Die Eucharistie als Opfer der Kirche. Michael Hesse

Die Eucharistie als Opfer der Kirche - Michael Hesse


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dass der Vollzug der Riten, d.h. der Sakramente, der Zeit angehört, ihr Inhalt aber ausdrücklich nicht. Die einmalige Erlösungstat Christi ist zeitlich einmal in der Vergangenheit geschehen und somit vergangen, ihre Gültigkeit gehört jedoch nicht der Zeit an, sondern entfaltet sich im Zeitlosen, d.h. bei Gott. Darin gründet letztlich für Casel die Möglichkeit der Gegenwärtigsetzung der Heilstaten.304 Bereitet dieses Mysterienverständnis in Bezug auf die Sakramente nicht ungelöste Probleme? Blicken wir darum hier nochmals dezidiert auf das Sakramentenverständnis der Mysterientheologie.

       5.4 Sakramenten-Symbolverständnis der Mysterientheologie

      Als gegnerischer Theologieentwurf zu einer Leben-Jesu-Frömmigkeit steht Casels Denkform einer liberalen Theologie und damit z.B. auch Adolf von Harnacks Theologie entgegen.305 Casels Sakramentenverständnis basiert, wegen seiner schon mehrfach erwähnten ablehnenden Haltung der Scholastik, auf dem platonisch geprägten Bildverständnis. In diesem Verständnis holt er sich einen prominenten Theologen als Paten: Thomas von Aquin, der in der Summa Theologica (III q.60a.1) vermeintlich in dieser Richtung denkt. Casel erkennt, dass der Mensch auf Grund seiner Stellung als „Geist in Welt“ für die Vermittlung göttlicher Dinge auf die Dinge dieser Welt angewiesen ist. Das Symbol vereinigt die Elemente des Geistigen mit denen des Materiellen und bezeichnet eine geistige Wahrheit, eine Wirklichkeit, die „dahinter“ steht, eben die göttliche Wirklichkeit. Dieses Symboldenken versteht das Sakrament als Abbild eines Urbildes. Auf dieses Verständnis will Casel wieder zurückkommen, da es durch den Neuplatonismus und den Einfluss des germanischen Denkens zu einer Wandlung des Bilddenkens gekommen ist.306 J.M. Krahe schreibt dazu:

      „Worum es Casel in all seinen Symbolforschungen ging, das ist die christliche Bildidee, die letztlich weder kosmologisch noch religionswissenschaftlich-ethnologisch begründet werden kann – Analogien aus diesen Gebieten können hilfreich sein – ‚sondern einzig christologisch und pneumatologisch. Die christliche Bildidee, d[ass] h[eißt] das christliche Symbol, setzt ontologisch die Menschwerdung Gottes, gnoseologisch ein ganzheitliches Denken und dieses überbietend wie in sich begreifend den Glauben als Gnosis verstanden voraus. Eine solche Schau pflegt Casel als ‚pneumatisch’ zu bezeichnen, eine Aussage, die ohne eine gewisse Kenntnis der Caselschen Geistlehre mehr oder weniger unverständlich bleibt. Die christliche Bildidee, die Casel mit Hilfe bestimmter Vorformen ganzheitlich-menschlichen Denkens beschreiben wollte, hat schließlich im Sinne der Mysterientheologie kein kosmisches, sondern ein ‚pneumatisches’ Geschehen – d[ass] h[eißt] die Mysterien oder Sakramente des Heils – in seiner inneren Wirklichkeit zu deuten.“307

      Das christliche Symbol, wie es in den Sakramenten begegnet, will Casel als durch Christuspneuma vermittelte Heilsgegenwart verstanden wissen, also eine christologische und pneumatologische Grundlegung der Auffassung der Symbolwirklichkeit setzen.308

      Überhaupt bildet die Sakramententheologie als konkrete Christologie bei Casel den Zentralpunkt, um den herum er alle übrigen theologischen Themenbereiche anordnet. Allein behandelt er nie die Sakramente, sondern alles erscheint miteinander verzahnt. Darin zeigt sich wiederum sein unsystematischer Ansatz, wie schon Schilson betont.309

      Das Sakrament wird vor dem Wort, dem rein geistigen, verortet, um der leib-geistigen Verankerung des Menschen und damit zugleich der inkarnatorischen Wirklichkeit gerecht werden zu können. Der Mensch ist demnach Geist in Welt. Das Sakrament wird durch die irdisch-pneumatische Struktur bei Casel zur Vermittlungsinstanz zwischen Spiritualismus und Materialismus. Die Welt wird gleichsam Bestandteil der Liturgie, die von sich aus „opus Dei“ und Mysteriengedächtnis ist. Wort und Sakrament müssen in Gleichberechtigung im Mysterium, in der kultischen Gegenwart Christi (der Logos und Mensch ist), vorhanden sein.310 Das Wort hat auch im Sakrament seine spezifische Funktion, d.h. das Sakrament ist eine Einheit von Zeichen und Worten. Der ganze Wortgottesdienst ist Bestandteil des Sakramentes. Es zeigt sich aber eine Stufung von Wort und Sakrament. Schilson merkt dazu an:

      „Indem Casel den Intellektualismus und Rationalismus im Christentum bekämpft und stattdessen im Kultmysterium die lebendige Christuswirklichkeit als eigentliche Mitte des Christseins bestimmt, misslingt ihm offenkundig eine positive Würdigung des ‚Wortes’ im Kontext des christlichen Glaubens.“311

      Das Sakrament als Ganzes repräsentiert in seinem Symbol die göttliche Idee, d.h. das zeitlose Urbild, das so jeder Zeit gleich nahe ist. Darin zeigt sich erneut, dass die tatsächliche Geschichte Jesu bei Casel als ein Abbild des im ewigen Leben Gottes existierenden Urbildes verstanden wird. Damit zerbricht jedoch Casels Absicht, Symbol und Geschichte gegenseitig zuzuordnen, weil das „Instrument“ des Pneumas es dem Christen unmittelbar die Einsicht in die göttliche Idee ermöglicht, was das Symbol überflüssig erscheinen lässt. Diese Umkehrung des eigentlichen Ansatzes verdankt sich dem übermäßigen Einfluss des platonischen Denkens in dieser Denkform. Gott wird jenseits aller Geschichte gesehen. Die Theozentrik, die durchbricht, hebt letztlich die Christozentrik auf. Die pneumatische Gnosis überspringt die konkrete Heilsgestalt Christi, die das Symbol eigentlich repräsentieren sollte, zur Unmittelbarkeit Gottes hin. Das sakramentale Ziel der Repräsentation der Heilstat Christi wird durch diese Symboltheologie mit ihrer zeitlosen Idee des Göttlichen aufgehoben.312

      Casel gelangt letztlich zu einem differenzierten dreifachen Mysterienverständnis: Zunächst Christus als persönliches Mysterium, der Offenbarung Gottes; als weitere Bedeutung das verkündete Mysterium Christi in der Kirche und als dritte Bedeutung die Kultmysterien der Kirche.313

       5.5 Kritische Würdigung

      Die Sakramente werden von Casel also als Schattenbilder einer dahinter verborgenen Wirklichkeit verstanden, d.h. die Symbole sind letztlich austauschbar. Die göttliche Gabe des Pneumas an das Subjekt ermöglicht diesem die Erkenntnis der hinter den Symbolen verborgenen Wirklichkeit. Schilson zeigt treffend hierzu auf, dass Casel die Gefahr des Dualismus im Platonismus nicht erkennt. Dies äußert sich darin, dass die weltlichmaterielle Wirklichkeit nicht die angemessene Beachtung erfährt, was christologisch zu doketischen Tendenzen bei Casel führt. Ebenso erhält die Geschichtlichkeit, d.h. das Verhältnis von Symbol und Geschichte, Gott und Geschichte wenig Raum. Die vorgetragene, vom platonischen Abbild-Gedanken durchdrungene Denkform, zeigt sich statisch und ontologisch ohne geschichtliche Auswirkung.314 Die Hochschätzung des platonischen Denkens, um das realsymbolische Verständnis bei den Sakramenten zu vermitteln, birgt die Gefahr des weltflüchtigen Dualismus. Zudem wird alle geschichtliche Dimension der Vergangenheit, der Zukunft und auch der Gegenwart aufgehoben in das ewige Heute Gottes.315 Das dialogische Zueinander von Geschichte und Gott geht verloren bzw. steht sich als Gegensatz gegenüber. Das Heil ereignet sich durch das Einbrechen Gottes in die Geschichte bzw. das Ausbrechen des Menschen in die Ewigkeit im Sinne einer Flucht, wodurch die irdische Zeit vernichtet und so zu einer Bedrohung von Geschichte stilisiert wird, wie Schilson die Gefahr einer solchen Konzeption herausstellt. Auf der anderen Seite verbirgt sich hierin eine Verwobenheit von Gott und Welt, so dass göttliche Substanz und göttliches Leben zu Bestandteilen der Welt werden. Das bedeutet für das Symbol eine verborgene Epiphanie des Göttlichen in der Welt zu werden, die dahinter erfahrbar wird. Das bedeutet aber, dass die ontologische Differenz von Göttlichem und Materiellem verwischt wird. Ebenfalls wird die Geschichte zur verhüllten Erscheinung Gottes, die dem Menschen somit die Möglichkeit eröffnet, in die Ewigkeit einzutreten zu können. Dies ist von Casel jedoch in seiner Konzeption inkonsequent gedacht, da so die Sakramente auf eine niedrigere Ebene herabgestuft werden, weil wir zuvor sahen, dass Casel sie eigentlich zur überzeitlichen und immer schon gültigen Christuswirklichkeit rechnet. So zeigt sich hier auch die Gefahr eines Panchristismus. Einerseits will Casels die Welt als den Ort der Sünde, der Gottesferne und der Vergänglichkeit sehen, verkehrt diesen Ansatz nun ins Gegenteil, wenn er die Welt zum Ort der Einlassung Gottes durch Christus in die Geschichte beschreibt, was eine Eigenständigkeit der Geschichte hervorhebt. Es geht Casel jedoch nicht um Rettung der Geschichte, sondern im Gegenteil um Befreiung des Menschen von Geschichte. Daher definiert er die Realsymbole der Sakramente so, dass in ihnen


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