Israel als Urgeheimnis Gottes?. Lukasz Strzyz-Steinert

Israel als Urgeheimnis Gottes? - Lukasz Strzyz-Steinert


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und auch Bizarren führte, nicht zu verstehen.

      Zu Przywaras Selbstverständnis, das vom kleinen Kreis seiner Weggefährten geteilt wurde, gehört zweifelsohne ein gesteigertes Sendungsbewusstsein des einsamen und verkannten Sehers, der vor den abgründigen Gefahren warnen und deswegen eine unbequeme, skandalerregende Wahrheit aussprechen muss66. Ein Großteil der Bücher, die er nach dem II. Weltkrieg veröffentlichte, geht auf seine Kriegserlebnisse und auf die in dieser Zeit gewonnenen Einsichten zurück. Seine Warnungen vor der Illusion einer scheinbaren Harmonie und Verklärung der Gegensätze fanden jedoch im politischen, gesellschaftlichen Klima der um Versöhnung und Aufbau bemühten Nachkriegszeit, aber auch im kirchlichen Klima des vorkonziliaren Aufbruchs, kaum Beachtung67, was ihm schwer zusetzte68. Aufgrund der inneren und äußeren Schwierigkeiten konnte er seine großangelegten theologischen Projekte nicht zu Ende führen69.

      In der Abgeschiedenheit des Voralpenlandes, durch seelische Not bedrängt, haderte Przywara mit den Abgründen, in die die Menschheit in den Kriegsjahren geschaut hatte, und die Przywara als eine bleibend gültige Enthüllung der Situation zwischen Mensch und Gott wahrnahm. Im Hinblick auf die Debatte über eine „Theologie nach Auschwitz“, die den Abgrund des Bösen in diesen Jahren zu deuten und denkerisch zu bewältigen suchte, sagte K. Rahner: „Es gibt heute eine ‚Gott-ist-tot‘-Theologie, die sich als dernier cri der christlichen Theologie vorkommt. Wer die Unheimlichkeit des späten Przywara kennt, für den klingt diese Theologie wie ein laues Gerede“70. Gleichzeitig äußert sich Przywara direkt zum Thema „Auschwitz“ nicht.

      Ereignet sich Przywaras Denken in enger Verschlingung mit seiner Existenz und seiner Welt, so ist es zugleich ein betont formales Denken. Przywara verstehen zu wollen, erfordert deshalb, neben der existenziellen Dimension auch die Denkfiguren zu beleuchten, die für seine Aussagen grundlegend sind. In der Umbruchsituation nach dem I. Weltkrieg, in der Przywara sein Wirken begann, sah er sich vor die fundamentale Frage nach dem Verhältnis zwischen Gott und Welt gestellt71.

      Da die Wirklichkeit aus den Fugen geraten ist, können nach seiner Überzeugung ihre Gegensätze in eine produktive Spannungseinheit nur dann zusammengefügt werden, wenn das ganze Gegensatzgefüge, die endliche Welt also, in das rechte Verhältnis zum absoluten Gott eingeführt wird. Um einen Wiederaufbau zu beginnen, müssen zuerst die Fundamente aller geistigen Strukturen freigelegt werden.

      Die Frage nach Gott und Welt stellt Przywara als Frage nach dem Verhältnis zwischen Schöpfer und Geschöpf. Dass die Welt Gottes Schöpfung ist, bedeutet für ihn zuerst, dass sie vom Schöpfer abhängig und auf ihn hingeordnet ist. Diese Abhängigkeit denkt Przywara dynamisch, als eine sich zwischen den Bewegungen des Ausgangs aus Gott und des Wiedereingangs in Gott ereignende Realität. Schöpfung bedeutet für Przywara aber auch, dass die Welt eigenständig ist. Sie wandelt vor Gott. Die Verhältnisbestimmung zwischen Gott und Welt fokussiert sich also auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen der Abhängigkeit der Welt von Gott und ihrer Eigenwirklichkeit vor Gott.

      Przywara ist überzeugt, dass alle philosophischen und existenziellen Fragestellungen der ausgehenden Neuzeit nur vor diesem theologischen Hintergrund zu beantworten sind. Umgekehrt muss sich aber auch die Theologie bewusst werden, dass allen ihren inhaltlichen Aussagen immer formale Diskursstrukturen vorausgehen. Um den Wissenschaftsstatus einer Disziplin zu rechtfertigen, müssen ihre formalen Prinzipien geklärt werden. Auch Religionsphilosophie und Theologie haben eine spezifische, ihrem Gegenstand entsprechende Methode, die unbedingt beachtet werden muss72. Diesen formalen Strukturen der Gottesrede gilt Przywaras Leidenschaft. Er ist überzeugt, man müsse zuerst die Frage der Religionsphilosophie und Theologie überhaupt beantworten, bevor man sich in eine inhaltliche Auseinandersetzung begibt. Nur so kann eine befreiende Lösung für die verfehlten und „peinlichen“73 Fragestellungen, die so manchen erbitterten wie kontraproduktiven theologischen Debatten zugrunde liegen, herbeigeführt werden.

      Die Gegenwart zeichnete sich in Przywaras Ansicht durch zwei scheinbar gegensätzliche Richtungen aus, die das Verhältnis zwischen Gott und Welt zu bestimmen suchen. Przywara bezeichnete sie als Pantheismus und Theopanismus74. Was ihn interessiert, ist die Architektur und der Grundimpetus dieser Denkrichtungen. Die Parolen, in denen sich die Hauptanliegen dieser Strömungen verdichten, hießen, seiner Analyse entsprechend, „Welt allein“ oder „Gott allein“. Das Verhältnis zwischen Gott und Welt wird entweder als einseitige Immanenz oder als einseitige Transzendenz, als Identität oder als Widerspruch aufgefasst. Echte Begegnungschancen zwischen ihnen werden hier aber schon im Keim erstickt, da die beiden Richtungen die Unterschiede und somit die Spannung zwischen Schöpfer und Geschöpf aufheben. Das Herzstück des christlichen Glaubens, das Paradoxon der Menschwerdung Gottes, wird entstellt. Bald wird Gott vermenschlicht, bald wieder der Mensch vergöttlicht.

      Auf den ersten Blick scheint sich die Neuzeit durch Gottesleugnung und -verdrängung zu charakterisieren. Genauer betrachtet empfindet der neuzeitliche Mensch die Welt als absolut, zieht das Göttliche an sich heran und macht es zu einem immanenten Weltelement, zum Horizont aller Fragen und zur Chiffre des Daseins75. In der Philosophie, wie bei Kant oder Hegel, wird über Gott gesprochen, aber er wird in gewaltige Systeme eingeschlossen. Diese Verweltlichung und Vermenschlichung Gottes vollzieht sich aber auch in der Theologie, vor allem bei Schleiermacher und dem liberalen Protestantismus, wo Gott in die Innerlichkeit des Menschen eingeschlossen wird. Was am Ende bleibt, ist „Gott als Mittler zu meiner Seligkeit und Ruhe“76. Es geht nur noch darum, „Gottes habhaft zu werden in eine irdische Beruhigtheit“77. Gott ist somit eine Dimension der Welt, er ist ganz in der Welt und so ist auch die Welt und der Mensch alles.

      Die Neuzeit bedeutet aber zugleich ein von Fortschrittsoptimismus berstendes Weltgestaltungsprojekt. Dieser Glaube an die absoluten, in der Welt und im Menschen schlummernden Möglichkeiten wurde durch die Katastrophe des I. Weltkrieges zutiefst erschüttert. Die als sicherer Hort geglaubte Welt flog ja „in Fetzen“ auseinander. Auf einmal steht die Welt als elend da, was viele dazu bewegt, woanders nach Sinn und Erfüllung zu suchen. „Als im Weltkrieg die Weltseligkeit der ganzen Neuzeit zusammenbricht in ein neues Chaos, bricht vulkanisch die Frage um Gott auf“. Ein „leidenschaftlicher Theozentrismus“78 wird erneut zum geistigen Grundmotiv der Zeit und Przywara verschreibt sich diesem von Barth initiierten Protest gegen alle Versuche, sich Gottes zu bemächtigen.

      Diesem Theozentrismus, wie er sich in der Stunde der Nachkriegszeit manifestiert, attestiert Przywara jedoch eine verhängnisvolle, weltverachtende Einseitigkeit. „Gott wird leidenschaftlich bejaht, aber als Glorie über der Welt, nicht als Macht und Vollmacht in der Welt“79. Dadurch enthüllt sich die Gottesidee dieses Theozentrismus als eine Verklärung der Wirklichkeit, die die Frage ausblendet, wie die sinneshafte, reale Welt der Raum der Gotteserfahrung sein kann. Die Kultur und das Tun der Menschen werden radikal entwertet und verlieren den Bezug zu Gott. Durch diese Einseitigkeit kann der Theozentrismus nicht die heilende Überwindung der Vergöttlichung der Welt sein, da die Welt de facto als Gott-los betrachtet wird. Der völlig ‚Andere‘, wie Gott hier gesehen wird, ist eine „reine ‚Negation‘“, „das Nein zur Kreatur alles alleinwirklichen und alleinwirksamen Ja“80. Gott ist ganz über der Welt. Gott ist alles, die Welt verschwindet in ihm.

      Das, was nach zwei gegensätzlichen Lösungen aussieht, sieht Przywara jedoch als zwei Momente des einen dialektischen Umschlags, für den Luthers Protest gegen die verweltlichte Kirche steht und der die Geburtsstunde der Neuzeit kennzeichnet81. Hier meint Przywara den Geburtsfehler der Neuzeit gefunden zu haben. Indem die Reformation dem selbstherrlichen Humanismus der Renaissance die universale Sündenverfallenheit des Menschen entgegenstellt und Gnade als das alleinwirksame Prinzip erfasst, spricht sie dem Menschen jegliche Eigenwirksamkeit ab. Es ist ausschließlich der gerechtmachende Gott, der im restlos korrupten Menschen wirkt und alles Menschliche wird lediglich zur „Erscheinungsform“ Gottes82. Auf diese Weise meint Przywara in der Einseitigkeit des Theozentrismus die Fundierung der Identität zwischen Gott und Mensch, das Prinzip


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