisten.15 Die ältesten Konstitutionen des Ordens betonen: Der Orden sei
„von Anfang an dafür bekannt ..., besonders für die Predigt und das Seelenheil gegründet worden zu sein und unser Studium hauptsächlich und eifrig dahin ausgerichtet sein muss, dass wir den Seelen unserer Nächsten nützlich sein können.“16
Aus diesem Grund prüften Visitatoren der Ordensleitung regelmäßig, ob sich die Brüder eifrig dem Studium widmeten.17 In den einzelnen Konventen gab es deshalb einen Lektor oder Lesmeister, der die angehenden Prediger in Theologie unterrichtete. Auch die im Dienst stehenden Prediger nahmen an den theologischen Disputationen und Repetitionen teil. Die so entstandenen Konventschulen wurden schließlich auch von Klerikern besucht, die nicht zum Orden gehörten, da andere Schulen fehlten. Diese theologischen Schulen wurden auf diese Weise immer mehr zu öffentlichen Schulen.18
Die Lesemeister der Konventschulen mussten in Paris ausgebildet werden, da dort die allgemeine Lizenz für Theologie erteilt wurde. Dieser Umstand brachte es mit sich, dass sich Professoren und Studenten den Dominikanern anschlossen. Die Folge war, die Predigerbrüder nahmen bald selbst Lehrstühle in Paris, Bologna, Oxford und Toulouse ein. Als der Studentenkonvent in Paris nicht mehr in der Lage war, alle Studenten aufzunehmen, beschloss die Ordensleitung 1248 neue Generalstudien in Montpellier, Bologna, Köln und Oxford einzurichten.19
Ein weiteres Novum in der Ordensgeschichte war, dass sich die Ordensbrüder nicht mehr an ein bestimmtes Kloster banden (stabilitas loci) – wie in den bis dahin traditionellen Mönchsorden –, sondern sie verpflichteten sich durch das Gelübde des Gehorsams an den Ordensmeister.20 Dies ermöglichte der Ordensgemeinschaft eine große Beweglichkeit, so wie die der Wanderprediger der religiösen Bewegungen. Der Obere konnte die Brüder dort einsetzen, wo sie gebraucht wurden. Dadurch konnte der Orden den Anliegen und den Problemen der religiösen Bewegungen in rechter Weise begegnen. Der Orden öffnete sich den neuen Charismen, die von den veränderten Verhältnissen gefordert wurden, und trat in eine „kritische Solidarität mit der Menschenwelt“.21
Die kritische Offenheit gegenüber der Welt zeigte sich z.B. im Umgang mit den nichttheologischen Wissenschaften: Albertus Magnus erkannte die Bedeutung der Profanwissenschaften und der heidnischen aristotelischen Philosophie für die Theologie. Der Orden stand anfangs der Einbeziehung solcher Wissenschaften skeptisch und ablehnend gegenüber22:
„Albertus und Thomas schufen eine Wende, Albertus, indem er sich ziemlich heftig gegen Konfratres wandte, ‚die so von neuem die Mörder des Sokrates werden wollen‘. Es ging um einen Kampf um die Konsequenzen des integralen Evangeliums, den Albertus und Thomas ‚aufgeklärt‘ sehen wollen, nicht naiv. Im Kapitel von Valanciennes (1259) erhält die Richtung des Albertus und des Thomas recht: Das Studium der ‚Profanwissenschaften‘ wird bei der Ausbildung verpflichtend.“23
Infolge der Auseinandersetzung mit der Philosophie des Aristoteles und anderer (Natur)Wissenschaften, wurde auch die Bedeutung der Lehrtätigkeit erkannt: 1292 wurde die Lehre der Theologie mit dem Predigtdienst gleichgestellt. Dabei gilt, nicht „irgendeine Lehrtätigkeit entspricht dem Ordensziel, sondern die, welche wirklich eine Form der Verkündigung ist.“24
„Dank der Einführung des Studiums in die Verfassung des Ordens wirkt Dominikus nicht nur für seine Zeit bahnbrechend, sondern beeinflusst damit ganze Generationen maßgebend. Die theologische Wissenschaft erfährt an den theologischen Fakultäten ... eine große Blüte, die geistige und geistliche Bildung des Klerus wird allgemein gehoben, und neue Zugänge zu den Quellen der Mystik werden erschlossen. So bekommt neben der Spekulation auch die religiöse Erfahrung einen neuen Nährboden.“25
In solch einer geistigen, gegenüber den Wissenschaften und dem theologischen Studium positiv eingestellten Atmosphäre, konnte der für den Predigtdienst bestimmte Johannes Tauler ein gut ausgebildeter Theologe werden, auch ohne ein theologisches Generalstudium in Paris oder Köln absolviert zu haben wie z.B. Meister Eckhart.26
2. Die Kontemplation
Dominikus, der vom kontemplativen Leben im Domkapitel zu Osma geprägt war, wusste, dass eine Predigt ohne Gebet, ohne die wirkliche Beziehung zu Jesus Christus, keinen Erfolg haben konnte:
„Als Chorherr wurde Dominikus von der großen Gebetstradition der Kirche geformt, die neben dem offiziellen liturgischen Gebet die private geistliche Lesung, verbunden mit Betrachtung (lectio divina), pflegte. Das Leben im Chorherrenstift von Osma besaß eine vorrangig kontemplative Ausrichtung. Unterstützt von Sammlung und Schweigen, war es auf die hörende Aufnahme des Wortes Gottes angelegt und begünstigte dessen Eindringen in die Tiefe der Person.“27
Um das Wort Gottes den Menschen glaubwürdig nahe bringen zu können, muss der Prediger zunächst selbst auf Gottes Wort hören, muss sich von der Botschaft, die er zu verkünden und zu leben hat, „ergreifen“ lassen. Dem Sprechen von Gott geht das Sprechen mit und das Hören auf Gott voraus.
„Das Gebet ist für ihn [Dominikus] Teil der Verwirklichung der damaligen apostolischen Lebensweise ‚Durch Wort und Beispiel (verbo et exemplo)‘ und seines eigenen Wahlspruchs ‚Mit Gott oder von Gott sprechen‘.“28
Die Kontemplation wurde deshalb in die Konstitutionen des Ordens aufgenommen.29 Die Kontemplation – das innere, persönliche Gebet