Die Eucharistie als Opfer der Kirche. Michael Hesse
Bei Casel steht immer die Christus gewirkte Erlösung im Zentrum seiner Überlegungen. Daher ist eine genetische Herleitung des christlichen Mysteriums aus den heidnischen unmöglich. Die Analogie ist gleichfalls ausgeschlossen, jedoch nicht eine Abhängigkeit.355 Daraus ergibt sich das Caselsche Verständnis des Christentums, das nicht eine Weltanschauung mit religiösem Hintergrund sein soll. Ebenso soll es mehr sein als ein System von dogmatisch festgelegten Wahrheiten. Auch soll es nicht allein von der Religiosität eines Individuums her geprägte Haltung Gott gegenüber sein. Bei Casel zeigt sich das Christentum als Religion der Christus-Mystik, der Einswerdung mit dem pneumatischen Herrn, Einswerdung mit Christus im Pneuma. Das Leben eines Christen wird dem Leben Christi gleich. Darin zeigt sich ein objektives Lebensprinzip, dass mehr sein soll als das Nachleben des Lebens einer anderen geschichtlichen Person, hier dem Leben Christi (Casels Distanz zur Leben-Jesu-Frömmigkeit und der Ablehnung der liberalen Theologie wird darin deutlich). Was Casel will, ist personale Christusmystik, eine Verbundenheit mit Christus, die das ganze Dasein des Menschen ergreift, was dennoch keinesfalls in individualistische und innerliche Mystik abgleiten soll. Im Christentum geht es demnach um die Gottesbeziehung von Gott und Mensch, die in Christus offenbar geworden ist.356 Es zeigt sich eine Verschränkung von Theozentrik, Christozentrik und Anthropozentrik. Der Sinn des Christentums liegt in Casels Theologie darin, dass der Mensch zum „Christus“ umgestaltet wird. D.h., dass es zu einer Umformung zur Urform, zu einem zweiten Christus kommen soll. Der Mensch ist Abbild Gottes und somit auch als Mysterium bezeichenbar. Es geht Casel um den „wahren Menschen“. Der Christ ist Christus, der neuen άϱχή, nachgebildet. Das Menschsein wird so ganz über die Christozentrik definiert.357
3. Zusammenfassung und Ausblick
Die Menschheit Jesu selbst hat jedoch bei Casel keine hohe Wertschätzung. Es liegt eine „Christologie von oben“ vor, die in Analogie zur Anthropologie zu sehen ist. Der irdische Jesus ist nur da von Interesse, wo es um die Heilstaten geht, die im Credo genannt werden. Das Leben und die Gestalt Jesu erhalten erst von Tod und Auferstehung her ihre Bedeutung. Inspirationsgeber ist dazu der Philipperhymnus, den Casel als eine „Verklärungschristologie“ versteht. Das Problem dieser Konzeption liegt wiederum in der Ausblendung der kontingent-geschichtlichen Ereignisse überhaupt. Der geschichtliche Christus tritt immer mehr in den Hintergrund zu Gunsten des mystischen Christus. Dies tritt in Konkurrenz zum Verständnis biblischer Heilsgeschichte.358
Der Opfertod Jesu, den Casel in seiner Christologie als zentralen Punkt sieht – eine Form von Sühnechristologie – ist schon in der Inkarnation Grund gelegt. Da Jesus Christus den Tod, dem himmlischen Vater gehorsam, auf sich nimmt und aus reiner Agape sich dem Willen des Vaters zur Verfügung stellt, kann das Opfer durch Gott angenommen werden. Die Auferstehung ist dabei das Bestätigungszeichen der Annahme des Opfers. Für die menschliche Natur Jesu ergibt sich daraus die Konsequenz, dass sie nun aufgenommen ist in die Trinität, in das innergöttliche Leben hinein. Jesus hat ein vollkommenes Opfer des eigenen Leibes, das alttestamentliche Vorbilder unvollkommener Opfer hat, zugleich als Opferpriester dargebracht. Weil Gott dieses Opfer annahm, ist es ein vollkommenes, unwiederholbares Opfer geworden und hat Jesus Christus zum einzigen Hohepriester des neuen Bundes werden lassen, zum Mittler zwischen Gott und Mensch.
Die Aufnahme der menschlichen Natur in die Trinität hat laut Casel zur Folge, dass das Sündenfleisch abgelegt und zum Pneuma geworden ist. Das Pneuma Christi und das Pneuma Gottes sind in eins gegeben. Doch es bleibt nicht innertrinitarisches Geschehen, sondern teilt sich wiederum der Ekklesia mit, in ihren Sakramenten. Da der Mensch noch in der Welt lebt, kann er nur im Glauben in den Mysterien bzw. den Sakramenten, die neue durch Tod und Auferstehung Jesu geschenkte Wirklichkeit erfassen, vornehmlich durch den Schleier der ekklesialen Liturgie. Die Liturgie bildet die Brücke, um den zeitlichen Abstand der heute Glaubenden zu den Zeitgenossen Jesu und der real abgelaufenen Geschichte zu überwinden. Letztlich ist das Christusereignis in den Schriften Casels nicht isoliert zu betrachten, sondern in seiner Eingebundenheit in Welt und Geschichte, d.h. konkret in die Kirche. Im folgenden §3 müssen wir nun betrachten, wie Casel die Kirche und das Verhältnis von Christus und Kirche versteht, wenn er die Kirche, wie sich schon angedeutet, als Ort des Pneumas und des Mysteriums Christi sieht. Diese Betrachtung ist umso wichtiger, weil unsere Fragestellung sich ja auf die Rolle der Kirche in und bei der Eucharistie bezieht.
Das Kreuz muss demnach für das Tun der Kirche das Schlüsselereignis sein. Das Geschehen am Kreuz bildet gleichsam die Grundlage aller nachfolgenden Liturgie der Kirche. Im Rinnen von Blut und Wasser vom Kreuz herab, aus dem Herzen des Gottmenschen Jesus, sieht Casel die Quelle und damit den Ursprung der Mysterien der Kirche, die in der Liturgie gefeiert werden. Damit soll hervorgehoben werden, dass es um ein aktives Geschehen vom Herrn her geht. Das Blut soll der Kirche beständig und lebendig zur Verfügung stehen. Am Kreuz gibt Jesus in seinem Herzblut der Kirche Anteil am Leben, um so gleichsam ein einziges Leben zu leben. So entsteht Blutsverwandtschaft, die gleichbedeutend einem Leibe ist.359
§ 3 Die Ekklesiologie Odo Casels
1. Einleitende Gedanken: Inneres Wesen der Ekklesia
Wenn wir das Thema „Eucharistie als Opfer der Kirche“ uns bei Odo Casel verdeutlichen wollen, müssen wir nachfragen, wie er in seinem Theologieentwurf „Kirche“ definiert.
Odo Casel nennt das 20. Jahrhundert das Jahrhundert der Kirche, weil er davon überzeugt ist, dass in dieser Zeit das innerste Wesen der Kirche neu aufleuchtet. Nach seiner Einschätzung ist das Äußere der Kirche so stark in den Vordergrund getreten, dass selbst den einzelnen Kirchengliedern das eigentliche, das innere Wesen mehr und mehr nur noch verschwommen wahrgenommen wird. Er bevorzugt aus diesem Grund in seinen Schriften den biblisch fundierten Begriff Ekklesia, um den Blick wieder auf das innere Wesen klarer zu richten. Er will so dazu beitragen, den Gliedern der Ekklesia diese Wesenheit wieder unverfälscht näher zu bringen, damit sie die Möglichkeit erhalten, die ekklesiale Wesenheit mit der eigenen Seele zu bejahen. In einem ersten Schritt unternimmt er es, den geschichtlichen Verstehensprozess von Ekklesia wieder an deren Entstehungszeit zurück zu binden. Die Urkirche ist ein Fundament seiner Theologie. Das, was die alte Kirche aus ihrer eigenen Daseinsweise schätzte und liebte, so analysiert er, wird im 20. Jahrhundert neu entdeckt: Der Jubelruf der alten Kirche „o Heilige Ekklesia“ drückt die tiefe Verbundenheit mit Christus selbst aus. Der Jubel verdeutlicht in der Urkirche das Verständnis des innersten Wesens des Liebesbundes von Christus und Kirche. Casel spürt in seinen Überlegungen diesem Urverhältnis nach und will es für das „Jahrhundert der Kirche“ fruchtbar machen.360 Es geht ihm nicht um neue Thesen zur Ekklesia, sondern vielmehr um die Beachtung der entsprechenden Texte des NT und daran anschließend auch um verschiedene Vätertexte. Als letzten Schritt stellt er althergebrachte liturgische Texte in den Fokus.361 Gerade die Liturgie ist und bleibt für Casel die eigentliche Bestätigung der Liebesgemeinschaft zwischen Christus und der Ekklesia, einer Liebesgemeinschaft, die sich in Worten und Riten Ausdruck verschaffen muss. Er verweist in diesem Zusammenhang auf eine Aussage des Konzils von Trient, die auch für die vorliegende Arbeit von Bedeutung ist:
„Das Konzil von Trient hat in seiner wunderbar tiefen Behandlung des Messopfers gesagt, dass der Herr, als er von dieser Welt schied, seiner ‚geliebten Braut, der Ekklesia’, die beständige Gegenwärtigsetzung und das Gedächtnis seines Kreuzesopfers übergeben habe. Und nicht nur das Messopfer, sondern die gesamte kultische Betätigung der heiligen Kirche geht hervor aus ihrem bräutlichen Verhältnis zu dem Heiland, ihrem Haupte und Bräutigam. Gerade in der Liturgie zeigt sich die Ekklesia als die liebende ‚Frau362 des Lammes’ (Offb 21,10), als die Braut, die ihrem Bräutigam ganz angehört, als die Gattin, die von seiner Kraft durchdrungen ist, als die Mutter, die das von ihm empfangene Leben nährt und hegt und an ihre Kinder weitergibt.“363
Mit dem Kirchenbild der Ekklesia als Braut haben wir das erste von zwei zentralen Kirchenbildern bei Casel benannt. Daneben ist er dem Bild der Ekklesia als Leib Christi tief verbunden. Dieses Kirchenbild wird aus dem Osterereignis, dem