Qualität in Pfarreien. Thomas Wienhardt
die Teilhabe an der apostolischen Leitungsvollmacht, d. h. die apostolische Sukzession.94 Dabei geht es nicht nur um die Lehre, sondern genauso um das Handeln im Sinne der Apostel:
„Wahrhaft apostolisch ist die Kirche erst, wenn sie in der Nachfolge der Apostel - und d. h. in der Nachfolge Jesu - lebt und wirkt, wenn sie also den ‘Aposteln’, den Erstzeugen und Erstzeuginnen und damit Jesus Christus selbst im orthopraktischen Glaubensvollzug die Treue hält.“95
Apostolizität ist insofern ein Korrektiv, das Kirche im Blick behalten muss. Lehre und Praxis brauchen den Bezug zum Ursprung.96
Grundvollzüge
Die Grundeigenschaften von Kirche sind Grundkriterien. Sie sind „Kennzeichen“ von Kirche. Im Unterschied dazu können die Grundvollzüge
„verstanden werden als Handlungsformen, in denen diese vier wesenskonstitutiven Kennzeichen in der Praxis der Kirche ihre konkrete und erfahrbare Gestalt gewinnen.“97
Diese Ausdrucksformen in der Praxis der Kirche, d.h. die Grundvollzüge, sind also wesentlicher Teil der Praxis von Kirche. Denn damit orientiert sie sich am Handeln Jesu und baut auf seine Präsenzzusagen auf (z.B. in der Weltgerichtsrede, Mt 25,31-46), in denen er sein Bei-Sein verspricht, wenn die Jünger ihm in seinem Sinne nachfolgen. Sie waren auch schon Teil der Praxis der ersten Gemeinden: Apg 2,42-45 beschreibt, dass die ersten Christen an dieser Praxis der Grundvollzüge festhielten.
„Gemeinschaft, Beten, Brechen des Brotes (d.h. Feier des Herrenmahles), Bewahrung der Lehre der Apostel und Hilfe für Bedürftige“98
waren markante Merkmale der Ur-Gemeinden. Diese Praxisformen halten sich als Orthopraxie durch: als Umsetzungsform des Glaubens der Gläubigen. Die Notae“, d. h. die Kennzeichen der Kirche, das Handeln Jesu, seine Präsenzzusagen, die urgemeindliche Praxis und die orthopraktische Umsetzung durch die Gläubigen stecken laut Haslinger die theologische Grundlage für die Bedeutung der Grundvollzüge ab.99
Die Grundvollzüge (Martyria, Leiturgia, Diakonia, Koinonia) sind gegeneinander nicht eindeutig abgrenzbar, wenngleich sie den praktisch-kirchlichen Vollzug differenzieren, und auch nicht untereinander hierarchisierbar. Sie sind zu leben, wodurch Kirche an ihrem Ursprung auch im Heute anschließt.100 Koinonia hat als Grundfunktion ihren Ansatzpunkt bei der fundamentalen Beziehung zwischen Gott und Mensch, die in der Konsequenz auch ein gelingendes, solidarisches Miteinander unter den Menschen herausfordert.101 Martyria, oder auch Verkündigung, beinhaltet die Bezeugung des Glaubens im Heute und den Versuch, das „Größere“ den Menschen verständlich wahrnehmbar zu machen. Dabei geht es nicht nur um Predigt, sondern auch um Gespräche, Katechese, Religionsunterricht, Begegnungen, Rituale, Kommunikationsformen u. v. m. Dabei sollte die Botschaft auf eine Weise erinnert werden, dass sie den Menschen anspricht und anregt.102 Leiturgia oder auch Liturgie erinnert und vergegenwärtigt das Heilsgeschehen. Liturgie ist „Feier“ der Gemeinde. Liturgie ist zentraler Raum spiritueller Vertiefung des Glaubens, an dem alle Getauften partizipieren sollen. Die gottesdienstlichen Formen müssen den Voraussetzungen der Menschen Rechnung tragen.103 Diakonischer Dienst im Sinne Jesu meint an der Seite der Armen und Benachteiligten zu stehen. Übliche Machtmechanismen müssen somit hinterfragt werden.104
Gott kommt den Menschen entgegen. Gott kann also wahr- und aufgenommen werden. Dazu gibt es verschiedene Wege, z. B. das Hören auf biblische Texte, gipfelt aber in der Feier der Eucharistie. Gläubige antworten letztlich auf die Erfahrung dieses Entgegenkommens. In der Liturgie wird die kirchliche Gemeinschaft zu dem, was sie inhaltlich ausmacht. Der Gottesdienst erinnert an Jesus und macht ihn gegenwärtig. Der Mensch erfährt Heiligung und Heilung. Daraus erwächst die Motivation, davon zu erzählen. Die Verkündigung trägt die Botschaft nach außen, sie legt also Zeugnis ab und gibt sie weiter. Im diakonischen Handeln antwortet der Gläubige auf Gott, indem er die Not der Menschen wahrnimmt und Antworten auf deren Leiden und deren Bedürftigkeit sucht. Dazu gehört sowohl ein soziales Einzelengagement als auch ein politisches Wirken. Dabei ist der Gläubige in eine Gemeinschaft (Koinonia) hereingenommen, die von einem guten Miteinander und einem guten gegenseitigen Beistehen geprägt sein sollte: einem Beachten der gegenseitigen Würde und damit des gemeinsamen Priestertums.105
1.1.5 Sakrament des Geistes - Kirche und Welt
Kirche ist gleichsam Sakrament und hat als solches eine trinitarische und damit auch eine pneumatologische Seite.106 Es ist der Geist, der uns in der Kirche Christus immerwieder neu vergegenwärtigt.
„Die Kirche ist also von ihrem Ursprung her beides: Stiftung Jesu Christi und deren Verwirklichung im Geist. Sie ist Institution und Ereignis. Sie besagt Bindung an den konkreten Ursprung und zugleich geistliche Freiheit zu deren schöpferisch-geschichtlicher Vergegenwärtigung. (…) Sie ist in einem sichtbaren menschlichen Gefüge die wirksame Gegenwart und geschichtliche Existenzform des Geistes Jesu Christi. Sie ist biblisch gesprochen ‘Bau im Heiligen Geist’ (1 Kor 3,16 f.; Eph 2,22), dogmatisch formuliert ‘Sakrament des Geistes’.“107
Kirche verweist als Sakrament auf etwas Größeres und ist auf das Reich Gottes angelegt. Sie hat eine „Mission“, einen Auftrag, der sich nach außen, zu den Menschen hin richtet.
Kirche agiert als solches nicht in einem bisher „gottlosen Lebensraum“. Dieser Rahmen ist vielmehr der Rahmen der Schöpfung Gottes, sie begegnet also Menschen,
„die Subjekte ihrer Geschichte mit Gott sind und bleiben. Die Menschen haben bereits eine Geschichte mit Gott, bevor sie vom kirchlichen Handeln in all seinen Dimensionen berührt und angesprochen werden (…).“108
Kirche ist laut Kasper gefordert, auf die schöpferische Kraft des Geistes, die auch außerhalb der Kirche wirkt, zu achten, d. h., die Zeichen der Zeit wahrzunehmen. Und zugleich ist sie damit gefordert, aus diesem Geist heraus zu leben. Das ist nötig, um ihren Auftrag immer besser zu erfüllen. Weil der Geist in der gesamten Schöpfung aktiv ist, muss Kirche auf die Zeichen der Zeit wie auch auf die Entwicklungen in der Gesellschaft achten und fragen, was das für das Wirken der Kirche im Heute bedeutet.109
„Als Christen haben wir also keinen Grund, den Geist in die Mauern der Kirchen eingesperrt zu denken. Im Gegenteil, wir sollen aufmerksam hinhören auf die ‘Fremdprophetie’ des Geistes in den ‘Zeichen der Zeit’. Durch sie kann uns, wie das II. Vatikanum anerkennt, der Geist selbst den Geist des Evangeliums in neuer und tieferer Weise erschließen.“110
Der Blick auf Christus und sein Wirken hilft, das Wirken des Geistes erkennen zu können. Diese pneumatologische Sichtweise fordert zu einer positiven Beziehung von Kirche und Welt bzw. Gesellschaft heraus.
Das Konzil spricht dabei den einzelnen gesellschaftlichen Bereichen