Israel als Urgeheimnis Gottes?. Lukasz Strzyz-Steinert
Nähe Gottes der im voraus Wissende sein zu wollen, nämlich einer, der schon zuvor und für immer um eine je größere Unähnlichkeit und Ferne Gottes zu wissen meint. Liegt nicht vielleicht auch ein dämonischer Trotz in dem doch aus Demut gesprochenen Wort Augustinus: ‚Du, magst Du auch sagen: Freund, ich doch bekenne: Knecht!‘?“153
1.2.4 Theologia crucis et tenebris
Das 1932 erschienene Werk Analogia entis I gilt als Przywaras Hauptwerk, in dem sein formales metaphysisches Denken seinen Höhepunkt erreicht. Diese Veröffentlichung markiert aber auch den schon erwähnten signifikanten Wendepunkt in Przywaras Gesamtwerk. Die Sorge um die Verhältnisbestimmung zwischen Gott und Welt bleibt weiterhin bestimmend. Przywaras titanisches Ringen um die Ausarbeitung der Formel der analogia entis kann aber als eine Beweisführung der Unmöglichkeit verstanden werden, das christliche Verhältnis zwischen Gott und Welt in metaphysischer Sprache auszudrücken. Die religiös-mystische Dimension wird immer stärker. Vollzog sich Przywaras Thomasinterpretation und sein metaphysisches Denken von Anfang an unter dem Einfluss der Tradition der theologia negativa154, so wird diese nun dominierend und die offenbarungs- und geschichtstheologischen Themen lösen die religionsphilosophischen weitgehend ab. Przywaras an metaphysischen Termini gereifter Denkansatz verdichtet sich in zwei Symbolen: Kreuz und Nacht.
Schon um 1930 ist der Entschluss gefasst: Die Frage um das Verhältnis zwischen Gott und Welt muss als „Ruf ins Kreuz“155 vernommen werden. Nur auf diesem Weg kann die Mitte zwischen Gott in der Welt und Gott über der Welt gefunden werden. Wenn Przywara in seinem letzten großen Werk Mensch (1958) das Hauptanliegen der Analogie-Methode noch einmal zu verdeutlichen sucht, dann wird es graphisch dargestellt. Die beiden Analogien, die aristotelische waagrechte und die lateranensische senkrechte, durchscheiden sich und so „steht mithin das letzte Formale von ‚Analogie‘ gleichsam im ‚Koordinaten-Kreuz‘ dieser Rhythmus-Richtungen“156. Przywaras religionsphilosophisches Ringen um die Verhältnisbestimmung zwischen Gott und Welt entwickelt somit dieselbe Dynamik, die für den Mutterboden seiner Religiosität, die ignatianischen Exerzitien, charakteristisch ist157. Polarität und analogia entis scheinen Instrumente zur Verortung des christlichen Mysteriums zu sein, ähnlich dem, was über Przywaras großen Exerzitienkommentar Deus semper maior gesagt wurde: „In ‚Fundament‘ und ‚Erste Woche‘ sind die Grundlagen des Welt- und Menschenbildes gezeichnet; sie sind aber nicht mehr als der Boden, in den das Kreuz Christi eingesenkt wird“158.
Die je größere Glorie Gottes, auf die Przywaras Denken der analogia entis zielt, kann immer vom Menschen als eine Steigerung irdischer Pracht und Stärke verstanden und auf Gott projiziert werden. So stellt Przywara unmissverständlich klar, dass die Größe Gottes die Größe einer Liebe ist, die dem Menschen gerade als Torheit und Schwachheit vorkommt. Die einzige Sichtbarkeit dieser Liebe ist der menschgewordene Gott, dessen irdische Existenz wesenhaft unter dem Schatten des Kreuzes sich vollzieht und dem Hochmut der sündigen Existenz entgegentritt159. Nur durch die Hingabe an die verborgene Gottheit wird der Mensch der unermesslichen Glorie der verborgenen Gottheit teilhaft160.
Das Mittel schlechthin ist dazu „das Mysterium des Kreuzes gegen alle ‚ismen‘“. In dieser Hinsicht schließt sich der Jesuit dem Anliegen Martin Luthers an. „Zurück zum Kreuz Luthers“ gilt für alle, da es von allen verlangt, die menschlich-erbsündigen Konstruktionen aufzugeben und sich in das Mysterium der erlösenden Liebe hinein zu geben, „von Protestanten aus ihren Idealismen heraus, von Katholiken aus ihren Gloriolismen heraus“161.
Wie M. Zechmeister schreibt:
„Nicht mehr das über sich hinausverweisende Gleichnis wird im Alterswerk Przywaras das letzte sein, sondern der klaffende Widerspruch. Indem Przywara das Scheitern eines wie immer errungenen denkerischen Ausgleichs durchleidet, reduziert sich sein theologischer Ansatz immer mehr in eine theologia crucis. Allein das Kreuz, als Zeichen des Widerspruchs, als das ‚mysterium absconditum sub contario‘ ist Zeichen der Einheit zwischen Gott und Welt“162.
Die Paradoxie des Kreuzes besteht in diesem Ineinsfall von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit Gottes163. Die ignatianische Umkehr der Perspektive, die in der ersten Woche der Exerzitien empfohlen wird, bedeutet für Przywara „das Setzen der Nacht“ (er spricht von „Nykto-Thetik“)164. Das Betrachten aller Dinge im Licht Jesu Christi besagt nicht eine einfache Zunahme an lichter Erkenntnis, sondern eine Begegnung mit dem dunklen Skandal der Mensch- und Kreuzeswerdung Gottes und bedingungsloser Dienst, liebende Hingabe in die Nacht der Welt und in die Nacht Gottes hinein165, im Geiste des hl. Ignatius und noch mehr der Nachtmystiker des Karmel166.
Der Mensch wird durch die Gegensätzlichkeit der Wirklichkeit in die letzte Nacht des Nichtverstehens und der Haltlosigkeit hineingestellt. Und erst in diesem „Stand in Nacht“167 erfährt er Gott als den unbegreiflichen Wirklichkeitsgrund. Die Nacht der Welt ist ein Medium der Offenbarung des Lichtes Gottes, das den Menschen blendet und ihm als Finsternis, als dunkle Nacht vorkommt. Das Gottgeheimnis der Welt muss „aufdunkel[n]“168. Gott und Mensch sind sich am nächsten in der letzten Nacht, da der Mensch sich in ihr dem unbegreiflichen Gott gänzlich hingeben kann. So ist diese Nacht „ein wahres, aber dann unerhörtes, geheimnisvoll unverstehbares Teilhaben an der ‚hell-lichten Finsternis‘, wie Dionysius den arkanen Namen Gottes nennt“169.
In seiner kleinen Schrift Summula, die auf Przywaras theologische Vorträge während der letzten Kriegsjahre zurückgeht, zeichnet er seine Methode als einen Prozess. Der Weg der Gotteserkenntnis führt von einer theologia directa positiva, die eine theologia lucis der geradlinigen Erfassung Gottes in Bild und Gleichnis ist, zu – da sich die Bilder und Gleichnisse doch widersprechen – einer theologia indirecta dialectica, die eine theologia tenebrarum ist. Als eine theologia negativa sagt sie, was Gott nicht ist. Aber ausgerechnet als solche ist sie zugleich eine theologia excessus, eine Theologie des göttlichen Überschwangs über allem, was über Gott gedacht oder erfahren werden kann. Jede geradlinige Erfahrung oder Erahnung Gottes muss durch das Widersprüchliche in die Nacht hinein, um in der Nacht Gott als den je immer größeren Gott zu erfahren.
„Gott ist dieses Supra, dieses je neu, je größere, je unfaßlichere Über schlechthin. Als dieses Über überkommt und überfällt und überschattet Er jeweils neu und neuer, groß und größer, unendlich und unendlicher, unfaßlich und unfaßlicher, unsäglich und unsäglicher, – überkommt und überfällt und überschattet Er Seinen Menschen im Wirbel der Widersprüche, in der Finsternis und Leere des Nichts, – überkommt, überfällt und überschattet Er ihn mitten hinein in den Überschwang Seines Über: ihn zu überschwenden in den Überschwang Seiner hochzeitlichen Liebe“170.
„Denn Tod und Auferstehung sind eins“171, schreibt Przywara. Theologia tenebrarum ist mit der theologia excessus unauflöslich verbunden, aber so, dass sie den letzten, für den Menschen unüberbrückbaren Abgrund aufdeckt, der sich zwischen ihm und dem Gott des Lichtes und des Lebens erstreckt.
Es ist eine bisweilen exzessiv negativierende Denkfigur. In seinem Kampf gegen jede Form der Identität, gegen die evacuatio crucis und für das Paradoxe des Kreuzes als Unterscheidungskriterium jeder Aussage über Gott und Welt, zerstört Przywaras Denken alles Geformte172, als ob er sich todesmutig in alle Grausamkeiten der Welt hineinwagen oder Gott herausfordernd von der Tempelzinne hinabstürzen wollte. „Je ungeschminkter die Grenzen menschlicher Sterblichkeit beschrieben, je ernster die Ausweglosigkeit der Situation betrachtet wird, desto tiefer vermag sich die Gegenwart Gottes zu offenbaren“173.
1.2.5 Denken zwischen Dialog und „ungerechter Klassifikatorik“
Schon beim ersten Blick auf Przywaras Schrifttum sticht heraus, dass sein Denken sich grundsätzlich in Begegnung und Auseinandersetzung mit anderen, historischen oder zeitgenössischen Gesprächspartnern ereignet. Die Palette von historischen oder zeitgenössischen Theologen, Philosophen, Vertretern des kulturellen und politischen Lebens, mit denen Przywara dialogisiert, streitet und sie in Zusammenhang mit unzähligen anderen in Verbindung