Qualität in Pfarreien. Thomas Wienhardt
verweist zur Beschreibung dieses Phänomens von Kirche auf ein Bild, das schon die Kirchenväter verwendet haben: auf den Mond. Der Mond würde nachts nicht zu sehen sein (wie das bei der Mondfinsternis der Fall ist), wenn er nicht von der Sonne beschienen würde. Dieses Licht wirft er auf die Erde zurück, er wird für unsere Augen sichtbar. So ist es auch mit der Kirche. Sie selbst leuchtet nicht von sich aus, sondern weil sich etwas auf ihr spiegelt. Zumindest sollte dieses Leuchten durch sie deutlich werden. Das ist ihr Grundmoment, sie ist ein Reflektor, sie verweist auf etwas, das über ihr steht.16 Das Konzil formuliert in Lumen Gentium zu Beginn:
„Darum ist es der dringende Wunsch dieser im Heiligen Geist versammelten Heiligen Synode, alle Menschen durch seine Herrlichkeit, die auf dem Antlitz der Kirche widerscheint, zu erleuchten (…). (LG 1)
Kirche ist „mehr“. Sie ist komplex, denn in ihr zeigt sich etwas, das sich in rechtlichen Institutionen oder Organisationen wie Parteien und Vereinen nicht zeigt. Dort geht es um geregelte Einheiten, die letztlich kollektives Handeln vereinfachen sollen. Kirche ist per se anders. Es gibt die sichtbare Seite mit ihren Regeln, der Hierarchie, den Gemeinden und Gemeinschaften, aber es gibt genauso gut das göttliche Element, das durch all diese Elemente wahrnehmbar werden soll. Die institutionelle Seite soll dazu beitragen, dass sich die Gesellschaft immer mehr einem heilvollen Zustand annähert. Das Konzil beschreibt dies mit der Aussage von der komplexen Wirklichkeit:
„Der einzige Mittler Christus hat seine heilige Kirche, die Gemeinschaft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, hier auf Erden als sichtbares Gefüge verfaßt und trägt sie als solches unablässig (…); so gießt er durch sie Wahrheit und Gnade auf alle aus. Die mit hierarchischen Organen ausgestattete Gesellschaft und der geheimnisvolle Leib Christi, die sichtbare Versammlung und die geistliche Gemeinschaft, die irdische Kirche und die mit himmlischen Gaben beschenkte Kirche sind nicht als zwei verschiedene Größen zu betrachten, sondern bilden eine einzige komplexe Wirklichkeit, die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst (…). Deshalb ist sie in einer nicht unbedeutenden Analogie dem Mysterium des fleischgewordenen Wortes ähnlich. Wie nämlich die angenommene Natur dem göttlichen Wort als lebendiges, ihm unlöslich geeintes Heilsorgan dient, so dient auf eine ganz ähnliche Weise das gesellschaftliche Gefüge der Kirche dem Geist Christi, der es belebt, zum Wachstum seines Leibes (vgl. Eph 4,16) (…).“ (LG 8)
Somit ist die Zweiseitigkeit der „Münze“ ein Konstitutivum von Kirche. Wie eine Münze ist Kirche nicht schon der Zweck an sich, sondern dient einem Zweck. Sie ist ein Instrument, ein Werkzeug. Es ist da, es muss entsprechend seiner Funktion eingesetzt werden. Allein die Präsenz des Werkzeugs verweist schon auf das Veränderungspotential, das mit dem Werkzeug verbunden ist. Dies sind Bilder, die versuchen den Auftrag und die Wirklichkeit von Kirche zu beschreiben.
Kirche ist nicht nur Werkzeug, sondern auch Zeichen. Das II. Vatikanische Konzil spricht in der Beschreibung des Wesens der Kirche davon, dass Kirche „in Christus gleichsam das Sakrament“ (LG 1) ist.
„Die Übertragung des Sakramentsbegriffs vermag den klassischen Gegensatz zwischen der Vorstellung der Kirche als unsichtbarer Gnadengemeinschaft und gesellschaftlichen Gebilde zu überbrücken. Innere und äußere Dimension der Kirche verhalten sich zueinander wie die innere Wirklichkeit des Sakramentes (res sacramenti) und die äußere Zeichengestalt (sacramentum tantum). Die Kirche ist nicht eine um sich selbst kreisende und auf ihren Erhalt als gesellschaftliche Institution fixierte Religionsgesellschaft. Die Kirche ist vielmehr im Heilswillen Gottes verankert.“17
Ein Sakrament fungiert als ein Zeichen und Werkzeug und verweist auf etwas anderes, etwas, das nicht unmittelbar sichtbar ist, sondern mit einer Handlung oder einem Gegenstand verbunden ist, so wie Bilder auf Erinnerungen verweisen und Personen wieder sehr lebendig werden lassen. Ein Sakrament verweist auf die Zuneigung Gottes, es macht durch rituelles Handeln die Nähe Gottes zugänglich und erfahrbar. Kirche als Sakrament hat die Aufgabe, als ein Realsymbol auf die Gnade zu verweisen, um so Veränderung zu bewirken. Kirche ist nicht das Licht Christi selbst, sondern der Widerschein.18
Nicht die Kirche, sondern „Christus ist das Licht der Völker“ (LG 1). Sie ist „nur“ Zeichen und Werkzeug. Als Zeichen verweist sie auf die eine transzendente Wirklichkeit, auf Gott und auf sein Heilswirken. „Werkzeug“ beschreibt ihren Dienstcharakter, ihre Instrumentalität: Kirche dient dem Reich Gottes und dem von Gott für die Menschen gewollten Heil. Sie hat einen universalen Heilsauftrag für die Menschen - als „Sakrament des menschlichen Heils“ (LG 59).19 Oder anders gesagt:
„Die Existenz der Kirche ist Proexistenz. Die Kirche ist nicht für sich, sondern für andere da; Kirche gibt es um des Menschen, um der Menschen willen.“20
Kirche ist somit nicht schon das Heil oder Christus selbst, vielmehr verweist sie auf Christus. Zugleich kann das Heil durch sie gefunden werden, Christus wird durch die Kirche gegenwärtig.21 Die folgenden drei Zitate erläutern dies:
„Als ‘Sakrament’ vergegenwärtigt die Kirche die heilende Liebe Gottes in Jesus Christus ‘totum, sed non totaliter’; d. h. sie vermittelt den (geistgewirkten) Gehalt der Liebe Gottes in seiner ganzen Fülle (vgl. Eph 1,23), aber von ihrer (menschlich-endlichen und sündigen) Gestalt her nur in unvollkommener Weise. Das völlige Zusammenstimmen beider Seiten bleibt der vollendeten Gestalt des Reiches Gottes Vorbehalten.“22
„Die sakramentale Wesensbestimmung der Kirche besagt also, dass die Kirche Zeichen und Werkzeug ist für Christus und sein eschatologisches Heil. Durch sie soll das Mysterium, das Christus ist, geschichtlich aufleuchten; die Kirche soll Christus ihre Stimme, ihre Hände und ihre Herzen leihen, damit er durch sie in der Geschichte der Menschen wirksam gegenwärtig sein kann als Hoffnung auf die künftige Vollendung.“23
„Als Volk Gottes und als rechtlich-gesellschaftlich organisiertes Volk Gottes ist die Kirche aber nicht nur Heilsanstalt, sondern die Fortsetzung, die bleibende Gegenwart der heilsgeschichtlichen Aufgabe und Funktion Christi, seine Gegenwärtigkeit in der Geschichte, sein Leben, eben Kirche im eigentlichen und vollen Sinn.“24
Das Verständnis als Sakrament hebt also die komplexe Wirklichkeit von Kirche hervor.25 Mit dieser Wirklichkeit ist das Reich Gottes, das Heil für die Welt schon anfanghaft präsent, auch wenn es erst eschatologisch gesehen zur Vollendung kommt (LG 3, 5, 9).26 Auch das kann durch den Vergleich mit einem Werkzeug verständlich werden: mit dem Einsatz eines geeigneten Werkzeugs z. B. für den Hausbau wird Stein für Stein das Ziel vollendet. „Sakrament“ ist mit Kasper ein „begriffliches Mittel“27, um auszudrücken, dass Christus der Ursprung und Bezugspunkt der Kirche ist und sie zugleich zum Dienst an den Menschen beauftragt ist.28 Der Geist wirkt dabei in der Institution, d. h. auch durch die formalisierten Vorgänge.29 Diese institutionalisierten Formen existieren von Anfang an, z. B. Taufe, aber auch Leitungsamt oder Konzilien.30
1.1.2 Der Auftrag
Nun