Israel als Urgeheimnis Gottes?. Lukasz Strzyz-Steinert

Israel als Urgeheimnis Gottes? - Lukasz Strzyz-Steinert


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Dialektik reformatorischer Religiosität enthüllt sich geradezu als Urgrund der Dialektik der Neuzeit“85. Die zwei extremen Lösungen, Pantheismus und Theopanismus, münden also in eine unmögliche Konfusion, wie es die Geschichte der gegenseitigen Beeinflussung von Theologie und Philosophie bezeugt86.

      Überwunden werden kann diese fatale neuzeitliche Dialektik zwischen Pantheismus und Theopanismus nur aus dem Ur-Katholischen Prinzip der „Einheit Gottes mit der Welt und Unterschiedenheit von ihr“87 heraus, dass sowohl die transzendente Welterhabenheit Gottes als auch die immanente Gegenwart Gottes in der endlichen Welt atmet. Nur so kann die faktische Welt eines ständigen Wandels mit Geduld und Nüchternheit bejaht und angenommen werden.

      Die Fraglichkeit der vereinfachenden Beurteilung des lutherischen Grundprinzips und seiner tatsächlichen Auswirkungen auf die Neuzeit wird Przywara im Laufe seines Denkweges selbst aufgehen. Dieser Aspekt wird nicht nur korrigiert, sondern einen erheblichen Einfluss auf sein Denken gewinnen. Entscheidend ist hier jedoch der Grundimpuls von Przywaras Denken, das mithilfe seiner Positionierung zwischen den zwei Extremen formuliert wird. Die Unbedingtheit, nach den letzten Strukturen des Verhältnisses zwischen Gott und Mensch zu fragen und alle noch so verdeckten Formen der Identität zwischen Gott und Mensch zu demaskieren, bestimmt jedoch Przywaras Denken auf all seinen Etappen und in jeder inhaltlichen Bezogenheit. Die auf die erste Formulierung der Diagnose des grundlegenden Problems der Gegenwart folgenden Jahrzehnte, durch Krisen und Radikalismus gekennzeichnet, wie auch die persönlichen Brüche werden Przywaras Fragen nach dem unfassbaren Begegnungspunkt zwischen Gott und Welt immer zuspitzen. Die ausgehende Neuzeit ist eine Umbruchsituation, in der alle, auch die religiösen Verdeckungen schonungslos beseitigt werden müssen. „Die Aufklärung hat alles aufgeklärt, bis auch der Abgrund wieder klar ist“88.

      Der erste methodologische Ansatz, den Przywara herausarbeitet, um das Verhältnis zwischen Gott und Welt, und weiter zwischen allen innerweltlichen Gegensätzen zu bestimmen, heißt Polarität. Die Überwindung der Atomisierung des neuzeitlichen Weltbildes und die Versöhnung der antagonistischen Wirklichkeit kann nicht durch ein neues Entweder-Oder herbeigeführt werden. Das Losungswort des Katholizismus heißt nicht Gott oder Welt, sondern Gott und Welt, was ja auch eine grundsätzliche Bejahung der Wirklichkeit mit sich bringt. Die Welt ist nicht Gott, aber die Welt ist der Raum, in dem sich Gott offenbart.

      Alles, was konkret und lebendig ist, ist auch gegensätzlich und befindet sich im ständigen Wandel. Das gilt vor allem für den Menschen als Inbegriff der geschaffenen Welt. Er existiert zwischen den Gegensätzen Leib und Geist, Mann und Frau, Individuum und Gemeinschaft89 eingespannt und ist nie nur das eine oder nur das andere. Folgerichtig kann der Mensch nur in der jeweiligen Gegensatzspannung gesehen werden: „erst das Zueinander beider ist ‚der Mensch‘“90. Vor allem gilt aber, dass der Gott der Menschwerdung ein Gott „so ungeheurer Spannung der Gegensätze“91, der „Schwebe“ zwischen den Gegensätzen ist92. Es ist also alles daran gelegen, dass der in Christus erlöste Mensch einsieht, dass „eine echte Lebenslösung und gerade eine Lösung von Gott her nicht gegensätzlich über dem Menschen stehen darf, wie sie vielmehr (gerade als Lösung der ‚Menschwerdung‘!) im Leben sein muß, im Leben als neuer Rhythmus seines Gegensatzspiels selbst“93.

      Da diese Gegensätzlichkeit unbequem, ja sogar schmerzlich ist94, versucht der Mensch dieser Last zu entfliehen und klammert sich an nur eine Seite der Wirklichkeit, die ihm jeweils als die Lösung vorkommt. Damit erstarrt aber das Lebendige zum unwirklich Statischen, um dann zum bedrohlich Chaotischen zu werden. Die Not verschlimmert sich dadurch, da der als die Lösung geglaubte Gegenpol in einen immer größeren Widerspruch zu anderen Polen der Wirklichkeit gerät. Eine lebensvernichtende Zerrissenheit nimmt zu, „so wird Fremdvernichtung zu Selbstvernichtung, Riß ins Nichts im Quell des Seins“95. Der gordische Knoten des Realen kann aber auch nicht mit einer Gottesidee durchhaut werden96. Gott muss auch als Macht innerhalb der Wirklichkeit erfahren werden. Wie zwei Titel von Przywaras Polaritäts-Schriften, Wandlung und Gottgeheimnis der Welt97, programmatisch zur Sprache bringen, versucht er vor allem, die Welt in ihrem dynamischen Aspekt ins Verhältnis zu Gottes Transzendenz zu setzen und zu zeigen, wie das wandelbar Gegensätzliche der Welt Raum der Begegnung mit Gott ist. Jeden versuchten denkerischen Ausstieg aus dem Gegensätzlichen, und somit Nicht-Absoluten und Endlichen, bewertet Przywara als Versuch, im Bereich des Geschöpflichen einen festen, ja absoluten Standpunkt zu gewinnen und sich somit vom Schöpfer loszulösen. Dem kreatürlichen Sein muss auch die Gegensätzlichkeit des Bewusstseins entsprechen98.

      Deswegen formuliert er auf dem Höhepunkt der „Katholischen Wende“, während der Herbsttagung des katholischen Akademikerverbandes im August 1923, seine These:

      „Nicht die ruhelose Antithetik eines ‚Entweder-Oder‘ zwischen Objekt-Subjekt, Werden-Sein, Person-Idee – das ist das Ergebnis unseres bisherigen Miteinanderdenkens und -ringens – nicht diese Antithetik kann uns den Weg der Lösung weisen. Was wir brauchen und was wir heute darum als unser Programm aufstellen, ist eine Philosophie des Ausgleichs, eines Ausgleichs nicht ‚heute für immer‘, eines Ausgleichs vielmehr ‚ins Unendliche weiter‘: Die Philosophie der Polarität, gleichweit entfernt von einer Philosophie ruhelosen Umschlags, wie statischer Mitte, die Philosophie dynamischer Polarität“99.

      Die Antwort auf die Not der Zeit muss in der Fähigkeit bestehen, die verschiedenen Ansätze, die jeweils etwas über einen Aspekt des Ganzen aussagen, zu einer Einheit zu bündeln. Diese Einheit ist aber keine Homogenität oder Verabsolutierung bloß eines Standpunktes100. Sie ist nur im Geiste der katholischen Weite möglich, die die polare Verschiedenheit zu schätzen weiß101.

      Die polare Denkfigur entdeckt Przywara als die formale Gemeinsamkeit bei den großen Lehrern des christlichen Lebens. Bei Augustinus ist es die Formel „Deus interior et exterior“102 und die Religiosität „eine[r] fürchtende[n] Liebe und eine[r] liebende[n] Furcht“103. Augustinus’ Religiosität zeichnet sich dadurch aus, dass in ihr „Gesetz und Freiheit, Furcht und Liebe“ einerseits „in äußerster Feindlichkeit“ erscheinen, andererseits aber das Ergebnis doch „Freie Knechtschaft“ und „liebende Furcht und fürchtende Liebe“ heißt104.

      Dieselbe Polarität findet sich bei Thomas von Aquin wieder, der das Wesentliche des Problems des Verhältnisses zwischen Gott und Geschöpf, die Frage nach der Spannung zwischen Allwirksamkeit Gottes und Eigenwirksamkeit des Geschöpfes behandelt. Die sich auf Platon berufenden Schulen, die das göttlich Absolute als das eigentliche Sein betrachten, betonen demzufolge einseitig, dass alles, was geschieht, vom Göttlichen her geschehe. Der Aristotelismus, für den das Göttliche im Bewegungskreis des Geschöpflichen untergeht, sieht somit fast nur die Eigenwirksamkeit des Geschöpfes. In Przywaras Sicht wurden die zwei Einseitigkeiten durch Thomas’ von Aquin Lehre von der causa secundae abgelöst und die beiden Prinzipien zu einer Gegensatzspannung zusammengebunden. Das Geschöpf, obwohl vom Schöpfer gänzlich abhängig, wurde mit Eigen-Dasein begabt. Deswegen schließt die Allwirksamkeit Gottes die Eigenwirksamkeit des Geschöpfes nicht aus, sondern ermöglicht es. Gott wirkt alles, aber auch das Wirken des Geschöpfes hat seinen Eigenwert105.

      Richtungsweisendes für die theoretische Bewältigung der Erfahrung der Gegensätzlichkeit findet Przywara schon in seinem frühen Thomasstudium, wo ihm die distinctio realis, die Unterscheidung zwischen dem Sosein (Essenz) und dem Dasein (Existenz) im endlichen, geschaffenen Sein aufgeht, die im göttlichen Sein nur eine distinctio rationis ist106. Alles, was existiert, befindet sich im Zustand eines stetigen Wandels. In dieser Erfahrung lassen sich zwei Gegenpole individuieren. Es ist einerseits die Essenz, das wesenhafte ‚Ist‘, das „in der Erfahrung der Fülle des Werdestromes immer stärker in der Fülle seiner seinshaften Unendlichkeit erfahren wird“107. Andererseits ist es aber die Existenz, die Erfahrung des ‚Ist‘ als eines reinen Übergangs zwischen ‚War‘ und ‚Wird‘, als eines „ist-losen Fließens“108. Endliches Sein ist zwischen diesen beiden Polen ausgespannt, da in ihm Essenz und Existenz nicht identisch sind109. Darin


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