Die Kraft des Weiblichen. Kristina Marita Rumpel

Die Kraft des Weiblichen - Kristina Marita Rumpel


Скачать книгу
werden. Veränderung ist dann nur noch gewaltsam möglich und verstellt das Leben als Zyklus heilsamer Wandlungsprozesse. Unter diesen Vorgaben kann Leben nur unter Schmerzen geboren werden und verstrickt sich folglich im Leid. Verhindert wird so ein freudvoller Start ins Leben wie auch das Leben als inspirierende, ekstatische, spirituelle Erfahrung, welche sich aus sich selbst heraus entfaltet. Durch die Unterbindung der weiblichen Sexualität ist der Fluss der Liebe zum Leben unterbrochen, eine Anbindung an die göttliche Erfahrung nur noch durch die Verneinung des Lebens möglich. Dieser Irrweg drängt sich unübersehbar durch die Selbstmordattentäter in unser Bewusstsein, die danach trachten, in lebensverachtender Weise dem Göttlichen näherzukommen.

      Mit der Verhüllung des weiblichen Körpers legten sich auch Schleier über die Erkenntnis der Welt.

      Die Abwertung des weiblichen Körpers war der Beginn der Abwertung des Lebens an sich.

      Der weibliche Körper und Sexualität waren und sind heilig, da sie neues Leben hervorbringen. Die Gebärmutter einer Frau wird zum Universum für das sich entwickelnde Leben in ihrem Bauch. Was liegt näher, als anzunehmen, dass auch das ganze Universum einst aus der Gebärmutter des Lebens geboren wurde? So wundert es nicht, dass Gebärmutter auf Lateinisch Matrix bedeutet, also die Grundstruktur des Lebens vorgibt. In der Matrix des Lebens kann sowohl ein Junge als auch ein Mädchen heranreifen. Der weibliche Körper toleriert also nicht nur das Männliche, sondern integriert es in den eigenen Körper. Die Vorstellung, eine Frau sei während der Schwangerschaft eine Göttin, ist so gesehen mehr als ein schönes Bild. Sie steht in direkter Nachfolge der Urmutter allen Seins, die sowohl männliches wie weibliches Leben hervorbringen kann. Die Urmutter, auch Große Mutter oder Große Göttin genannt, hat viele Namen und wird seit Urzeiten auf allen Kontinenten verehrt. Sie ist reine göttliche Essenz und allumfassende Liebe, die nährende Mutterliebe. Die ewige Mutter offenbart sich in den Gesichtern der Erde, zeigt ihre Kraft und Schönheit allerorten. Sie durchdringt die Materie und belebt die Welt. Die universelle Schöpfungskraft ist die weibliche Kraft, die alles Leben hervorbringt. Am Anfang wie am Ende ist die ewige Mutter allen Seins, die Urmutter, das Alpha und Omega des Lebens. Archäologische Funde von weiblichen Figuren aus der Steinzeit bezeugen, dass das Urweibliche, das in sich den Kreislauf von Leben und Tod, Entstehen, Werden und Vergehen vereint, seit mehr als 30 000 Jahren als die Leben spendende und erhaltende Kraft im Universum betrachtet wird. Jede Lebensform stammt von ihr ab.

      Die sogenannten Venusfiguren werden überall auf der Welt gefunden. Sie sind Zeichen der Präsenz des Urweiblichen in einer prähistorischen Epoche.

      Die Rückführung allen Lebens auf eine Urmutter wird auch in China, einer der ältesten noch existierenden Zivilisationen der Menschheit, so gesehen. Im chinesischen Weisheitsbuch Daodejing, das um 600 v. Chr. verfasst wurde, heißt es: »Die Welt hat einen Anfang, das ist die Mutter der Welt.« Dementsprechend war zu dieser Zeit das weibliche Prinzip Yin dem männlichen Prinzip Yang vorgelagert. Es liegt nahe, dass der Daoismus – in dem die Harmonie mit der Natur und die Verbundenheit und tiefe Wertschätzung mit allen Wesen als höchste Qualitäten gewertet werden – aus der Verehrung und Weisheit der Großen Göttin, die im Chinesischen Nu Wa heißt, abgeleitet ist. In einer zeitgemäßen Version des Tao Te King aus dem Jahr 2003 heißt es in Vers 6: »Das Tao bezeichnet man als die Große Mutter. Leer, doch unerschöpflich, bringt es unzählige Welten hervor. Es ist immer in dir da.«

      Die Vermutung liegt nahe, dass das bekannte Yin-Yang-Symbol einst den schwarzen Punkt im weißen Kreis darstellte und erst im Laufe des Patriarchats die Spaltung erfahren hat, uns seiner Wahrhaftigkeit beraubt und die Harmonie zwischen männlich-weiblich als gleiche Kräfte nur vorgaukelt. Männlich und weiblich sind gleichwertige Kräfte, im Sinne gleichgültiger Kräfte, durch deren Zusammenspiel sich Leben vollzieht. Und doch ist die Kraft des Weiblichen vorgeordnet nicht im Sinne der Rangfolge, sondern als Grundlage allen Seins. Das Weibliche ist die treibende Kraft oder der Boden, auf dem sich Leben entwickeln kann.

      Wer das Leben in seiner tiefen Dimension erfassen will, kommt nicht umhin, sich mit der Kraft des Weiblichen als form- und strukturgebendes Element zu befassen. In China existiert bis heute ein geheimes Wissen der Frauen, das im Qi Gong als Weg der Göttin, wie es Brigitte Gillessen (*1947) in ihrem gleichnamigen Buch für westliche Frauen zugänglich macht, seit 1200 Jahren weitergegeben wird und das sich mit der Arbeit an der Lebensenergie des Menschen und damit dessen Heil- und Ganzsein befasst. Als Göttinnengestalt hat sich in China im Laufe der Zeit und unter männlicher Dominanz – die Füße der jungen Frauen wurden jahrhundertelang abgebunden, damit sie über die Erde nicht ihre volle Kraft aufnehmen konnten – nur die weibliche Form von Buddha erhalten, die Bodhisattva. Sie ist die Göttin der Barmherzigkeit und alles Leben spendende Mutter. Noch heute erhält sie den meisten Zuspruch unter den Gläubigen des Mahayana-Buddhismus in Ostasien.

      Die Ursilbe Ma, die in allen Sprachen der Welt vorkommt, steht dabei für die Urmutter allen Seins und ist weltweit die erste Silbe, die Babys von sich geben – und daher das Urwort für Mutter. Die Ursilbe Ma finden wir auch in Nepal wieder: In der Landessprache heißt etwa der höchste Berg der Welt, der Mount Everest, Chomulung-Ma, was so viel bedeutet wie Mutter des Universums oder weiße Himmelsgöttin. Die Einwohner Nepals empfinden es noch heute als Frevel, dass die weibliche Kraft der Natur durch die Umbenennung des heiligen Berges durch ihre Bezwinger entehrt wird. Auf diese Weise ist die Verbindung von Natur und weiblicher Schöpfungsquelle für Generationen verschüttgegangen.

      Der höchste Berg der Erde ist die weiße Himmelsgöttin.

      In jüngster Zeit gibt es Bestätigung für diese Sichtweise – wenn auch möglicherweise unbewusst oder göttlich geleitet – von Papst Franziskus. Er setzt sich vehement für die Heilung von Natur und Mutter Erde ein. Von ihm stammt auch der Satz: »Der Name Gottes ist Barmherzigkeit«. Das Jahr 2016 rief Papst Franziskus zum Jahr der Barmherzigkeit aus und öffnete damit der Urmutter das Tor in diese Welt. Losgelöst von der F rage, ob die katholische Kirche sich inzwischen selbst im Irrgarten aus überschriebenen Wegweisern zum Ursprung verrannt hat, ob sie die Zusammenhänge weiterhin gezielt missachten will oder ob Papst Franziskus sogar eine weibliche Kirche vorbereitet – das Wort Barmherzigkeit ist gut gewählt und noch immer kraftvoll, weil es mit dem Urgrund in direktem Zusammenhang steht. Wir haben dieses Wissen verloren, da es bei der Übersetzung der Bibel ins Griechische ausradiert wurde. Das Wort Barmherzigkeit wurde im Hebräischen und in den alten Kulturen mit dem Wort Mutterschößigkeit, also mit Gebärmutter und Vulva gleichgesetzt, wie Hanna Strack herausgearbeitet hat. (Quelle: Hanna Strack Spirituelle Reise zur Gebärmutter. Entdecken – Staunen – Würdigen). Der Schoß ist der Quell göttlicher Liebe.

      Die Gebärmutter beherbergt seit jeher den Glauben an das Göttliche, sie ist der Urgrund allen Seins, denn in ihr entsteht, wächst oder stirbt Leben und wird schließlich von dort aus ins eigene Leben entlassen. Barmherzigkeit ist untrennbar mit dem weiblichen Schoß und den urweiblichen Qualitäten einer Frau und Mutter verbunden. Das Weibliche steht für den heilsamen Wandel, die Naturverbundenheit – und der Frauenkörper ist daher symbolwürdig für das Göttliche (Quelle: Hanna Strack, Interview beim Online-Kongress: Sex, Spirit & Birth).

      Die weiblichen Geschlechtsorgane ähneln einem Kuhkopf mit Hörnern, weshalb Hörner auch ein Attribut der Großen Göttin sind und Kühe in Indien als heilige Tiere gelten.

      Der


Скачать книгу