Israel als Urgeheimnis Gottes?. Lukasz Strzyz-Steinert
zu einem „radikal Revolutionären“133, zu einer Dialektik zwischen Gott und Welt.
Das Letzte der Analogie ist also das Hinausschwingen des weltlichen Rhythmus in die Unendlichkeit Gottes. „Der aristotel.[ische] ‚Kreisumschwung des All‘ wird gleichsam über sich hinausgerissen“134 in das Geheimnis der unausforschlichen und unausspürbaren Wege Gottes, das aber auf das Gleichnis dieser Welt zurückweist. Über allem und in allem innerweltlichen Rhythmus waltet der Rhythmus des souveränen Gottes, „von dem erst alles ‚All-Rhythmus‘ ausgeht, in dem er schwingt u.[nd] in den er wieder eingeht“135. Anhand von soeben zitierten konzisen Lexikonartikeln Przywaras versuchen wir in den dort angegebenen fünf Schritten die wichtigsten Konsequenzen von Przywaras Auffassung der analogia entis hervorzuheben.
Das erste und absolut Entscheidende von Przywaras Analogie-Lehre ist also der dynamische Vorrang des Anders (in der aristotelischen Analogie) und der je immer größeren Unähnlichkeit (in der lateranensischen Analogie) vor jeder Gemeinsamkeit und Ähnlichkeit. Somit mündet die analogia entis in kein System oder eine fassbare Lösung. Schon in der kleinsten Gemeinsamkeit zwischen Schöpfer und Geschöpf tut sich der Abgrund der Verschiedenheit auf. „Es bleibt nur eine ‚reductio in mysterium‘: Rückführung aller ‚noch so großen Ähnlichkeiten‘ in das ‚βάϑος‘, die unbegreifl.[iche] Über-Höhe u.[nd] Un-Tiefe der ‚je immer größeren Unähnlichkeit‘“136.
Zweitens besagt die analogia entis, dass im Bereich der Metaphysik die reductio in mysterium eine Rückführung jeder Ähnlichkeit zwischen den „Seins-Weisen des All“ in den dunklen und unbegreiflichen „In-Eins-Fall der Gegensätze“137 bedeutet. Da der Rhythmus der waagrechten Analogie zwischen den Gegensätzen immer schon durch den Rhythmus der senkrechten Analogie des „je über hinaus“ bedingt ist, verschließen sich die Gegensätze nie zu einer abgerundeten Gestalt und kommen nie zum Erliegen. Die kreatürlichen Gegensätze genügen und erklären sich nicht selbst. Jede geschaffene Gestalt wird kraft der Analogie aufgebrochen auf das über sie hinaufschwingende Geheimnisvolle, das sie aber zugleich im Dasein erhält. „Analogie als All-Rhythmus bedeutet das Zerbrechen alles endlichen Eigenseins und Eigenstandes, aller ‚Gestalt‘, zum frei faktischen Einschwingen in das kosmische Geheimnis des Gottes, der ‚tötet und lebendig macht‘“138.
Drittens hebt Przywara hervor, dass das IV. Laterankonzil, wenn er über die analogia entis spricht, sich nicht mit irgendeiner Form der natürlichen Beziehung zwischen Gott und Geschöpf befasst, die dann in eine übernatürliche Beziehung der volleren Einheit, in der das Gesetz der Ähnlichkeit Oberhand gewinnen würde, überhöht werden könnte. Analogia entis gilt keiner natürlichen Theologie, die im Gegensatz zur Offenbarungstheologie stehen könnte. Das Konzil formuliert seine Lehre gerade „Aug in Aug zur höchsten, übernatürlichen Einheit und für jegliche Einheit überhaupt. Denn es erklärt dieses Gesetz Aug in Aug zum Supranaturalismus des Joachim von Fiore, für den das Eins im pneumatischen C.[orpus] Chr.[isti] m.[ysticum] mit dem Eins der drei göttlichen Personen zueinander sich ununterschieden bindet“139. Das Konzil spricht über die Einheit der drei göttlichen Personen in sich und über die Einheit der Gläubigen mit und in der trinitarischen Einheit, und gerade dort betont er die Unähnlichkeit zwischen Gott und Geschöpf. Von da aus gilt diese je immer größere Unähnlichkeit für jedes mögliche, auch und gerade für das teologale, Verhältnis von Gott und Geschöpf und wird somit „zum ersten, letzten und allumfassenden Grundgesetz jeder möglichen Theologie. Theologie bedeutet im höchsten Sinn ‚reductio in mysterium‘: Rückführung alles theologisch Angebbaren ins unangebbare Mysterium“140. Jede ‚gefundene‘ theologische Aussage ist soweit eine gültige Aussage über Gott, insofern sie eine reductio in mysterium vollzieht. Przywara denkt die Analogie von der augustinischen Gotteserfahrung her: „Si comprehendis, non est Deus. Wenn Du ihn begreifst, in diesem Augenblick, ist es nicht Gott. Ihn begreifen wollen heißt Ihn leugnen. Das ist das schneidende Wort des vermeintlichen Theologen der Unmittelbarkeit, das wahre Wort Augustinus“141. Przywara will, dass sein Denken der Analogie verstanden wird als Ausdruck für „die ‚einfältige Weisheit‘ davon, daß ‚Gott jeweils größer ist‘, wirklich ‚simpel‘ ist, und eben darum, nach dem Evangelium, ‚geoffenbart zu den Kleinen und Unmündigen, und verhüllt vor den Klugen und Weisen‘“142. Przywara weiß aber auch: „Schon der große Möhler sagte einmal, daß es niemand so schwerfalle, wie den Theologen zuzugeben, daß alles zuletzt unbegreiflich ist“143.
Viertens betrifft die analogia entis nicht nur das Sein, sondern auch die „Erfassung des Seins“. Das menschliche Denken steht nicht über dem Sein, sondern gehört zu ihm und ist durch seine Endlichkeit geprägt. Deswegen entspricht der Analogie im Sein die Analogie im Denken. „Weder in Metaphysik noch in Theologie gibt es die Möglichkeit eines ‚direkten einlinigen‘ Erfassens, sondern einzig den Weg eines ‚analogen‘ Erfassens: durch alle ‚noch so großen Ähnlichkeiten‘ (der Bilder oder Gleichnisse oder Begriffe) hindurch in die ‚je immer größere Unähnlichkeit‘ (eines jeweiligen ‚Ganz Anders‘)“144. Jedes Sein, das real existente Dasein und das ideale Sosein, kann nur analog, als Geheimnis erkannt werden. Przywara stemmt sich gegen jede Abschwächung des Differenzmoments im Erkennen. Schon innerweltlich gilt, dass jedem Begreifen ein Zuwachs an nichtbegrifflichem Mysterium entspricht. Dieses geheimnisvolle „Anders“, dem der Mensch überall erkenntnishaft begegnet, ist jedoch kein direkter Hinweis oder gar Beweis Gottes, sondern hütet das geschöpfliche Denken vor Selbstgenügsamkeit und bewegt es zur Suche145. Das sehnsüchtig suchende cor inquietum erkennt Gott als den, der über allem Erfassen steht: „im selben Akt, in dem der Mensch im Gleichnis der Kreatur Gottes ‚inne‘ wird, wird er Seiner inne als desjenigen, der über allem Gleichnis steht. So ist die letzte Einheit des Kreatürlichen wesenhaft nicht ‚in‘ ihm, sondern ‚über‘ ihm“146.
Aus dem oben Gesagten folgt fünftens, dass die „Analogie letzter objektiver Rhythmus im Sein und letzter subjektiver Rhythmus im Denken“147 ist. Man kann aus diesem Rhythmus nichts ableiten, aber es kann auch jenseits dieses Rhythmus nichts gedacht werden. Analogia entis ist „durchgehende Struktur eines rein frei Faktischen“148. Das Letzte, dessen der Mensch innewerden kann, ist dieser Rhythmus. Der terminus ad quem der analogia entis ist kein fassbares Ergebnis oder ein edles Menschenbild, sondern das Geheimnis des Deus semper maior und der Nüchternheit der menschlichen Existenz149.
„Es gibt nur den je neuen Rhythmus, in dem die ‚noch so große Ähnlichkeit‘ […] radikal aufgebrochen wird in das radikal Übersteigende einer ‚je immer größeren Unähnlichkeit‘ des ‚Gott, der über allem ist, was gedacht werden kann‘, – aber so, daß auch und gerade diese ‚je immer größere Unähnlichkeit‘ nicht in ein alogisch logisches Prinzip eines absolut ‚ganz Anderen‘ hinein umgreifbar ist, sondern den erfahrenden und denkenden Menschen jeweils neu aus ‚schwindelnden Höhen‘ hinunter-weist in eine je neue Erfahrung ‚noch so großer Ähnlichkeiten‘ im (auch religiös und theologisch) ‚fruchtbaren Bathos der Erfahrung‘“150.
Es mag hiermit zur Genüge ausgeführt worden sein, dass Przywaras analogia entis nicht, wie klischeehaft oft angenommen, ein Prinzip natürlicher Theologie sein will, sondern sich mit allen Mitteln um die Hervorhebung des Differenzmomentes, der Distanz zwischen Gott und Geschöpf bemüht und darum auch alle Spannungseinheiten innerweltlicher Gegensätze weit aufreißt, damit der nach Gott rufende Abgrund menschlicher Erfahrung freigelegt wird. Wie Rahner schreibt, ist Przywara „der Lehrer der Unabschließbarkeit metaphysischen Denkens geworden, das er an die Grenze führt, wo es sich entscheiden muß, zu zerbrechen oder sich umzusetzen in das ‚Adoro te devote, latens deitas‘“151.
Wenn es eine ernste Anfrage an dieses Denken gibt, dann wird sie in die entgegengesetzte Richtung gehen: Ob sie die sich faktisch und souverän zeigende Nähe Gottes und das Positive der Einheit und Beziehung zwischen Gott und Mensch, sowie zwischen Mensch und Mensch nicht übergeht152? Laut B. Gertz hat der betagte Przywara im persönlichen Gespräch zugegeben, dass „in dem Denken der lateranensischen Analogie auch eine geradezu dämonische Versuchung“ lauert.