Gipfelstürmerinnen. Tanja Wirz
Bergsteigen als Leistungsmetapher
«Weisch was mich ganz persönlich a de Berge eso fasziniert?
Da obe gsehnd d’Lüüt sogar ime Stuck räässe Chäs magischi Chreft!»
Michelle Tobler in «Käse – eine Alpensaga»
VORWORT
Sieben Personen aus der Stadt verbringen die Nacht in einer Alphütte: ein Ehepaar auf Schweizer-Familie-Wanderung, ein Mountainbikertrio, eine junge Aushilfshüttenwartin im Zwischenjahr nach der Matura und schliesslich eine Dokumentarfilmerin, die einen Film über das Leben der Bergbewohner drehen will. Alle wollen die reine Natur und das urtümliche Alpenleben geniessen. Und alle bringen ihre eigenen Vorstellungen mit, was dies sei. Was geschieht, als sie von einem Unwetter in der Hütte festgehalten werden, war das Thema einer 1998 vom Theater Tritonus aufgeführten Tragikomödie. Die Mitarbeit bei dieser Gruppe war ein wichtiger Teil meines Lebens neben dem Studium, und ich habe die Rolle der Filmerin, die alles über die Berge wissen will, aber nichts davon wirklich sieht, gespielt, bevor ich ahnte, dass ich mich bald darauf im Rahmen meiner Lizenziatsarbeit und Dissertation sehr intensiv mit den Alpen beschäftigen würde.
Dass die vorliegende Arbeit entstehen konnte, dazu haben viele Personen beigetragen. Mein Dank gilt Professor Jakob Tanner, der mich darauf aufmerksam gemacht hat, dass das Bergsteigen ein lohnendes Thema der Sozial- und Kulturgeschichte sein könnte. Er hat meine Arbeit auch in schwierigen Zeiten freundlich unterstützt und mich immer von Neuem mit Lesetipps und Anregungen versorgt. Meine Dissertation ist im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms 48 «Alpine Landschaften und Lebensräume» des Schweizerischen Nationalfonds entstanden. Dank dem damit verbundenen dreijährigen Stipendium war es mir möglich, die für eine wissenschaftliche Arbeit nötige Ruhe zu finden und auch Archive im Ausland zu konsultieren. Bei der Suche nach Quellen und Literatur bin ich auf viel Wohlwollen gestossen, namentlich bei Susanne Grieder, Urs Kneubühl und Markus Schwyn vom Schweizerischen Alpinen Museum in Bern, bei Thomas Germann von der SAC-Bibliothek, bei Annette Kohler von der SAC-Geschäftsstelle, bei Friederike Kaiser und Johannes Merk vom Museum des Deutschen Alpenvereins in München und bei Margaret Ecclestone von der Alpine Club Library in London. Zudem haben mich Daniel Anker, Pierre Badrutt, Christof Dejung, Marthe Gosteli, Viola Imhof, Christine Kopp, Quirinus Reichen und Katharina von Salis an ihrem Wissen teilhaben lassen und mit Material unterstützt, das ich ohne sie nie gefunden hätte.
Speziell danken möchte ich meinen Eltern, deren grosses Interesse an meiner Arbeit mich sehr gefreut hat: Cristina Wirz hat sowohl als Lektorin wie als Babysitterin unschätzbare Hilfe geleistet, Albert Wirz hat wertvolle wissenschaftliche Anregungen geliefert. Ihm, der 2003 leider viel zu früh verstorben ist, sei diese Arbeit gewidmet. Mein Dank gilt zudem May B. Broda, Jon Mathieu und François Walter für ihre Unterstützung bei der Projekteingabe, meinen Kolleginnen und Kollegen von der Forschungsstelle für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Zürich, den Frauen von der Historikerinnentagung 2002 und den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Kolloquiums «Landschaft und sozialer Raum» für die anregenden Diskussionen, meinen Pfadifreunden für die vielen Erzählungen von SAC-Hütten, Igluwochen und Bergabenteuern, Brigitte Kramer und Nicole Schwager für die aufmunternden Kaffeepausen, Walter Leimgruber, der sich als Co-Referent für die Dissertationsprüfung zur Verfügung stellte, Madlaina Bundi und Bruno Meier vom Verlag hier + jetzt, die engagiert halfen, aus dem Manuskript ein Buch zu machen, Stefan Husi vom NFP 48, der sich dafür einsetzte, dass dies auch finanziell möglich wurde, und schliesslich meinem Mann Tobias Ueberwasser für seine grossartige Unterstützung in vielerlei Hinsicht.
EINLEITUNG
1 Gletscherspalten Nähe Sella-Pass, Fotografie von Elizabeth Main, um 1890.
WEM GEHÖREN DIE ALPEN?
Im September 1919 lud der Schweizer Alpenclub SAC anlässlich seiner Jahresversammlung zu einem Bankett im Basler Musiksaal. Bevor den versammelten Vereinsmitgliedern – alles Männer – das Festessen serviert wurde, wurde ein kurzes, von einem Mitglied verfasstes Theaterstück aufgeführt: Die Trachtenmädchen Lotte und Susi betreten den Saal. «Ich hoff mer werde-n-Eich nit stere», beginnt Lotte, doch sie seien neugierig gewesen, was hier los sei. Susi: «Gieb numme-n-acht, ’s kennt dir passiere, dass sie di use thiend spediere. Die Herre sind vom SAC, und die wänd kaini Fraue gseh.» Lotte ist voller Unverständnis: «I ka’s nit glaube, was du saisch, in hitiger Zit – wie du wohl waisch – wo’s Frauestimmrecht do und dert zum ABC vom Fortschritt ghert, da wott der Alpe-Club jetz grad bim Alte blibe? Das isch schad.» Susi fährt fort, der Herrgott habe die Alpen für alle gemacht: «Und sotte unser eins, mir Fraue, die Berg denn nur vo-n-unde b’schaue? Jo woll, das kennt mer grad no g’falle, die Schwiizer Alpe ghere-n-alle.»1 Trotz kämpferischem Auftakt endete die Szene damit, dass die beiden Mädchen den Alpenclubisten Basler Läckerli schenkten und ein frohes Fest wünschten.
Diese Quelle aus dem Fundus des SAC führt mitten in die Thematik meiner Untersuchung: Ein Jahr zuvor, 1918, war der Schweizer Frauen-Alpenclub SFAC gegründet worden, da sich die «Herren vom SAC» trotz wiederkehrenden Diskussionen nicht dazu hatten durchringen können, weibliche Mitglieder in ihren Reihen zu akzeptieren. Einzelne Sektionen des Vereins hatten Frauen bisher als Ehren- oder Passivmitglieder aufgenommen, doch 1908 wurde dem ein Ende gemacht: Gemäss neuen Statuten waren Frauen nicht mehr zugelassen, bereits aufgenommene durften das Clubabzeichen fortan nicht mehr tragen.2
Umso stolzer waren die Schweizerinnen auf ihren neuen Frauenclub: «Toujours plus haut avec fierté!», lautete der Refrain ihres Vereinsliedes.3 Während die von einem Mann erfundenen Trachtenmädchen ihre Ansprüche mit der Gleichheit aller Menschen begründeten, beriefen sich die SFAC-Frauen in ihrem Lied auf Freiheit und Vaterland:
«De l’Alpe nous avons l’amour,
Et nous y chanterons toujours
Les beaux refrains de nos vieux pères
Où vibre une âme ardente et fière,
L’écho des monts nous a porté
Leur cri: patrie et liberté.»4
Ihr Lied zeigt: Die SFAC-Gründerinnen wollten sich nicht etwa in die Reihen der Frauenbewegung einordnen, sondern in eine männliche Tradition. Nicht die Mütter waren es, die ihnen von den Alpen sangen, sondern die «vieux pères». Der SFAC wurde explizit als «kleine Schwester» des SAC und nach seinem Beispiel aufgebaut.5 Die Gründerinnen suchten ihren Aktionsraum zu erweitern und den Männern den alleinigen Zugriff auf den symbolischen Raum Alpen streitig zu machen. Doch sie taten es interessanterweise nicht, indem sie sich vom Männerclub distanzierten, sondern indem sie in die Fussstapfen ihrer Konkurrenten traten. Darauf wird noch zurückzukommen sein.
Dieser Konflikt darüber, ob auch Frauen zum SAC gehören sollten, ist einer von vielen Belegen dafür, dass die Alpen ein umstrittener Raum waren. In den Begriffen von «Besitz» und «gehören» wurde verhandelt, wer sich zu Freizeit- und Ferienzwecken